Das Bundesjustizministerium hat am Dienstag eine Reform des Sanktionenrechts in die Ressortabstimmung gegeben. Der LTO vorliegende Referentenentwurf sieht eine radikale Kürzung der Ersatzfreiheitsstrafen, aber auch Strafschärfungen vor.
Die Diskussion um Ersatzfreiheitsstrafen ist in der öffentlichen Diskussion eng mit dem Thema "Schwarzfahren" verknüpft. Nach umstrittener Rechtsprechung stellt dieses ein Erschleichen von Leistungen nach § 265a Strafgesetzbuch (StGB) dar. Wer wegen des Delikts zu einer Geldstrafe verurteilt wird, diese aber nicht bezahlen kann, dem droht Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB.
Nach Schätzungen aus dem Jahr 2018 müssen wegen Erschleichens von Leistungen jährlich 7.000 Personen ins Gefängnis. Doch § 265a StGB ist nicht das einzige Delikt, das zur Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen führen kann. Auch Diebstähle oder Betrugstaten münden nach nicht gezahlter Geldstrafe oft in einer Ersatzfreiheitsstrafe.
Was das Erschleichen von Leistungen angeht, dürfte diese unter die im Koalitionsvertrag angekündigte Überprüfung "historisch überholter Straftatbestände" fallen. Doch diese von der Ampel-Koalition versprochene Überprüfung lässt erst einmal auf sich warten. Das Ministerium geht das Problem nämlich zunächst von der Rechtsfolgenseite an, wie am Dienstag bekannt wurde.
Aus 1:1 wird 2:1
Bisher gilt für die Bemessung der Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 S. 2 StGB ein Umrechnungsfaktor von 1:1. Wer also zu 30 Tagessätzen zu einem beliebigen Betrag verurteilt wurde, musste bei Nichtzahlung stattdessen 30 Tage in Haft. Nach den Plänen des Bundesjustizministeriums soll sich die Ersatzfreiheitstrafe nun halbieren, indem der Umrechnungsfaktor auf 2:1 gekürzt wird. 30 nicht gezahlte Tagessätze entsprechen dann nur noch 15 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe.
Der Grundgedanke der geplanten Gesetzesänderung ist die Annahme, dass der Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen keinen Beitrag zur Resozialisierung leistet, andererseits aber ein gänzlicher Verzicht auf jede Ersatzfreiheitsstrafe dazu führen würde, dass massenhaft Verurteilungen folgenlos blieben. Die Reform soll zudem zur Entlastung der Staatskasse durch weniger belegte Haftplätze führen.
Laut Entwurf erhofft sich das Ministerium zudem, dass die Halbierung der Ersatzfreiheitstrafe es Personen erleichtert, die Freiheitsstrafe ganz abzuwenden. Denn auch die bereits jetzt schon mögliche Haftalternative, nämlich gemeinnützige Arbeit, wird nach dem 2:1-Faktor gekürzt. Konkret müssen dann nur noch halb so viele Arbeitsstunden erbracht werden, mit denen die Ersatzfreiheitsstrafe abgegolten werden kann. Diese Halbierung soll nach den Vorstellungen des Ministeriums dazu führen, dass Personen überhaupt erst hinreichend motiviert werden, eine gemeinnützige Arbeit zu beginnen und durchzuhalten.
Hinweispflicht für Vermeidungsmöglichkeit der Ersatzfreiheitsstrafe
Das Ministerium belässt es aber nicht bei der Halbierungsregel, sondern will darauf hinwirken, dass auf Möglichkeiten zur Vermeidung der Freiheitsstrafe – also gemeinnützige Arbeit oder Zahlungserleichterungen – verstärkt aufmerksam gemacht wird. Entsprechend soll durch eine Erweiterung einer Regelung in der Strafprozessordnung (§ 459e Abs. 2 StPO) die Vollstreckungsbehörde verpflichtet werden, die verurteilte Person vor Anordnung der Vollstreckung auf diese Möglichkeiten aktiv hinzuweisen.
Zudem soll der Vollstreckungsbehörde zwar nicht auferlegt, aber gesetzlich nahegelegt werden, Sozialarbeiter einzuschalten, die das Gespräch mit den Verurteilten suchen, um darüber zu sprechen, welche Möglichkeiten es gibt, eine Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden.
Strafschärfung bei "geschlechtsspezifischen" Taten
Der Entwurf sieht aber nicht nur Erleichterungen, sondern auch Strafschärfungen vor. In den Katalog der Strafzumessung in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB soll aufgenommen werden, dass "geschlechtsspezifische" und "gegen die sexuelle Orientierung gerichtete" Beweggründe von Gerichten strafschärfend zu berücksichtigen sind. Laut Entwurf dient die Aufnahme der Klarstellung der bereits jetzt geltenden Rechtslage, wonach Hass gegen Frauen und LSBTI-Personen als Tatmotiv unter die Formulierung der "sonst menschenverachtenden" Beweggründe fällt und schon jetzt strafschärfend zu berücksichtigen sei.
Der Begriff "geschlechtsspezifisch" solle auch Fälle einbeziehen, in denen die Tat handlungsleitend von Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit geprägt ist. Dies sei etwa dann der Fall, wenn der Täter gegenüber seiner Partnerin oder Ex-Partnerin mit Gewalt seinen vermeintlichen patriarchalischen Herrschafts- und Besitzanspruch durchsetzen wollte, so das Beispiel aus dem Entwurf. Die ausdrückliche Erwähnung in § 46 StGB solle auch dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen frühzeitig solche Motive aufklärt und berücksichtigt.
Weitere Reformen im Sanktionenrecht
Der Entwurf sieht noch zwei weitere Reformen vor. Zum einen soll § 64 StGB, der die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt regelt, so reformiert werden, dass sich diese Einrichtungen wieder stärker auf Personen konzentrieren könnten, die tatsächlich der Behandlung in einer solchen Einrichtung bedürften. Das Ministerium will dazu sachwidrige Anreize für Täter unterbinden, die in ihrer Verteidigungsstrategie vor Gericht eine "angenehmere" Unterbringung anstreben und so einer “richtigen" Haftstrafe zu entgehen – ein akutes Praxisproblem. So war beispielsweise erst im Mai dieses Jahres bekannt geworden, dass in Baden-Württemberg Straftäter wieder auf freien Fuß kommen, weil im Maßregelvollzug kein Platz mehr für sie geschaffen werden konnte.
Zudem sollen Möglichkeiten von Auflagen und Weisungen erweitert werden, u.a. durch Aufnahme einer Therapieweisung im Gesetz. Der Entwurf ist am Dienstag in der Ressortabstimmung für Stellungnahmen an andere Bundesministerien übersandt worden. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich das Bundeskabinett vor dem Herbst damit beschäftigt.
Bundesjustizminister plant Reform des Sanktionenrechts: . In: Legal Tribune Online, 05.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48938 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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