Rechtsanwalt Wolfgang Putz im Interview: "Der BGH hat hun­dert­tau­sende Pati­en­ten­ver­fü­gungen zunichte gemacht"

Interview von Constantin Baron van Lijnden

12.08.2016

2/2: "Offenbar hat die Pro-Leben-Fraktion die Überhand gewonnen"

LTO: Wie viele Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen dürften von der Entscheidung betroffen sein?

Putz: Deutschlandweit mehrere hunderttausend, schätze ich. Die Frau in dem BGH-Verfahren hatte ein Muster der evangelischen Kirche verwendet. Das war recht weit verbreitet, und etliche andere Institutionen haben ähnliche Formulare ausgegeben.

LTO: Der 12. Zivilsenat des BGH hat noch 2014 eine Entscheidung erlassen, die die Geltungsmacht von Patientenverfügungen deutlich stärkte (Beschl. v. 17.09.2014, Az. XII ZB 202/13). Wie kam es zu diesem Kurswechsel?

Putz: Ich kann mir das nur über personelle Änderungen im Senat erklären, wo die Pro-Leben-Fraktion offenbar die Überhand gewonnen hat.

"Der Sterbewunsch wird oft von den nächsten Verwandten vereitelt"

LTO: Was würden Sie Menschen raten, die bereits eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht haben oder jetzt eine anfertigen wollen?

Putz: Man sollte sichergehen, dass die Formulierung spezifisch genug ist, um den Anforderungen des BGH zu genügen. Bei den Formularen, die z.B. der Beck-Verlag anbietet, ist das der Fall. Auch die Musterdokumente, die meine Kanzlei kostenlos anbietet, sind nach dem Urteil weiterhin wirksam.

Mindestens ebenso wichtig ist allerdings die Auswahl der Person, die man bevollmächtigt – auch das führt der aktuelle Fall ja deutlich vor Augen. Es ist häufig so, dass der- oder diejenige sich im Fall der Fälle nicht in der Lage sieht, die emotionale Last und Verantwortung für den endgültigen Tod der Mutter (des Partners, Geschwisterteils, etc…) zu tragen. Viele kommen nicht damit zurecht, dass ein ihnen nahe stehender Mensch aus dem Leben scheidet, und versuchen ihn so lang es irgend geht bei sich zu halten.

Manchmal kommt auch ein gewisser Okkultismus hinzu, z.B. die Vorstellung, mit dem Komatösen irgendwie telepathisch oder emotional kommunizieren zu können. Selbst, wenn die Patientenverfügung dann wirksam ist, können Jahre vergehen, bis ein Verwandter sich durch sämtliche Instanzen geklagt und das Vertretungsrecht anstelle des Bevollmächtigten erhalten hat.

Dafür braucht man einen langen Atem, und für die Kläger kann es sehr belastend sein, zusehen zu müssen, wie ein Angehöriger Tag für Tag im Krankenhaus dahinsiecht. Wissen Sie, wie ein Komapatient nach drei Jahren aussieht? Nicht wie im Film, friedlich schlafend. Der Körper ist nicht dafür gemacht, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr regungslos dazuliegen. Diese Menschen sehen meistens grotesk deformiert aus, es ist ein furchtbares Bild.

LTO: Ihre Mandantin macht trotzdem weiter?

Putz: Sie und ihre Schwester, ja. Der BGH hat die Sache nicht endgültig entschieden, sondern ans Landgericht zurückverwiesen. Dort soll geprüft werden, ob sich der "mutmaßliche Wille" der Mutter z.B. durch Zeugenaussagen o.ä. ermitteln lässt, weil er aus der Patientenverfügung ja angeblich nicht hervorgeht.

In solchen Beweisaufnahmen wird dann alles Mögliche ausgegraben: Wie die Betroffene sich zum Thema Behandlungsabbruch und Sterbehilfe geäußert hat, wann und aus welcher Situation sie ihre eigene Patientenverfügung verfasst hat, etc. Letztlich ist das ein ziemlich wildes Heruminterpretieren in der Psyche eines anderen. Es dürfte nach dem BGH-Beschluss wohl sehr viel häufiger werden.

Wolfgang Putz ist Rechtsanwalt in München und Lehrbeauftragter an der Ludwigs-Maximilian-Universität. Er ist spezialisiert auf Medizinrecht, insb. Patientenrechte am Ende des Lebens und Verfasser zahlreicher Publikationen und Vorträge. In einer Entscheidung, die Rechtsgeschichte schrieb, wurde er 2010 durch den BGH vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen, nachdem eine Mandantin auf sein Anraten den Schlauch zur Magensonde ihrer todkranken Mutter durchtrennt hatte.

Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Rechtsanwalt Wolfgang Putz im Interview: "Der BGH hat hunderttausende Patientenvergungen zunichte gemacht" . In: Legal Tribune Online, 12.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20276/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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