"Ziegenficken"und Kunst: Böh­m­er­mann zwi­schen Straf­recht, Außen­po­litik und Ver­fas­sung

Die Türkei fordert, Böhmermann für sein Erdogan-Gedicht zu belangen. Ob die Bundesregierung die Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung ermächtigt, ist eine politische Frage. Juristisch gesehen ist der Fall klar, meint Volker Boehme-Neßler.

Jan Böhmermann hat in einer Fernsehsendung ein Schmähgedicht auf den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan vorgetragen. Das hatte Folgen: Der Sender nahm den Beitrag aus der Mediathek, die Bundeskanzlerin telefonierte mit dem türkischen Ministerpräsidenten und die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt gegen Böhmermann. Das Auswärtige Amt soll in einem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sein, dass der Satiriker und Comedian sich strafbar gemacht haben soll.

Er soll ein ausländisches Staatsoberhaupt beleidigt und damit gegen § 103 Strafgesetzbuch (StGB)  verstoßen haben Das Video des Auftritts kursiert im Netz, es  wird zehntausendfach in den sozialen Netzwerken kommentiert und  verbreitet. Dass Erdogan satirische Beiträge erst durch seine Reaktionen bekannt mache,  besingt mittlerweile auch Dieter Hallervorden, der mit seinem Song "Erdogan, zeig mich an", den er bei Twitter selbst als satirisch bezeichnet, dem ZDF-Neo-Verantwortlichen Schützenhilfe leistet.

<script src="https://www.lto.de/typo3///platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Es geht um die alte Frage: Was darf Satire? Alles, hat Tucholsky noch 1919 kurz und bündig geantwortet. Ganz so einfach ist die Rechtslage allerdings nicht. Schon gar nicht, wenn die Außenpolitik mit ins Spiel kommt.

§ 103 StGB – terra incognita des Strafrechts

Böhmermann selbst hat seinen Text als Schmähgedicht bezeichnet. Das ist – darüber wird kaum gestritten - sicherlich eine treffende Einordnung. Schon die Wortwahl ist der Gossensprache entnommen, obszön und beleidigend. Der Inhalt ist rassistisch und bedient indiskutable anti-türkische Ressentiments. Hat sich Böhmermann also wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts nach § 103 StGB strafbar gemacht?

§ 103 StGB ist eine weithin unbekannte Norm des Strafrechts. Verurteilungen auf ihrer Grundlage sind selten. Etwa zwei Täter werden im Durchschnitt pro Jahr zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft in Mainz, die gegen Böhmermann ermittelt, betritt Neuland.

Die Vorschriftschützt die Ehre ausländischer Staaten. Deshalb ist es verboten, ausländische Staatsoberhäupter zu beleidigen. Sie sind die wichtigsten Repräsentanten ihres Landes. Wer Erdogan beleidigt, beleidigt die Türkei – das ist die Logik von § 103 StGB.

Ganz neu ist dieser Gedanke nicht. Schon im Reichsstrafgesetzbuch gab es Normen mit ähnlichen Regelungen.  Sie  greifen Grundgedanken des Völkergewohnheitsrechts auf und sollen die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu anderen Staaten schützen.

Vorrang der Diplomatie - das Verfahren von § 104a StGB

Der außenpolitische Hintergrund erklärt auch die ungewöhnliche Regelung von § 104 a StGB. Eine Strafverfolgung setzt grundsätzlich voraus, dass Deutschland zum verletzten Staat diplomatische Beziehungen unterhält. Dieser Staat muss darüber hinaus ähnliche Schutzvorschriften für das deutsche Staatsoberhaupt haben. Gegenseitigkeit ist ein alter Grundsatz der Diplomatie.

Zudem muss die ausländische Regierung ein formelles Strafverlangen gestellt haben. Auch diese Voraussetzung ist im Fall von Jan Böhmermann wohl erfüllt, am Sonntag wurde bekannt, dass die Türkei das von der Bundesregierung verlangt.

Jetzt kommt es auf die vierte und letzte Anforderung des selten zur Anwendung kommenden Straftatbestands an: Das Auswärtige Amt muss eine formelle Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen, d.h. die Erklärung abgeben, dass sie sich der Strafverfolgung nicht widersetzen wird. Darüber wird zurzeit in der Bundesregierung nachgedacht. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat schon angekündigt, sich in dieser Frage eng mit dem Justizminister und der Kanzlerin abzustimmen. Es ist eine heikle Frage, es geht um außenpolitische Rücksichtnahme im Konflikt mit innenpolitischer Meinungs- und Kunstfreiheit.

Die Meinungsfreiheit schützt auch dumme Äußerungen

Böhmermann hat sich strafbar gemacht, wenn er Erdogan – und damit die Türkei – beleidigt hat. Ist sein Schmähgedicht also eine strafbare Beleidigung?

Die inhaltlich entscheidende Frage ist, ob dieser unsägliche Text trotz allem von der Verfassung geschützt wird. Unterfiele er der Meinungsfreiheit oder – als Satire –der Kunstfreiheit, dann gäbe es keine Beleidigung und damit keine Strafbarkeit nach § 103 StGB.

Ohne Meinungsfreiheit gibt es keine freiheitliche und demokratische Gesellschaft. Sie wird deshalb vom Grundgesetz ebenso geschützt wie von der europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechte-Charta. Der Schutz durch die Verfassung hängt nicht von der Qualität der Meinung ab. Die Meinungsfreiheit schützt auch pubertäre, dumme, rassistische oder fremdenfeindliche Äußerungen - wie etwa das Gedicht von Böhmermann.

Aber Schmähung schützt auch die Meinungsfreiheit nicht

Allerdings hat auch die Meinungsfreiheit Grenzen. Eine in der Praxis besonders wichtige Schranke der Meinungsfreiheit ist das Persönlichkeitsrecht anderer. Das Bundesverfassungsgericht vertritt dazu eine klare Linie. Der Meinungskampf in der Öffentlichkeit muss nicht mit Samthandschuhen geführt werden.

Auch äußerst kritische, scharfe und polemische Äußerungen sind zulässig, gerade, wenn es um wichtige oder kontroverse Themen geht, die in der Öffentlichkeit viel Staub aufwirbeln.  In dubio pro libertate - im Zweifel steht Karlsruhe auf Seiten der Meinungsfreiheit.

Und dennoch wird Jan Böhmermann sich auf die Meinungsfreiheit nicht berufen können. Wenn Meinungsäußerungen vor allem einen anderen Menschen herabsetzen sollen, dann geht es um Schmähkritik, die nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit fällt. Zur Erinnerung: Im Böhmermann-Text wird Erdogan – nur unter anderem - als "Ziegenficker" bezeichnet, der "Fellatio mit 100 Schafen"betreibt. Im Ernst: Was ist das, wenn nicht eine Schmähung?

Zitiervorschlag

Volker Boehme-Neßler, "Ziegenficken"und Kunst: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19035 (abgerufen am: 11.10.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen