Im Juli vergangenen Jahres erklärte der EuGH das verbindliche Preisrecht der Architekten und Ingenieure für europarechtswidrig. Was das für laufende Gerichtsverfahren und die Vertragsabwicklung bedeutet, erläutert Heiko Fuchs.
Auch die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) vollzieht einen „Dead-Cat-Bounce“, eine Metapher, die man eigentlich vom Börsenparkett kennt. Sie beschreibt die nicht nachhaltige Erholung eines Wertpapierkurses nach einem starken Einbruch. Den Todesstoß für das in der HOAI geregelte verbindliche Preisrahmenrecht hat der EuGH im Juli 2019 in einem gegen Deutschland gerichteten Vertragsverletzungsverfahren gesetzt (Urt. v. 04.07.2019, Az. C-377/17): Deutschland habe durch die Beibehaltung des Preisrechts gegen die sog. Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) verstoßen.
Mit dieser Feststellung hat er die tote Katze aus großer Luxemburger Höhe auf den Boden deutscher Rechtsprechung geschleudert, um im Bild zu bleiben. Dort entbrannte ein verbissen geführter Meinungskampf unter den Oberlandesgerichten, sekundiert von nicht weniger selbstbewusst vorgetragene Sichtweisen der rechtswissenschaftlichen Literatur. Kern des Streits ist die Frage, ob die nationalen Gerichte nach dem EuGH-Urteil den verbindlichen Mindestsatz selbst unangewendet lassen oder die Reaktion des deutschen Gesetz- und Verordnungsgebers abwarten müssen.
Konkret stehen die sogenannten Aufstockungsklagen im Fokus, mit denen der Architekt oder Ingenieur unter Berufung auf das verbindliche Preisrecht der HOAI die Unwirksamkeit einer Honorarvereinbarung wegen Unterschreitens des in § 7 HOAI geregelten Mindestsatzes gegen ihren Auftraggeber geltend machen. Der Riss zieht sich nicht nur entlang der verschiedenen OLG-Bezirke. Landgerichte widersprachen (bspw. in München) ihren Berufungsgerichten, aber auch innerhalb eines Gerichts (wie des Kammergerichts in Berlin) beurteilten zwei Bausenate dieselbe Frage unterschiedlich.
Daher sollte nunmehr der BGH in einem vom OLG Hamm entschiedenen Fall in der Revisionsinstanz für Klarheit sorgen, wie mit den hunderten anhängigen und den vielen noch in der Vorbereitung befindlichen Aufstockungsklagen oder außergerichtlichen Mindestsatzforderungen umzugehen ist. Doch mit derselben Wucht, mit der die tote HOAI-Katze hier aufgeschlagen ist, springt sie nun noch einmal zurück zum EuGH.
Denn der BGH hat den Streit nicht in der Sache entschieden, sondern sein Verfahren ausgesetzt und dem EuGH drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschl. v. 14.07.2020, Az. VII ZR 174/19): Ist die Dienstleistungsrichtlinie in einem Rechtsstreit zwischen Privaten unmittelbar anwendbar, in dem die Geltung des verbindlichen Preisrahmens gem. § 7 HOAI im Streit steht? Falls nein, verstößt dieser Preisrahmen gegen die in Art. 49 AEUV kodifizierte Niederlassungsfreiheit? Falls ja, folgt dadurch auch für eine unter privaten Inländern geführte Aufstockungsklage zur Unanwendbarkeit des § 7 HOAI?
BGH will Mindestsätze weiter anwenden
Der VII. Zivilsenat des BGH tendiert dabei zu der Auffassung, die bis zu einem Tätigwerden des Gesetzgebers die verbindlichen Mindestsätze trotz des EuGH-Urteils im Vertragsverletzungsverfahren weiter anwenden will und die diese Sätze unterschreitende Honorarvereinbarungen für unwirksam hält. Das Urteil selbst zwinge die nationalen Gerichte nicht, von der Unwirksamkeit des § 7 HOAI auszugehen. Eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschrift komme ebenfalls nicht in Betracht, da der Verordnungsgeber im Fall der HOAI 2009 und auch der aktuellen HOAI 2013 an den Mindestsätzen in Kenntnis der Vorgaben der Dienstleistungsrichtlinie, aber in unzutreffender Beurteilung ihrer Auslegung, festhalten wollte. Durch die Beschränkung auf inländische Sachverhalte sollte die HOAI europafest gemacht werden – was der EuGH aber im letzten Sommer nicht ausreichen ließ.
Damit komme es, so der BGH heute weiter, auf die Frage an, ob die Dienstleistungsrichtlinie auch zwischen Privaten unmittelbare Anwendung finde. Im Ergebnis sei dies eher zu verneinen, da grundsätzlich nur Verordnungen der EU unmittelbare Wirkung haben dürften und sich Richtlinien demgegenüber, bis auf wenige Ausnahmen, nur an den nationalen Gesetzgeber richteten. Ob diese in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Ausnahmen hier vorlägen, sei jedenfalls hoch umstritten. Möglicherweise könne, so der BGH schließlich, jedoch auch ein Verstoß gegen die in Art. 49 AEUV geregelte Niederlassungsfreiheit, die durch die Richtlinie konkretisiert werde, vorliegen. Dies sei aber zweifelhaft, da nur ein inländischer Sachverhalt zu beurteilen sein, der diese Grundfreiheit nicht berühre.
Eine eigene Entscheidung sei dem BGH insoweit nur möglich, soweit an der richtigen Auslegung und Anwendung des europäischen Primär- und Sekundärrechts kein vernünftiger Zweifel verbleibe. Angesichts des in Deutschland festzustellenden Meinungsstreits, der sich beiderseitig auf EuGH-Rechtsprechung berufe, könnten Zweifel aber nicht ausgeschlossen werden. Daher sei der EuGH der gesetzliche Richter, der dazu berufen sei, die vorgenannten Fragen zu beantworten.
Was wird aus den laufenden Aufstockungsklagen?
Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH dauern im Schnitt gut 15 Monate nach Eingang der Vorlageentscheidung. Selbst wenn der EuGH mit Blick auf die in Deutschland festzustellenden rechtlichen Verwerfungen rasch urteilt, ist zuvor (wahrscheinlich noch in diesem Jahr) mit einem Inkrafttreten der neuen HOAI, die sich aktuell im dafür zuständigen Bundeswirtschaftsministerium in Überarbeitung befindet, zu rechnen. Doch das „honorarrechtliche Interregnum“ (Seifert NZBau 2020, 207), die Phase der rechtlichen Unsicherheit, wird durch eine neue HOAI nicht geklärt werden, da diese „ex nunc“ gelten dürfte, also erst für nach ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Verträge.
Bis zu einer Entscheidung des EuGH werden sich die deutschen Gerichte also weiter mit Aufstockungsklagen herumschlagen müssen. Sie können sich einer der streitigen Auffassungen anschließen und in der Sache entscheiden, sie können und werden wahrscheinlich eher diese Klagen aber mit Blick auf das Vorabentscheidungsverfahren aussetzen.
Denn wenn sich der BGH schon nicht in der Lage sieht, die aufgeworfenen Fragen zu klären, wieso soll dies bei einem Instanzgericht anders sein? Und in Verträgen mit Architekten und Ingenieuren müssen die Auftraggeber weiter damit rechnen, mit vom vereinbarten Honorar abweichenden Forderungen (in einem der dem BGH heute vorliegenden Verfahren in Höhe von fast 600 Prozent!) konfrontiert zu werden, wenn die vereinbarte Vergütung die Mindestsätze der HOAI unterschreitet. So lange, bis die tote Katze Preisrahmenrecht endlich auf Geheiß des EuGH begraben wird.
Prof. Dr. Heiko Fuchs ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Honorarprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
BGH legt Preisrecht der Architekten dem EuGH vor: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41624 (abgerufen am: 11.11.2024 )
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