Nachdem die dubiosen Abhörpraktiken des BND zutage befördert wurden, möchte die Regierung dessen Befugnisse begrenzen. Dabei herausgekommen ist ein Gesetz, das darauf angelegt ist, in Karlsruhe gekippt zu werden, meint Heide Sandkuhl.
Die Überwachung der Kommunikation von Ausländern im Ausland von Deutschland aus gehört zum gesetzlichen Auftrag des Bundesnachrichtendienstes (BND) und soll so etwa zur Sicherheit des deutschen Staats beitragen. Als der NSA-Untersuchungsausschuss ans Licht brachte, dass im Rahmen dieser Arbeit auch deutsche Staatsbürger ausgespäht worden sein könnten, entschied sich die Bundesregierung, der aufkommenden Kritik mittels eines "Entwurf[s] eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes" zu begegnen.
Der Geburtsfehler dieses Gesetzentwurfs besteht schon darin, dass die Bundesregierung nach wie vor den Schutz des Brief-, Post- und Telekommunikationsgeheimnisses (Art. 10 Grundgesetz (GG)) nicht uneingeschränkt auf den Telekommunikationsverkehr von Ausländern im Ausland angewendet wissen will. Rechtsirrig ist das Verständnis der Bundesregierung deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schon im Jahr 2000 klargestellt hat, dass in den Fällen, in denen die Erfassung und Auswertung der Überwachungsmaßnahme im Inland erfolgen, die deutsche öffentliche Gewalt bei Zugriffen auf das Telekommunikationsgeheimnis und Überwachung der Telekommunikationsverkehre grundsätzlich an Art. 10 Abs. 1 GG gebunden ist.
Selbst wenn man für die Anwendung des Art. 10 Abs. 1 GG einen territorialen Bezug zur Bundesrepublik Deutschland voraussetzen wollte, wäre er unzweifelhaft gegeben, wenn die Erfassung und Auswertung durch deutsche Behörden im Inland erfolgt. Dass dies der Fall ist, ergibt sich aus dem neu geplanten BND-Gesetz unmittelbar. Denn danach darf der BND nur vom Inland aus mit technischen Mitteln Informationen aus Telekommunikationsnetzen, über die Telekommunikation von Ausländern im Ausland erfolgt, erheben und verarbeiten, wenn die Daten zum Beispiel erforderlich sind, frühzeitig Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu erkennen. Nach der Gesetzesbegründung erfolgt die Fernmeldeaufklärung vom Inland aus, wenn sich die Erfassungssysteme in Deutschland befinden. Insoweit verwundert es nicht, dass § 6 Bundesnachrichtendienstgesetz (BNDG) auch aus Sicht des stellvertretenden Vorsitzenden der G-10-Kommission "evident verfassungswidrig" ist.
Geplant: Regierung sucht sich die eigenen Kontrolleure selbst aus
Folgefehler ist, dass das Gesetz die Kontrolle nicht der G-10-Kommission, sondern einem Unabhängigen Gremium überträgt. Kontrolle wird aber nicht dadurch verstärkt, dass ein weiteres Gremium mit unzureichenden Befugnissen geschaffen wird. Dass die Kontrollbefugnisse des Unabhängigen Gremiums, das aus zwei Richtern am Bundesgerichtshof und einem Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof bestehen soll, nur unvollkommen ausgestaltet sind, ergibt sich insbesondere aus Folgendem:
Die Kontrollbefugnisse des Unabhängigen Gremiums beschränken sich im Wesentlichen darauf, Anordnungen des Bundeskanzleramtes und des Bundesnachrichtendienstes zu prüfen. Im Übrigen ist das Unabhängige Gremium nur befugt, die Einhaltung von Suchbegriffen stichprobenartig zu kontrollieren. Hingegen wird ihm eine umfassende, vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägte Kontrolltätigkeit und ein Recht auf Zutritt zu den Diensträumen des BND – wie dies etwa der G-10-Kommission möglich ist – nicht eingeräumt. Anders als die Mitglieder der Kommission, die von dem Parlamentarischen Kontrollgremium nach Anhörung der Bundesregierung bestellt werden, beruft das Bundeskabinett die Mitglieder des Unabhängigen Gremiums.
Sucht aber die Bundesregierung die Kontrolleure aus, die Bundeskanzleramt und BND überwachen sollen, besteht keine parlamentarische Rückkopplung, mit unabhängiger parlamentarischer Kontrolle hat dies nichts zu tun. Und noch eines kommt hinzu: Während der G-10-Kommission Mitarbeiter mit technischem Sachverstand zur Verfügung stehen, regelt dies das neue BND-Gesetz für das Unabhängige Gremium nicht explizit. Ohne Mitarbeiter mit technischem Sachverstand aber wird eine effiziente Kontrolle nicht möglich sein. Denn wie wollen Bundesrichter und Bundesanwälte zum Beispiel erkennen, dass der deutsche Staatsbürger sowie die EU-Bürger von der Überwachung nicht erfasst werden?
2/2: Größerer Datenstrom erhöht Gefahr der Inländer-Überwachung
Zur Verdeutlichung: Nach dem neuen Gesetz soll sich der BND einen Rohdatenstrom zur strategischen Überwachung ausländischen Telekommunikationsverkehrs vom Inland aus ohne Kontrolle durch die G-10-Kommission verschaffen dürfen. Während nach dem G-10-Gesetz der Anteil der auf den Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität höchstens 20 Prozent betragen darf, ist nach dem neuen BND-Gesetz ein unbegrenzter Abgriff von Telekommunikationsdaten möglich. Das aber birgt das Risiko, dass angesichts des nur unzureichend arbeitenden DAFIS-Filtersystems des BND, das insbesondere dem Schutz Deutscher oder im Bundesgebiet sich aufhaltender Personen dienen soll, eben jene mit größerer Wahrscheinlichkeit als bisher von einer Überwachung betroffen sein könnten.
Ungeachtet der Tatsache, dass es weitaus sinnvoller gewesen wäre, die Kontrolle des BND auch im Fall der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung der G-10-Kommission zu übertragen und die Kommission insbesondere personell und fachlich zu verstärken, lässt sich der Nachbesserungsbedarf hinsichtlich des geplanten Kontrollgremiums wie folgt zusammenfassen:
Neben Bundesrichtern und Bundesanwälten müssen der Kommission auch solche Personen angehören, die Expertise im Polizei- und Sicherheitsrecht haben. Bundesrichter und Bundesanwälte aber befassen sich vornehmlich mit Strafrecht, sind also im repressiven und eben nicht im präventiven Bereich tätig. Zudem gehört auch ein technischer Sachverständiger hinein, da nur Personen mit technischem Wissen prüfen können, ob sich der Datenzugriff im Rahmen des gesetzlich Erlaubten bewegt.
"Anwalt der Betroffenen" für heimlich Ausspionierte
Überdies ist die Kontrolle durch Schaffung eines "Anwalts des Betroffenen" sinnvoll. Mit diesem Schlagwort wird ähnlich dem Vorbild des "Vertreters des öffentlichen Interesses" die Schaffung einer mit Personal- und Sachmitteln angemessen ausgestatteten unabhängigen Behörde angesprochen, die im Verfahren zur Anordnung von Überwachungen anzuhören ist. So hat sie die Gelegenheit, die Interessen der Überwachungsadressaten wahrzunehmen.
Naturgemäß sind die Betroffenen nämlich weder über die Maßnahmen des BND informiert noch in das Verfahren der G-10-Kommission eingebunden. Mit Blick auf die Schwere des Grundrechtseingriffes ist es aber notwendig, dass ihre Rechte durch einen "Anwalt" wahrgenommen und das das Verfahren damit kontradiktorisch ausgestaltet wird.
Solange die Kontrolle des BND nicht hinreichend ausgestaltet ist, werden Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Handelns bestehen. Wenn Kritiker eine grundlegende Reform der Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit fordern, geht es immer darum, das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit auszubalancieren. Der aktuelle Entwurf zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung trägt in keinster Weise dazu bei.
Die Autorin Dr. Heide Sandkuhl ist Rechtsanwältin in Potsdam. Sie ist Fachanwältin für Strafrecht und Verwaltungsrecht und Vorsitzende des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht des Deutschen Anwaltvereins, der regelmäßig zu Gesetzesentwürfen betreffend das Polizei- und Sicherheitsrecht Stellung nimmt.
Dr. Heide Sandkuhl, Das neue BND-Gesetz: Von grundlegenden Reformen keine Spur . In: Legal Tribune Online, 29.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21264/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag