Alleinerziehende müssen früher arbeiten gehen, wenn Betreuungseinrichtungen für ihre Kinder zur Verfügung stehen. Der BGH hat mit zwei Entscheidungen die Praxis der OLG untersagt, auch nach der Reform des Unterhaltsrechts an alten Strukturen festzuhalten. Herbert Grziwotz über den Abschied vom Altersphasenmodell, seine Folgen - und wie Frauen sie vermeiden können.
Vor allem die Frauen, die in Paarbeziehungen noch immer weit überwiegend die Kinderbetreuung übernehmen, hielten die Luft an, als zum 1. Januar 2008 die Unterhaltsrechtsreform in Kraft trat. Bis dahin hatten die Familiengerichte das so genannte Altersphasenmodell praktiziert, wenn es um den nachehelichen Unterhalt für die Betreuung eines Kindes ging. Nun ist nach dem Willen des Gesetzgebers stattdessen jeweils im konkreten Einzelfall zu entscheiden, ob, wie lange und wie viel Unterhalt für die Kindesbetreuung zu zahlen ist. Dabei sollen die Möglichkeiten genutzt werden, die Kinder in Fremdbetreuung zu geben.
Der Bundesgerichtshof hat diese Vorgaben des Gesetzgebers nun in zwei am Dienstag veröffentlichten Urteilen vom 1. und 15. Juni 2011 konkretisiert (BGH, Az. XII ZR 45/09, XII ZR 94/09). Die Entscheidungen sind keine Revolution, aber zumindest ein kleines Erdbeben. Sie beenden einen jahrelangen Versuch der Oberlandesgerichte (OLG), trotz der gesetzgeberischen Änderungen die bisherige nur wenig modifiziert fortzusetzen.
Bis Ende 2007 war für die Frage, ob das Elternteil, das das gemeinsame Kind betreut, einen Beruf ausüben muss, nur das Alter des Kindes ausschlaggebend. Es spielte keine Rolle, ob konkrete Betreuungsmöglichkeiten bestanden.
Was bisher geschah: Das Altersphasenmodell
Die Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils, im Regelfall also der Mutter, war dabei gestaffelt. Bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres eines Kindes bestand nach der Rechtsprechung des BGH gar keine Erwerbsobliegenheit.
Ab der dritten Grundschuldklasse des betreuten Kindes musste die Mutter bei einem normal entwickelten Kind eine Halbtagstätigkeit aufnehmen. Erst ab dem 15. oder 16. Lebensjahr, wenn die Kinder ohnehin eine sturmfreie Bude haben wollten, musste eine Ganztagstätigkeit aufgenommen werden.
Bei mehreren schulpflichtigen Kindern reduzierte sich die Erwerbsobliegenheit. Lebte also mehr als ein Kind bei dem betreuenden Elternteil, musste diese eine Teilzeittätigkeit nicht vor Vollendung des 14. oder 15. Lebensjahres des ältesten Kindes beginnen.
Basisunterhalt und danach Schluss?
Diese einfachen alten Zeiten sind nun vorbei. Der Gesetzgeber hat mit der Reform des Unterhaltsrechts klargestellt, dass vor Vollendung des 3. Lebensjahres eines Kindes keine Erwerbsobliegenheit besteht (so genannter Basisunterhalt). Erst ab diesem Zeitpunkt ist es denkbar, die Kindsmutter zu verpflichten, einem Beruf nachzugehen. Dabei sind sowohl die Belange des Kindes als auch die bestehenden Betreuungsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Auch nach diesem Zeitpunkt kann es erforderlich sein, den Betreuungsanspruch des Kindes aus Billigkeitsgründen zu verlängern. Allerdings muss dies "das Kindeswohl erfordern". Kindbezogene Gründe haben deshalb bei der Billigkeitsentscheidung darüber, ob der Betreuungsunterhalt verlängert werden soll, das stärkste Gewicht.
Die Interpretation der OLG: Gestufter Übergang auch nach der Reform
Es gibt aber auch elternbezogene Gründe, die zu berücksichtigen sind. Noch immer ist es nicht selten, dass ein Ehegatte seine Berufstätigkeit beendet oder jedenfalls für einen gewissen Zeitraum aussetzt, um das gemeinsame Kind zu betreuen. Auch nach neuer Rechtslage muss dieser Vertrauensschutz eine Rolle spielen, ein abrupter Übergang von der Kinderbetreuung zur Berufstätigkeit ist weiterhin nicht gewollt.
Aus diesem Umstand haben manche Oberlandesgerichte den Schluss gezogen, dass auch nach der Reform ein gestufter Übergang möglich sein soll. Sie praktizierten zwar kein modifiziertes Altersphasenmodell mehr, gingen aber aufgrund von Erfahrungswerten von einem Beurteilungsrahmen aus, der im Einzelfall nur noch auszufüllen war. Im Regelfall wollten sie von den Müttern lediglich eine stufenweise Ausweitung der Erwerbstätigkeit erwarten. Dabei berücksichtigten sie den Umfang der elterlichen Betreuungsanforderung, die neben einer Ganztagsbetreuung in einer Kindertageseinrichtung oder Schule noch verblieben.
Sie orientierten sich am Alter des jüngsten Kindes. Regelmäßig verlangten sie neben der Betreuung eines Kindes im Alter von drei bis acht Jahren (Abschluss der 2. Grundschuldklasse) eine teilschichtige Erwerbstätigkeit bis zum Umfang von 20 Wochenstunden, mindestens aber im Umfang einer geringfügigen Beschäftigung.
Neben der Betreuung eines Kindes im Alter von acht bis zwölf Jahren (Abschluss des sechsten Schuljahres) wurde eine teil- bzw. bis vollschichtige Erwerbstätigkeit von mindestens 20 Wochenstunden gefordert. Erst danach wollten die OLG-Richter den Müttern auferlegen, eine Vollzeittätigkeit auszuüben.
Ganztagsschule oder Mutter?
Karlsruhe aber erwartet mehr von deutschen Müttern: In einem der nun vom für das Familienrecht zuständigen XII. Zivilsenat entschiedenen Fälle besuchte die betreute Tochter die 3. Grundschuldklasse einer offenen Ganztagsschule. Anders als das OLG geben die Bundesrichter ihrer Mutter nicht noch ein bis zwei Jahre Zeit, bis sie wieder eine Halbtagstätigkeit aufnehmen muss.
Sogar eine vollschichtige Berufstätigkeit erwarten die Karlsruher Richter von der beklagten Mutter im zweiten Fall: Besucht der vierjährige Sohn in der Zeit von 7.30 bis 16.30 Uhr einen Vollzeitkindergarten, soll sie ganztätig arbeiten gehen.
Der Senat argumentiert dabei damit, dass der Vater das gemeinsame Kind auch an einem Mittwochnachmittag, samstags bis sonntags oder an den Freitagnachmittagen betreut. Die Kehrseite der Medaille also ist nicht unwichtig: Auch der barunterhaltspflichtige Elternteil kommt als zusätzliche Betreuungsperson in Frage.
Mami muss Geld verdienen!
Die Rechtsprechung zur abgestuften Erwerbstätigkeit, die die Oberlandesgerichte auch nach der Reform des Kindesbetreuungsunterhalts weiter praktizierten, wider spricht nach Ansicht des BGH dem Willen des Gesetzgebers.
Kinderbetreuende Eltern, insbesondere also weiterhin Frauen, müssen früher arbeiten gehen, wenn Betreuungseinrichtungen zur Verfügung stehen. Wollen sie das nicht hinnehmen, weil sie befürchten, dass die Doppelbelastung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit vor allem sie trifft, müssten sie mit ihrem Partner ein individuelles Altersphasenmodell vertraglich regeln – am Besten vor der Schwangerschaft. Dies ist ihnen in einem Ehevertrag möglich.
Allerdings hilft die Vereinbarung dann nichts, wenn der Partner nicht leistungsfähig ist. Verdient er zu wenig, um die Ex-Frau und eine neue Partnerin mit einem Baby zu unterhalten, muss die geschiedene Frau mit den größeren Kindern doch wieder arbeiten gehen.
Auch wenn das hart erscheint, weil die Mutter nach einer Halbtagstätigkeit – anders als bisher – nicht mehr so viel Zeit für ihr Kind hat wie zuvor: Der Gesetzgebers hat die Nutzung von Kinderbetreuungseinrichtungen mit der Reform des Unterhaltsrechts ausdrücklich favorisiert. Ob und inwieweit diese auch bei den Hausaufgaben, einer Vielzahl von Fahrdiensten und beim Zimmeraufräumens unterstützen, Sonderwünsche beim Essen erfüllen und Wäsche waschen und bügeln, wird die Praxis zeigen.
Der BGH hat jedenfalls ein Umdenken angemahnt. Zur Not müssen Kinder vielleicht ihr Zimmer selbst aufräumen, wie dies § 1619 BGB ausdrücklich als gesetzliche Pflicht ohnehin anordnet. Die maulenden Kleinen könnten allerdings nach diesen Entscheidungen in Karlsruhe demonstrieren.
Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel.
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Herbert Grziwotz, BGH zum neuen Unterhaltsrecht: . In: Legal Tribune Online, 03.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3924 (abgerufen am: 10.10.2024 )
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