Im ersten Lockdown ordneten die Behörden die Schließung einiger Geschäfte an. Den BGH beschäftigt erstmals die Frage, ob Mieter dennoch die Miete in voller Höhe entrichten müssen. Marc Alexander Häger und Marvin Rochner wagen eine Prognose.
Erstmals verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) am 1. Dezember 2021 über mögliche Anpassungen der Mietzahlungspflichten bei einer Corona-bedingten Geschäftsschließung (Az. XII ZR 8/21).
Dem zugrunde liegt ein Fall aus Sachsen. Die beklagte Textileinzelhandelskette musste nach Anordnung des ersten Lockdowns im März 2020 eine ihrer Filialen vom 19. März bis einschließlich 19. April 2020 schließen. Unter Berufung auf einen massiven Rückgang ihres Nettoumsatzes in den beiden Monaten zahlte sie für den Monat April 2020 keine Miete. Staatliche Hilfen hat sie nach eigenen Angaben für diesen Zeitraum nicht erhalten. Für sämtliche Mitarbeitende beantragte sie Kurzarbeit.
Ab Mai 2020 zahlte die Beklagte die Miete wieder vollständig. Nach erfolgloser Mahnung klagte der Vermieter auf Zahlung der Miete für den Monat April 2020.
LG Chemnitz sieht keinen Grund für Anpassung der Miete
Die Vorinstanzen bewerteten den Fall unterschiedlich: Das Landgericht (LG) Chemnitz hat die Mieterin zur Zahlung der Miete für den Monat April 2020 verurteilt (Urt. v. 26.08.2020, Az. 4 O 639/20). Die behördlich angeordnete Schließung begründe weder ein Mietminderungsrecht nach § 536 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), noch sei die Gebrauchsüberlassung an die Beklagte unmöglich geworden (§ 275 BGB).
Die Maßnahmen beruhten nicht auf der (baulichen) Beschaffenheit, der Lage oder dem Zustand des Objekts, sondern beträfen nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters. Dieser fiele aber in sein Verwendungsrisiko. Zudem sei eine Nutzung, zum Beispiel zu Sortierarbeiten oder als Lager, weiter möglich gewesen.
Allerdings sah das LG in der unvorhersehbaren flächendeckenden Schließung des Einzelhandels eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Diese führe aber nicht zu einer Anpassung des Vertrages bzw. der Mietzahlungspflicht. Ein Festhalten an der vertraglich vereinbarten Miete sei für die Mieterin mangels existenzgefährdender Lage nicht unzumutbar.
OLG Dresden: Mietanpassung auch ohne Existenzgefährdung
Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hat die Entscheidung des LG teilweise aufgehoben und die Mieterin zur Zahlung der hälftigen Miete für den Monat April 2020 verurteilt (Urt. v. 24.02.2021, Az. 5 U 1782/20). Zwar war nach Ansicht des OLG eine Mietminderung ebenso unbegründet wie ein Entfallen der Mietzahlungspflicht infolge einer unmöglich gewordenen Gebrauchsüberlassung. Allerdings sei die Miete nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage für den betroffenen Zeitraum hälftig zu reduzieren.
Entgegen der Auffassung des LG, hielt das OLG eine existenzgefährdende Lage des Mieters für nicht erforderlich, um eine Anpassung zu begründen. Vielmehr sei die eingetretene Äquivalenzstörung zwischen Mietzahlungspflicht und Gebrauchsüberlassung ausreichend, wenn diese für einen gewissen Zeitraum anhalte und daher nicht unerheblich sei.
Da sich die Schließung im hiesigen Fall über zwei Zahlungstermine erstreckt habe (März und April 2020), sei – auch in Anlehnung an die gesetzgeberische Wertung bei der außerordentlichen Kündigung infolge eines Mietrückstandes (§ 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB) – von einer Erheblichkeit auszugehen.
Konträre Ansichten in Rechtsprechung und Literatur
Die Vorinstanzen spiegeln recht punktgenau den derzeitigen Stand der Diskussion in Rechtsprechung und Literatur wider: Der überwiegende Teil lehnt unter Verweis auf das Verwendungsrisiko des Mieters mittlerweile ein Mietminderungsrecht oder ein Entfallen der Mietzahlungspflicht infolge eines Unmöglichkeitseinwands ab.
Spätestens seit Einführung der Vermutungsregel in Art. 240 § 7 Abs. 1 EGBGB zum Jahreswechsel 2020/21 dreht sich die Diskussion nahezu ausschließlich um die Anwendung und Rechtsfolgen einer Störung der Geschäftsgrundlage. Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.
Grob aufteilen lässt sich das Stimmungsbild in zwei Lager: Die einen halten eine Existenzgefährdung für erforderlich und ausreichend für ein Mietanpassungsrecht (so z. B. OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.02.2021, Az. 7 U 109/20). Die andere Seite nimmt unabhängig von einer konkreten Existenzgefährdung eine quotale Aufteilung vor, wenn der betroffene Zeitraum bzw. die betroffene Miete nicht unerheblich ist und sich daraus unter Umständen existenziell bedeutsame Folgen ergeben (z.B. KG Berlin, Urt. v. 01.04.2021, Az. 8 U 1099/20).
Entscheidet der BGH zugunsten der Mieter?
Wie der BGH diese Frage beantworten wird, ist ebenso offen wie spannend: Der Pressemitteilung lassen sich keine Andeutungen entnehmen. Auffällig ist allenfalls, dass der BGH in seiner Ankündigung neben § 313 BGB und Art. 240 § 7 EGBGB auch § 536 BGB, also die Mietminderung, ausdrücklich erwähnt. Es ist daher zu erwarten, dass er sich umfassend zu den bisher ausgetauschten Argumenten äußert.
Der BGH wird sicherlich eine grundsätzliche Anwendbarkeit des § 313 BGB bestätigen; das folgt bereits aus der gesetzlichen Neuregelung in § 240 § 7 EGBGB. Welche Voraussetzungen die Karlsruher Richterinnen und Richter an die Unzumutbarkeit knüpfen, also an das sogenannte normative Element der Störung der Geschäftsgrundlage, ist offen. Es deutet sich an, dass der BGH ein Anpassungsrecht nicht erst bei nachgewiesener drohender Existenzgefährdung annehmen wird, sondern einen gemäßigteren Ansatz wählt.
Dafür spricht, dass die Hürde der Existenzgefährdung derart hoch ist, dass eine Darlegung im Prozess – wie einige Beispiele zeigen – fast immer misslingt. Bliebe es daher bei dem Kriterium der Existenzgefährdung, wäre ein Anpassungsrecht für Mieterinnen und Mieter in der Praxis nahezu ausgeschlossen. Dieses Ergebnis entspräche aber weder dem Willen, den der Gesetzgeber mit Einführung der Vermutung in § 240 § 7 EGBGB zum Ausdruck gebracht hat, noch ergibt es sich aus dem Tatbestand des § 313 BGB.
Näher liegt daher eine quotale Anpassung unterhalb der Schwelle der Existenzgefährdung, die – als Einzelfallentscheidung – sowohl die wirtschaftliche Situation der Mieterinnen und Mieter als auch der Vermieterinnen und Vermieter in den Blick nimmt. Denn auch für letztere war die Corona-bedingte Schließung im ersten Lockdown ein unvorhergesehenes Ereignis.
Die Autoren Marc Alexander Häger, LL.M. und Marvin Rochner sind Rechtsanwälte bei Oppenhoff. Marc Alexander Häger ist zudem Partner der Sozietät in Köln.
BGH verhandelt zu Corona-Schließungen: . In: Legal Tribune Online, 30.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46792 (abgerufen am: 08.10.2024 )
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