2/2: BGH: Verbotene Äußerungen so gar nicht gefallen
Der Bundesgerichtshof (BGH) hob beide Urteile nun auf und stellte sich auf die Seite der Satire. Das OLG Hamburg habe den angegriffenen Äußerungen schon einen unzutreffenden Sinngehalt entnommen.
Bei korrekter Ermittlung des Aussagegehalts hätten die Kabarettisten dem BGH zufolge die angegriffenen Aussagen gar nicht getätigt, so dass sie auch nicht hätten verboten werden können Bundesgerichtshof, Urt. v. 10.01.2017, Az, VI ZR 561/15, VI ZR 562/15).
Zur Erfassung des Aussagegehalts müsse eine Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist, so der VI. Zivilsenat am Dienstag. Äußerungen im Rahmen eines satirischen Beitrags seien zudem zur Ermittlung ihres eigentlichen Aussagegehalts von ihrer satirischen Einkleidung, der die Verfremdung wesenseigen ist, zu entkleiden. Bei einem satirischen Fernsehbeitrag komme es darauf an, welche Botschaft bei einem unvoreingenommenen und verständigen Zuschauer angesichts der Vielzahl der auf einen Moment konzentrierten Eindrücke ankommt.
Auf dieser Grundlage sieht der Senat in dem Beitrag der Anstalt im Wesentlichen nur die Aussage, es bestünden Verbindungen zwischen den Klägern und in der Sendung genannten Organisationen. Diese Aussage sei, so die Mitteilung aus Karlsruhe knapp, zutreffend.
Schlechte Hamburger Tradition
Das ZDF begrüßte die Entscheidungen des BGH. "Die Urteile unterstreichen den besonderen Stellenwert der Satirefreiheit und sichern den Gestaltungsspielraum, auf den die Satire im öffentlichen Diskurs zwingend angewiesen ist", kommentierte ein Sprecher des Senders gegenber LTO.
Äußerungen und Aussagen hineinzuinterpretieren, die so tatsächlich gar nicht getätigt wurden, hat an den Hamburger Gerichten eine zweifelhafte Tradition. Nicht zufällig suchte sich Erdoğans Rechtsanwalt das LG Hamburg als Gerichtsort für seinen Prozess gegen Satiriker Böhmermann aus.
Der BGH kritisiert seit über einem Jahrzehnt die Kollegen an der Alster für Haarspaltereien und das Ausblenden des Gesamtzusammenhangs, in dem eine Äußerung fällt. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts bewerten eine in Hamburg schematisch zulasten der Pressefreiheit vorgenommene Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht als "verfassungsrechtlich bedenkliche Verkürzung" (Urt. v. 09.03.2010, Az. 1 BvR 1891/05).
Klagen namhafter Journalisten gegen Medien, und damit die eigene Branche, sind extrem selten. Zuletzt blamierte sich Helmut Markwort am BGH, der eine Pflicht zur redaktionellen Nachrecherche von Interviews forderte. Insbesondere gegenüber Kabarettisten lassen es allenfalls Kirchenfürsten an Souveränität fehlen – oder neuerdings türkische Präsidenten.
Der Autor Markus Kompa ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in Köln. Als Autor publiziert er zu Presserecht, Politik und Geheimdiensten.
Markus Kompa, Satirische Äußerungen: . In: Legal Tribune Online, 10.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21725 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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