"Ziegenficken"und Kunst: Böh­m­er­mann zwi­schen Straf­recht, Außen­po­litik und Ver­fas­sung

2/2: "Ziegenficker"als Satire?

Vielleicht ist der Text aber eine kunstvolle Satire. Dann stünde er unter dem Schutz der Kunstfreiheit.

Was ist eine Satire? Über diese Frage gibt es ganze literaturwissenschaftliche Bibliotheken. Die Rechtswissenschaft ist pragmatisch und vertieft sich nicht in literarische Details. Scharfe Kritik durch künstlerische Verfremdung und polemische Überspitzung – das ist im Kern eine Satire. Sie ist hässlich, drastisch, aggressiv und obszön. Sie bricht Tabus und verletzt Konventionen und ignoriert Moralvorstellungen. Das ist ihr Wesen – und das Geheimnis ihrer Wirkung. 

Wenn man von diesem Begriff ausgeht, ist das Böhmermann-Gedicht sicher eine Satire.  Sein satirischer Sinn erschließt sich aus seinem Kontext. Selbstverständlich geht es dem Comedian nicht darum, Erdogan ernsthaft der Sodomie zu beschuldigen. Das Gedicht ist Teil einer größeren Performance.

Böhmermann und ein zweiter Akteur betonen immer wieder zwischendurch, dass sein Schmähgedicht ein Beispiel dafür ist, was in Deutschland gerade nicht erlaubt ist. Indem er Erdogan in ganz drastischer Form schmäht, will er wohl kritisieren, dass kritische Journalisten und Satiriker in der Türkei von der Justiz verfolgt werden. Er führt Erdogan quasi vor, was eine wirklich verbotene Satire ist – als Kontrast zu vergleichsweise harmlosen Satiren, die Erdogan in der Türkei verbieten lässt.

Ziegenficker als Kunst?

Allerdings ist nicht jede Satire auch Kunst. Kunst setzt in den Worten des Verfassungsgerichts "eine freie schöpferische Gestaltung"voraus. Eine bloße Verzerrung, Übertreibung oder sonstige satirische Bearbeitung ist keine Kunst, die von Art. 5 Abs. 3 GG geschützt wird. Qualitätsmaßstäbe enthält das Recht allerdings nicht. Auch schlechte Kunst ist Kunst.

Der Böhmermann-Text ist ein Gedicht im klassischen Sinn. Es reimt sich. Seine Wortwahl ist obszön, aber ausgesucht und durchdacht. Das Schmähgedicht wird in einem Rahmen vorgetragen, der den Kontext verändert. Böhmermann selbst und ein anderer Darsteller weisen mehrmals darauf hin, dass das Schmähgedicht so nicht zulässig ist. Dennoch tragen sie es vor.

Darüber kann man unter qualitativen Aspekten streiten. Dennoch ist das ein Kunstgriff. Es ist eine Gesamtkomposition, die auf einer schöpferischen Gestaltungsleistung basiert. Das Böhmermann-Schmähgedicht ist deshalb – gute oder schlechte – Kunst im Sinne der Verfassung. Es wird vom Grundgesetz geschützt. Ist dann verfassungsrechtlich alles gut für Jan Böhmermann?

Menschenwürde - Grenzen der Satire

Die Kunstfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Aus guten Gründen legt das Verfassungsgericht den Schutzbereich sehr weit aus. Es gibt im Grundgesetz aber auch andere Werte, die genauso bedeutsam sind.

Schon deshalb darf Satire nicht alles. Sie hat Grenzen, die im konkreten Einzelfall ausgelotet und gezogen werden müssen. Ihre wichtigste verfassungsrechtliche Grenze ist die Menschenwürde. Die Menschenwürde ist der höchste Wert der Verfassung – und des gesamten Rechts. Die Verfassung schützt deshalb keine Satire, die die Würde eines anderen Menschen verletzt.

Ist das Schmähgedicht nur drastisch, obszön und unappetitlich? Dann ist es als Kunst geschützt und Böhmermann muss den Staatsanwalt nicht fürchten. Oder verletzt es die Menschenwürde von Erdogan? Dann führen die Ermittlungen der Justiz wohl zu einer Verurteilung.

Kunst ohne Verantwortung?

Der Aussagekern des Schmähgedichts verletzt die Menschenwürde sicher nicht. Denn inhaltlich geht es dem Text und der Inszenierung, die dazu gehört, darum, Erdogan und seine Presse-und Medienpolitik in der Türkei zu kritisieren. Das hält sich zweifelsohne im Rahmen der Kunstfreiheit.

Die satirische Einkleidung dieser Botschaft überschreitet deren Grenzen allerdings massiv. Die Wortwahl des Gedichts ist der aggressiven und sexualisierten Fäkalsprache entnommen. Der Text befasst sich ausführlich mit dem angeblichen Sexualleben von Erdogan. Dabei benutzt Jan Böhmermann sexuelle Schimpfworte, die besonders ehrverletzend sind. Mit der kritischen Botschaft, um die es geht, hat der Text letztlich nichts zu tun. Sein einziger Sinn liegt darin, Erdogan zu erniedrigen und herabzuwürdigen. Das ist eine Verletzung der Menschenwürde.

Die Verfassung schützt die Kunst sehr weitgehend. Sie gibt den Künstlern einen großen Freiraum. Eines aber tut die Verfassung nicht: Sie entbindet den Künstler nicht von der Verantwortung für die Folgen seiner Kunst.

Auf die Politik kommt es an

Juristisch ist der Fall Böhmermann deshalb klar. Würde die Staatsanwaltschaft Anklage erheben und käme auch ein Gericht zu dem Ergebnis, dass Böhmermann sich nach § 103 StGB strafbar gemacht hat, würde ihm eine Strafe von bis zu fünf  Jahren Haft drohen. Unterstellt, dass der Comedian nicht vorbestraft ist, dürfte es dazu allerdings nicht kommen, er würde vermutlich nur zu einer Geldstrafe verurteilt.

Jetzt hängt alles an der Politik. Erdogan hat das formelle Strafverlangen nach § 104a StGB gestellt. Erteilt das Außenministerium jetzt die Ermächtigung zur Strafverfolgung, die nach § 104a StGB ebenfalls notwendig ist? Nur dann kann die Justiz weiter ermitteln.

Der Autor Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer. pol. Volker Boehme-Neßler lehrt unter anderem Verfassungs- und Medienrecht an der an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg.

Zitiervorschlag

Volker Boehme-Neßler, "Ziegenficken"und Kunst: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19035 (abgerufen am: 08.10.2024 )

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