Keine weibliche Anrede in Bankformularen: Die objek­tive Sicht des ver­stän­digen Senats

von Pia Lorenz

13.03.2018

Banken dürfen in ihren Formularen auch künftig nur die männliche Form verwenden, entschied der BGH am Dienstag. Für Karlsruhe ist Sprache die Sprache des Gesetzes. Dennoch könnte der Streit Anlass sein, Formulare für Menschen zu machen.

Die Sparkasse im saarländischen Sulzbach und mit ihr hunderte andere Banken, Versicherer und Benutzer von vorgedruckten Formularen müssen diese nicht ändern. Eine Sparkassenkundin hat keinen Anspruch darauf, in den Formularen als "Kundin" oder sonst wie in weiblicher Form angesprochen zu werden.  Das entschied am Dienstag der Bundesgerichtshof (BGH, Urt.v. 13.03.2018, Az. Az. VI ZR 143/17). 

Die Auffassung, dass es Frauen diskriminiere, wenn in den Formularen von Banken nur von "Kunden" und "Kontoinhabern" die Rede ist, teilte der VI. Zivilsenat nicht. Wie in den Vorinstanzen konnte die 80-jährige Feministin Marlies Krämer aus Sulzbach sich auch mit ihrer Revision in Karlsruhe nicht durchsetzen.

Die bloße Verwendung generisch maskuliner Personenbezeichnungen benachteilige sie nicht im Sinne von § 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), begründet der BGH seine Entscheidung. Schließlich verwende selbst das Gesetz nicht durchgängig neutrale Sprachformen. Und das Gesetz sei schließlich zugleich "prägend wie kennzeichnend für den allgemeinen Sprachgebrauch".

Die objektive Sicht des verständigen Senats

Bereits nach der mündlichen Verhandlung hatte Krämer angekündigt, "auf jeden Fall vor das Bundesverfassungsgericht und "notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof" zu ziehen, wenn sie beim BGH unterliegen sollte.

Der Formular-Streit ist für die Feministin keine Petitesse. "Ich sehe das überhaupt nicht mehr ein, dass ich als Frau totgeschwiegen werde." Und: "Ich will es jetzt wissen", betonte die Seniorin und ehemalige Kommunalpolitikerin der SPD, die mittlerweile Parteimitglied von Die Linke ist. 

Aber um Krämers Wahrnehmung geht es nicht, machte der BGH am Dienstag klar. Eine Berufung Krämers auf die Vorschrift des § 28 S. 1 des Saarländischen Landesgleichstellungsgesetzes, die die Dienststellen zum Beispiel für Rechtsvorschriften, Vordrucke und amtliche Schreiben verpflichtet, geschlechtsneutrale Bezeichnungen zu verwenden, lehnt er in seiner Mitteilung vom Dienstag knapp ab. Sie gewähre keinen individuellen Anspruch und sei kein Schutzgesetz.

Für die danach entscheidende Frage nach einer Benachteiligung im Sinne von Art. 3 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz stellt der BGH ab auf die objektive Sicht eines verständigen Dritten. Dabei kommt der mit drei Richtern und zwei Richterinnen besetzte Senat zu dem Ergebnis, dass der Bedeutungsgehalt grammatisch männlicher Personenbezeichnungen "nach dem allgemein üblichen Sprachgebrauch und Sprachverständnis Personen umfassen kann, deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist ("generisches Maskulinum")". Ein solcher Sprachgebrauch bringe "keine Geringschätzung gegenüber Personen zum Ausdruck, deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist".

Sprache ist die Sprache des Gesetzes

Klägerin Krämer sieht das naturgemäß anders, für sie ist Sprache "der Schlüssel zur Gleichberechtigung." Für die Bundesrichter ist aber Sprache die Sprache des Gesetzes. Sie sei, so der BGH, "zugleich prägend wie kennzeichnend für den allgemeinen Sprachgebrauch und das sich daraus ergebende Sprachverständnis".

Dabei handelt es sich offenbar um eine Art Erst-Recht-Schluss. Dieses Argument wurde auch bereits während der mündlichen Verhandlung diskutiert: Nicht einmal in allen Gesetzen werde durchgehend gegendert, argumentierte der BGH. Vielmehr verwendeten viele Gesetze weiterhin das generische Maskulinum, obwohl Gesetzgebung und Verwaltung ganz ausdrücklich gehalten sind, die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen.

Da hilft der Klägerin auch die jahrzehntelange Debatte um die Benachteiligung von Frauen durch Sprachsystem und Sprachgebrauch nicht. Das generische Maskulinum könnte zwar "als benachteiligend kritisiert und teilweise nicht mehr so selbstverständlich als verallgemeinernd empfunden werden, wie dies noch in der Vergangenheit der Fall gewesen sein mag", aber das Gesetz spricht eben eine andere Sprache, so der BGH.

Auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität sieht der Senat nicht. Schließlich spreche die Bank Marlies Krämer in persönlichen Gesprächen und in individuellen Schreiben mit der Anrede "Frau" an und das generische Maskulinum in Vordrucken und Formularen greife nicht in den Schutzbereich des Grundrechts ein. Auch aus Art. 3 Grundgesetz ergebe sich der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch "angesichts des allgemein üblichen Sprachgebrauchs und Sprachverständnisses nicht".

djB-Präsidentin: "Wichtige gesellschaftliche Debatte angestoßen"

Mit seiner Entscheidung entspricht der Senat im Wesentlichen der Auffassung der Interessenvertretung Deutsche Kreditwirtschaft. Ihres Erachtens ist es ausreichend, dass Institute ihre Kunden "in Wort und Schrift grundsätzlich geschlechtsspezifisch ansprechen". Wie "Unternehmen in anderen Wirtschaftsbereichen, der Gesetzgeber und die Rechtsprechung" verwende man in Formularen das "geschlechtsneutrale generische Maskulinum", erklärte der Verband am Tag der mündlichen Verhandlung

Die Branchenvertreter argumentieren auch damit, dass eine Regelung, die neben dem männlichen nur das weibliche Geschlecht aufführt, zu kurz greifen würde. Die Gegner geschlechtsneutraler Sprache, zu denen auch der Regensburger Rechtslehrer Tonio Walter zählt, beziehen sich vor allem seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum 'dritten Geschlecht' auch auf die aktuelle geschlechtersoziologische Diskussion, um ihre Ablehnung des "Genderns" zu begründen.

Für Maria Wersig ist es "bedauerlich, dass der BGH keinen individuellen Anspruch auf Verwendung geschlechtergerechter Sprache in den Regelungen des saarländischen Gleichstellungsgesetzes zum Thema erkennen konnte". Aus Sicht der Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds ändert die Entscheidung nichts daran, "dass auch die Sparkasse diesem Gesetz unterliegt und demzufolge die Regelungen zu geschlechtergerechter Sprache umzusetzen hat".

Die Bezugnahme auf den Sprachgebrauch des Gesetzgebers, der "selbst u.a. im BGB zum Teil nur die männliche Form verwendet und somit Standards setze", kann Wersig kaum nachvollziehen: "Nur weil der Gesetzgeber seine eigenen Vorgaben nicht immer umsetzt, ergibt sich daraus kein Anspruch anderer Institutionen, Frauen gleichfalls sprachlich auszuschließen".

Aus Sicht der Dortmunder Rechtslehrerin hat die Klägerin mit dem Verfahren dennoch eine wichtige gesellschaftliche Debatte angestoßen und damit viel erreicht. "Geschlechtergerechte Ansprache bleibt ein Thema für die Wirtschaft, weil die Kundinnen sonst mit den Füßen abstimmen."

Formulare für Menschen?

Einen pragmatischen Ansatz schlägt Rechtsanwalt Stefan Loebisch vor. "Generische Maskulina sind nicht die einzige Lösung, um logistischen Overkill im Formularschrank zu vermeiden", so der IT-Rechtler aus Passau gegenüber LTO, für den "mehr dafür spricht als dagegen, dass es in naher und mittlerer Zukunft weitere gerichtliche Auseinandersetzungen um die Verwendung generischer Maskulina geben wird – und dass ein Gericht den Weg nach oben zum BGH erneut freimachen wird mit der Begründung, seit dem Urteil vom 13. März 2018 hätten sich die maßgeblichen gesellschaftlichen Ansichten weiter verändert", so der IT-Rechtler aus Passau gegenüber LTO.

Loebisch macht einen anderen Vorschlag: die direkte Ansprache. Wer sie verwende, müsse sich gar nicht entscheiden zwischen "Der Kunde verpflichtet sich" und – womöglich auch Intersexuelle umfassend  – "Kundschaft verpflichtet sich". Wer stattdessen schreibt "Sie verpflichten sich, den Kaufpreis innerhalb von acht Tagen ab Rechnungsdatum zu zahlen", könnte nicht nur die Gender-Problematik umgehen, sondern gleich auch noch Rechtssprache aus ihrer Abstraktheit holen und verständlicher machen, regt der Anwalt an. "Schließlich richten sich Allgemeine Geschäftsbedingungen und Vertragsformulare am Ende nicht an die Menschheit schlechthin, sondern an die jeweilige Vertragspartei – aus wie vielen Personen welchen Geschlechts sie sich auch immer zusammensetzt".

Das wäre eine einfache Möglichkeit, die Rechtssprache besser zu machen. Die Fortentwicklung von Sprache insgesamt sollte man - nicht erst nach der Entscheidung des VI. Senats von Dienstag – womöglich nicht unbedingt beim BGH ansiedeln.

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Keine weibliche Anrede in Bankformularen: Die objektive Sicht des verständigen Senats . In: Legal Tribune Online, 13.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27481/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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