Sowohl beim Habeck-Meme als auch bei Bolz ordnete der Ermittlungsrichter eine Hausdurchsuchung an. Ist das bei Äußerungsdelikten verhältnismäßig? Was erhoffen sich Ermittler davon? Und macht eine Abwendungsbefugnis einen Unterschied?
Morgens sechs Uhr, Sie werden vom Klingeln geweckt, öffnen verschlafen in Unterhose. Vor der Tür stehen mehrere Polizeibeamte, wie üblich tragen sie Schusswaffen. Ihnen wird erklärt, dass Sie verdächtigt werden, vor einem Jahr einen strafbaren Tweet abgesetzt haben, und ein Durchsuchungsbeschluss für Ihre Wohnung vorgelegt. In dieser einschüchternden Situation finden sich Beschuldigte von Äußerungsdelikten in Deutschland ab und an wieder. Vor knapp einem Jahr traf es einen Rentner aus Bayern, der das "Schwachkopf"- Meme gegen Robert Habeck gepostet hatte. In der vergangenen Woche nun den rechtspopulistischen Publizisten Norbert Bolz.
Wie LTO berichtete, wird gegen Bolz wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt, strafbar nach §§ 86, 86a Strafgesetzbuch (StGB). Beamte suchten Bolz am Donnerstagmorgen an seinen Wohnsitz auf, sie hatten einen Durchsuchungsbeschluss dabei, der allerdings eine sogenannte Abwendungsbefugnis enthielt. Die ermöglicht dem Betroffenen, den Vollzug der Hausdurchsuchung abzuwenden, wenn er die gesuchten Beweisgegenstände herausgibt bzw. sie den Beamten zeigt. Bolz machte davon Gebrauch, die Beamten setzten keinen Fuß in seine Wohnräume.
Was aber bleibt, ist die beschriebene Einschüchterungssituation. Deshalb wirft der Fall, ebenso wie das "Schwachkopfgate", die Frage auf, wann die Anordnung einer Hausdurchsuchung bei Verdacht eines Äußerungsdelikts im Internet zulässig ist. Tatbestandlich reicht für eine Durchsuchung ein Anfangsverdacht irgendeiner Straftat. Eingehend prüfen müssen Staatsanwalt und Ermittlungsrichter aber die Verhältnismäßigkeit, sie ist entscheidend. Sind die Straferwartung, der Verdachtsgrad und der zu erwartende Nutzen der Durchsuchung eher gering, ist eine Durchsuchung unzulässig. Bei Äußerungsdelikten im Internet fragt sich besonders, wonach die Ermittler in der Wohnung genau suchen, was sie damit beweisen wollen und ob die gewünschte Gewissheit nicht auch anderweitig zu erlangen wäre.
Wonach die Ermittler suchen
"Nachdem die Tat als solche durch den bereits belegten Post bewiesen ist, geht es um den Nachweis der Täterschaft, also der Urheberschaft des Posts", sagt der Regensburger Staatsanwalt Dr. Simon Pschorr. "Den Nachweis kann man anhand von digitalen Indizien führen, die man auf dem Handy oder einem anderen Endgerät findet." Die Durchsuchung diene dem Auffinden und der Sicherstellung dieser Geräte. "Nach welchen Gegenständen man sucht, wird bei solchen Internetdelikten im Durchsuchungsbeschluss genau bezeichnet", so Pschorr zu LTO. Der richterliche Beschluss enthält dann sowohl eine Durchsuchungs- als auch eine Beschlagnahmeanordnung für den Fall, dass der Beschuldigte die Gegenstände nicht freiwillig herausgibt.
Erste digitale Indizien, die die Urheberschaft belegen können, sind laut Pschorr etwa, wenn der betreffende Social-Media-Account im benutzten Browser hinterlegt bzw. die App installiert ist und der Beschuldigte dort mit dem Account eingeloggt ist oder die Login-Daten gespeichert sind. Auch könne man durch Auslesung des Geräts herausfinden, ob das Nutzerprofil zur Tatzeit eingeloggt war und welche IP-Adresse zur Tatzeit verwendet wurde, so Pschorr.
Dass eine Einsichtnahme in die Endgeräte des Beschuldigten (mehr) Klarheit bringen kann, leuchtet ein. In die Verhältnismäßigkeitsprüfung übersetzt: Die Durchsuchung verfolgt ein legitimes Ziel und ist auch geeignet, zu seiner Erreichung etwas beizutragen. Aber ist dieses Vorgehen wirklich erforderlich? Schließlich könnte die Urheberschaft auch aufgrund anderer Beweismittel regelmäßig bereits feststehen – vor allem, wenn der Account unter dem echten Namen betrieben wird.
"Den Beschuldigten vorher fragen"
"Bei Klarnamen halte ich eine Durchsuchung für unverhältnismäßig, wenn es um das Auffinden von Beweismitteln geht", sagt Rechtsanwalt Dr. Jannik Rienhoff von der Marburger Kanzlei Stein Schmeltzer Rienhoff. Der Strafverteidiger betreut viele Mandate, in denen es um Äußerungsdelikte geht. Zu Durchsuchungen komme es immer wieder, sagt Rienhoff, bei Beleidigungen allerdings nur sehr selten, häufig dagegen bei Vorwürfen wie dem Aufrufen zu Straftaten (§ 111 StGB) oder ähnlichen Delikten. Lasse sich ein Account eindeutig dem Beschuldigten zuordnen, sei eine Durchsuchung nicht notwendig, so Rienhoff zu LTO. "Das ist vor allem bei bekannten Persönlichkeiten der Fall, bei denen die reale Persönlichkeit mit dem Social-Media-Auftritt offen verknüpft ist."
Das Schwachkopf-Meme war anonym gepostet worden, Norbert Bolz dagegen könnte so ein Fall sein. Jedenfalls tritt er auf X mit Klarnamen und blauem Haken auf, über seinen Account teilt er immer wieder eigene Gastbeiträge für die Welt oder Interviews mit ihm. War es also unverhältnismäßig, Bolz gegenüber die Durchsuchung seiner Wohnräume anzudrohen? Gibt es vielleicht ein milderes Mittel, um die Zweifel an der Urheberschaft auszuräumen?
"Dann sollen die Ermittler den Beschuldigten wenigstens vorher fragen", sagt Strafverteidiger Rienhoff. "Wenn er dann einräumt, den Beitrag gepostet zu haben, erübrigt sich die Sicherstellung ihrer Geräte."
Aber was, wenn nicht? Der Beschuldigte könnte schweigen oder – was nicht verboten ist, da er sich nicht selbst belasten muss – die Tat wahrheitswidrig leugnen. Das komme selbst bei sehr belastender Beweislage vor, sagt Pschorr. "Klarnamenaccounts werden nicht selten von mehreren Personen verwendet." Das gelte nicht nur für Social-Media-Profis wie Politiker und Influencer, sondern auch für Alltagsnutzer. "Diese bestreiten die Täterschaft häufig und bezichtigen dann Dritte, zum Beispiel Familienmitglieder, die strafprozessual ein Aussageverweigerungsrecht haben", so Pschorr.
Risiken für die Staatsanwaltschaft
Passiert das, fehlt den Ermittlern nicht nur eine geständige Einlassung. Vielmehr haben sie den Beschuldigten durch die Vernehmung zugleich vorgewarnt und ihm so Gelegenheit gegeben, belastende Beweismittel zu beseitigen. Also etwa das Handy zu verstecken, den Cache zu leeren, Fotos zu löschen oder das Gerät auf Werksmodus zurückzusetzen. Genau deshalb führen Ermittler Durchsuchungen möglichst früh im Ermittlungsverfahren durch, sagt Pschorr. Dagegen erheben die Gerichte auch keine grundsätzlichen Einwände.
Ändert man die übliche Reihenfolge in Fällen von Äußerungsdelikten im Internet, vernimmt man also zuerst den Beschuldigten und behält sich eine Hausdurchsuchung für später vor, riskiert man den Verlust der genannten Beweismittel. Dann stellt sich für die Ermittler die Frage, ob der öffentliche Auftritt des Beschuldigten zum Tatnachweis ausreicht. Damit gehen sie vor Gericht ein Risiko ein. Muss die Staatsanwaltschaft dieses Risiko wegen des hohen verfassungsrechtlichen Rangs der Unverletzlichkeit der Wohnung hinnehmen?
Aus der Rechtsprechung der Strafgerichte und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) lasse sich das nicht ableiten, sagt Pschorr. Auch bei Bagatelldelikten bestehe grundsätzlich die Pflicht zu ermitteln. Und weder der Gesetzgeber noch das BVerfG habe eine Erheblichkeitsschwelle für Hausdurchsuchungen formuliert.
Rienhoff weist jedoch darauf hin, dass auch eine Durchsuchung und Beschlagnahme keine absolute Sicherheit darüber bringt, welches Haushaltsmitglied den Post abgesetzt hat. Pschorr betont, dass in der Praxis vor allem das Mobiltelefon zentral sei, weil dieses nach der Lebenserfahrung eher persönlich genutzt werde. War das Gerät zur Tatzeit eingeloggt, sei das ein klares Indiz für die Urheberschaft. "Absolute Gewissheit bringt auch die Durchsuchung bei Internetdelikten oft nicht – aber man erhält deutlich mehr Indizien."
Abwendungsbefugnis als Mittelweg
Ermittler haben damit zwei Optionen: eine Durchsuchung durchführen, die tief in die Grundrechte des Beschuldigten eingreift und womöglich auch keine absolute Gewissheit bringt. Oder den Beschuldigten vorher fragen und damit riskieren, dass er die Indizien, die ihn überführen könnten, beseitigt. Die Berliner Justiz ist in Bolz' Fall einen Mittelweg gegangen, den man eigentlich aus einem anderen Kontext kennt: die Abwendungsbefugnis.
Diese ist Teil des Durchsuchungsbeschlusses. Es handelt sich also um einen "normalen" Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss, an dessen Ende dem Beschuldigten die Möglichkeit eingeräumt wird, die Durchsuchung zu verhindern – übliche Formulierungen für die Abwendung seien die "freiwillige und lückenlose Herausgabe des Tatmittels" oder das "Ermöglichen der Einsichtnahme und fotografischen Dokumentation des tatgegenständlichen Posts/Accounts und der Nutzer-/ Profildaten", teilt ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft LTO auf Anfrage mit.
Ändert diese Befugnis etwas an der Verhältnismäßigkeit des Vorgehens?
Trotzdem stehen die Beamten morgens vor der Tür
Ein Beschluss mit Abwendungsbefugnis ist jedenfalls ein milderes Mittel gegenüber einem Beschluss ohne. Das hat auch BVerfG immer wieder betont, wenn auch in der Konstellation der Durchsuchung bei einer nichtverdächtigen Person, so kürzlich im Fall einer Durchsuchung in einer Hamburger Anwaltskanzlei. In dieser Situation ist es nach der Rechtsprechung meist notwendig, den Durchsuchungsbeschluss mit einer Abwendungsbefugnis zu versehen, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren.
Gegenüber dem Beschuldigten ist dies eher selten. "Ich habe das noch in keinem einzigen Fall erlebt. Es gibt diese Fälle, aber es sind leider Ausnahmen", sagt Strafverteidiger Rienhoff. Er hält eine solche Abwendungsbefugnis für eine "sehr gute und richtige Möglichkeit".
Viel Rechtsprechung gibt es dazu noch nicht. Dass die Abwendungsbefugnis auch für die Durchsuchung beim Verdächtigen als milderes Mittel zu qualifizieren ist, haben Landgerichte aber immer wieder festgestellt. So etwa das Landgericht Hamburg, als es 2022 die Durchsuchung bei einem Twitter-Nutzer wegen Beleidigung des Hamburger Innensenators Andy Grote für unverhältnismäßig erklärte. Zu beachten ist auch, dass das Herausgabeverlangen nicht direkt in die Unverletzlichkeit der Wohnung eingreift, sondern "nur" in die Willensentschließungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – so unangenehm und einschüchternd es auch sein mag, aus dem Bett geklingelt zu werden und Polizisten gegenüberzustehen, die mit einer Durchsuchung drohen.
Eine rechtswidrige Maßnahme darf man nicht androhen
Klar ist: Die angedrohte Durchsuchung muss auch im Übrigen rechtmäßig sein, denn mit einer rechtswidrigen Maßnahme zu drohen, wäre seinerseits widerrechtlich. Deshalb ist – auch wenn man die Abwendungsbefugnis als mildestes Mittel ansieht –weiter zu prüfen, ob der hypothetische Vollzug der Durchsuchung auch verhältnismäßig im engeren Sinn wäre. Hieran fehlt es, wenn die zu erwartende Strafe und der zusätzliche Erkenntniswert der Durchsuchung außer Verhältnis stehen. Dafür spricht in Bolz' Fall eben, dass sein Öffentlichkeitsauftritt kaum Zweifel daran ließ, dass ihm der betreffende X-Account gehört. Dass er den inkriminierten Post selbst verfasst hat, wäre damit noch nicht gesagt. Allerdings wird dieser Umstand auch nicht dadurch bewiesen, dass Bolz den Beamten seinen Account gezeigt hat. Das hätte allenfalls eine Beschlagnahme und Auswertung des Geräts ergeben. Dass die Beamten angesichts von Bolz' Kooperationsbereitschaft hiervon abgesehen haben, spricht eher für ein verhältnismäßiges Vorgehen vor Ort.
Wie weit Ermittler beim Verdacht strafbarer Internet-Posts gehen dürfen, um die Urheberschaft zu beweisen, müssen die Gerichte erst noch ausloten. Bolz könnte dazu etwas beitragen, wenn er sich dazu entschließt, die unter Androhung der Hausdurchsuchung erfolgte Herausgabeaufforderung gerichtlich prüfen zu lassen. Ob der Beschuldigte, der von einer Abwendungsbefugnis Gebrauch gemacht hat, auch die Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses nachträglich feststellen lassen kann, scheint in der Rechtsprechung dagegen noch ungeklärt zu sein.
Hinweis: aktualisierte Fassung vom Tag der Veröffentlichung, 15:52 Uhr.
Äußerungsdelikte im Internet: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58477 (abgerufen am: 14.11.2025 )
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