Nach den G20-Krawallen hat die Bild Fotos von 18 Personen veröffentlicht und in Wild-West-Manier zur Fahndung ausgeschrieben. Damit missachtet sie das Gewaltmonopol ebenso wie die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, sagt Niklas Haberkamm.
Der Aufschrei in der Bevölkerung nach dem G20-Gipfel war groß. Teile Hamburgs lagen in Schutt und Asche und die gegenseitigen Schuldzuweisungen der verschiedenen Lager wurden bundesweit sehr hitzig diskutiert. Genau solche Stimmungslagen animieren die Bild-Zeitung mit einer gewissen Regelmäßigkeit, sich zum Hilfssheriff aufzuschwingen und die Sache mit dem eigenen Verständnis von Recht und Ordnung in die Hand zu nehmen, weil sie den emotional aufgewühlten Großteil der Bevölkerung hinter sich wähnt.
In Steckbrief-Manier wurden die Fotos von 18 Personen unter dem Schlagwort "Gesucht!" sowohl in der gedruckten Zeitung als auch in der Online-Ausgabe der Bild veröffentlicht. Dabei wurden die Gesichter vergrößert dargestellt und besondere Merkmale genannt, um eine bestmögliche Identifizierung zu ermöglichen. Die Fotos zeigen, wie die Abgebildeten Steine oder Flaschen schmeißen oder auch lediglich in den Händen halten. Für die Bild-Zeitung ist zudem die Rechtslage zu sämtlichen veröffentlichten Bildern bereits abschließend geklärt, nur die Feststellung der Personalien steht noch aus: "Wer kennt diese G20-Verbrecher?".
Gerade weil viele Leser diese Art der Berichterstattung aufgrund der Gewaltausbrüche in Hamburg instinktiv gutheißen, weil sie sich eine konsequente Strafverfolgung gegenüber den Tätern von Hamburg wünschen, muss klargestellt werden, dass die Bild mit ihrer Art der Berichterstattung die ihr in der Rechtsordnung zugewiesene Rolle eindeutig verlassen hat.
Verstoß gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung
Zwar dürfen Medien im Rahmen der sogenannten Verdachtsberichterstattung auch über Vorgänge berichten, bei denen ein strafbares Verhalten lediglich vermutet wird, ohne eindeutig festzustehen. Für entsprechende Meldungen gelten jedoch strikte Vorgaben, die die Bild geflissentlich übergeht.
Insbesondere ist eine identifizierende Berichterstattung im Rahmen der Verdachtsberichterstattung nur unter äußerst strengen Maßstäben erlaubt und sogar im Rahmen von bereits anhängigen Ermittlungsverfahren – und damit im Falle eines konkretisierten Verdachtsmoments – nach den Vorgaben der Rechtsprechung regelmäßig unzulässig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten wiegt selbst in diesen Fällen grundsätzlich schwerer als das Informationsinteresse der Öffentlichkeit, weil die Unschuld des Beschuldigten im Sinne von Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vermutet wird und dieser demnach vor einer Vorverurteilung zu schützen ist.
Zulässig ist eine solche identifizierende Verdachtsberichterstattung beispielsweise dann, wenn die die von ihr betroffene Person von besonderem öffentlichem Interesse ist, wie beispielsweise ein Amtsträger oder ein Prominenter. Ebenfalls zulässig ist die Identifizierung, wenn sich der geäußerte Verdacht auf besonders schwere Straftaten bezieht.
Diese strenge Vorgabe der Berichterstattung über eine besonders schwerwiegende Straftat überwindet die Bild, indem sie die Abgebildeten ganz einfach als Verbrecher vorverurteilt und damit neben der Rolle der Strafverfolgungsbehörden ("Gesucht!") auch gleich jene des Strafgerichts übernimmt. Das ist zumindest konsequent: Die pauschal vorgenommene Bezeichnung als Verbrecher impliziert, dass es sich um besonders schwere Straftaten handeln müsse, was wiederum für die Legitimität der identifizierenden Darstellung sprechen könnte. In der Abgrenzung zum "Vergehen" ist ein Verbrechen eine Straftat, deren Mindeststrafe bei einem Jahr Gefängnis liegt.
So einfach ist aber nicht. Die Bilder zeigen allesamt nur Momentaufnahmen, aus denen der tatsächliche Sachverhalt gerade nicht abschließend festgestellt werden kann. Bei einigen der Personen ist nicht klar, ob sie die Flaschen und Steine auch tatsächlich geworfen haben. Bei anderen Abgebildeten ist wiederum nicht geklärt, ob sie die Steine oder Flaschen auf Menschen oder auf Häuser, Autos oder Schaufenster geschmissen haben, was rechtlich eine gänzlich unterschiedliche Bewertung und eine andere Strafandrohung nach sich zieht. Während also beispielsweise (versuchter) Mord, Totschlag oder auch Körperverletzung mit Todesfolge mit entsprechenden Strafandrohungen nicht unter einem Jahr Freiheitsstrafe Verbrechen sind, stellt andererseits selbst ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs nach § 125 a StGB kein Verbrechen, sondern lediglich ein Vergehen dar.
Und selbst bei dem Verdacht eines Verbrechens ist bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung immer die Unschuldsvermutung zu berücksichtigen. Das heißt, es darf keine Vorverurteilung in der Form erfolgen, dass der Eindruck entsteht, der Abgebildete sei der vorgeworfenen Tat, hier laut Bild eines Verbrechens, bereits überführt.
2/2: Eine Öffentlichkeitsfahndung ist keine Verdachtsberichterstattung
Die Berichterstattung ist damit nach den Vorgaben der Verdachtsberichterstattung unzulässig. Ihre rechtliche Bewertung muss aber genaugenommen bereits einen Schritt früher ansetzen, da es sich nicht lediglich um eine Verdachtsmeldung, sondern vor allem auch um eine Öffentlichkeitsfahndung handelt.
Während Medien im Rahmen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung die Aufgabe zukommt, Missstände und Straftaten in der Gesellschaft durch investigative Recherchen aufzudecken, liegt die Zuständigkeit für Öffentlichkeitsfahndungen ausschließlich bei den Strafverfolgungsbehörden. Weil der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht bei einer solchen öffentlichen Fahndung immens ist, muss selbst die Polizei zuvor sämtliche anderen zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten, wie beispielsweise Zeugenvernehmungen oder Videoauswertungen, ausgeschöpft haben, bevor sie eine Person öffentlich zur Fahndung ausschreibt. Aus diesem Grund kommt es grundsätzlich auch immer erst nach einem gewissen Zeitablauf zu einer Öffentlichkeitsfahndung.
Vor einer durch die Polizei initiierten öffentlichen Fahndung ist darüber hinaus auch immer noch ein offizieller staatsanwaltschaftlicher oder richterlicher Beschluss erforderlich, wie er beispielsweise bei den Öffentlichkeitsfahndungen nach dem U-Bahn-Treter von Berlin oder nach den Jugendlichen, die einen Obdachlosen angezündet haben, vorlag. In diesen Fällen dürfen die Medien die Öffentlichkeitsfahndung der Polizei dann auch zum Anlass identifizierender Berichterstattung nehmen.
Diese hohen Hürden für die ausschließlich zuständigen Polizeibehörden lassen keinen Zweifel daran, dass der öffentliche und bereits unmittelbar nach den Ausschreitungen erfolgte Fahndungsaufruf der Bild-Zeitung rechtswidrig war.
Der Grund für diese äußerst restriktiven Voraussetzungen einer Öffentlichkeitsfahndung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegt im Schutz des Persönlichkeitsrechts. Die Prangerwirkung einer Vorverurteilung durch eine Öffentlichkeitsfahndung ist spätestens im Zeitalter von Social Media tatsächlich nicht mehr auszuräumen. Wenn sich danach im Ermittlungs- oder auch im anschließenden Strafverfahren herausstellt, dass die gesuchte Person doch unschuldig war, ist der angerichtete schwere Reputationsschaden regelmäßig nicht wiedergutzumachen, weil die Feststellung der Unschuld sich erfahrungsgemäß sehr viel schwächer öffentlich verbreitet, als die vorherige Vorverurteilung.
Welche Konsequenzen drohen der Bild?
Da im vorliegenden Fall davon auszugehen ist, dass die Abgebildeten von einer Durchsetzung ihrer Ansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung gegen Bild Print und Bild Online eher absehen werden, wird es wahrscheinlich nur zu einer Rüge des Deutschen Presserats kommen, die in der Praxis leider ein eher stumpfes Schwert darstellt. Interessanter wäre da schon die Prüfung einer möglichen Strafanzeige wegen Amtsanmaßung nach § 132 StGB gegen die verantwortlichen Redakteure. Sollte ein Gericht über die unzulässige Verdachtsberichterstattung hinaus tatsächlich auch eine unzulässige Öffentlichkeitsfahndung durch die Bild bejahen, hätte die Bild mangels polizeilicher Kompetenzen und mangels richterlichem oder staatsanwaltlichem Beschluss eine Handlung vorgenommen, welche nur Kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf. Womit nicht gesagt sein soll, dass es sich bei den verantwortlichen Redakteuren um Verbrecher handelt: Im deutschen Recht ist die Amtsanmaßung aufgrund des angedrohten Strafmaßes (Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe) lediglich ein Vergehen.
Abschließend ist noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Polizei intensive Ermittlungen nach den Tätern vom G20-Gipfel aufgenommen hat. Aktuell können beispielsweise über ein dafür eingerichtetes Portal Videos und Fotos von jedermann hochgeladen werden, die der Polizei bei der Überführung der Täter helfen können. Und wenn die Personalien der Täter in einzelnen, besonders schwerwiegenden Fällen letztlich nicht ermittelt werden können, kommt es vielleicht auch noch zu einer zulässigen Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei.
Der Autor Dr. Niklas Haberkamm, LL.M. oec. ist Partner der Kanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum in Köln. Er ist spezialisiert auf Medienrecht und dort insbesondere auf das Reputationsmanagement sowie den Schutz des Persönlichkeitsrechts.
Niklas Haberkamm, Fahndungsaufruf in der Bild-Zeitung: Wenn Journalisten sich für Staatsanwälte halten . In: Legal Tribune Online, 14.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23459/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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