Der V. Senat des BGH verhandelt: Bald auch im Kauf­recht kein fik­tiver Scha­dens­er­satz mehr?

von Pia Lorenz

12.03.2020

Als der VII. Zivilsenat im Jahr 2018 entschied, dass einen Schaden nur noch abrechnen darf, wer ihn auch beseitigt, gab er sich viel Mühe, das aufs Werkvertragsrecht zu beschränken. Aber wie anders kann Schadensersatz im Kaufrecht sein?

Am Freitag verhandelt der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) darüber, ob der Verkäufer einer Eigentumswohnung rund 12.300 Euro – ohne Umsatzsteuer – wegen Schimmelbefalls im Schlafzimmer ersetzen muss, obwohl die Käufer den Feuchtigkeitsschaden noch gar nicht haben beseitigen lassen (Az. V ZR 33/19). Der u.a. für das Immobilienkaufrecht zuständige Senat kann damit über die Frage entscheiden, ob nach dem Werkvertragsrecht nun auch das Kaufrecht in Sachen fiktiver Schadensersatz umgekrempelt wird.

Anlass für die Zulassung der Revision durch das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf war eine Entscheidung des für das Werkvertragsrecht zuständigen VII. Zivilsenats. Der hatte in einer Bausache im Jahr 2018 entschieden, dass es im Werkvertragsrecht keine fiktive Schadensbemessung von Mängelbeseitigungskosten mehr gibt (Urt. v. 22.02.2018, Az. VII ZR 46/17). Seitdem kann der Besteller eines Werks, zum Beispiel der Bauherr oder Bauträger, nicht mehr verlangen, dass der Bauunternehmer, der einen Schaden verursacht hat, ihm die Kosten für die Beseitigung auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags ersetzt. Jetzt muss der Besteller den Schaden erst - auf eigene Kosten - beheben lassen und diese Kosten dann in Rechnung stellen.

Das Urteil markierte eine Kehrtwende im Schadensersatzrecht - und doch sahen die Baurechtler vom VII. Senat keine Veranlassung, bei den Kollegen der anderen BGH-Senate anzufragen, ob diese an ihrer Rechtsprechung festhalten wollen oder es einer Vorlage an den Großen Senat bedarf. Das Urteil betreffe nur das Werkvertragsrecht, betonten sie, für das Kaufrecht gelte all das nicht zwingend. Die Abschaffung des fiktiven Schadensersatzes im Baurecht beruhe vielmehr, so der Werkvertragssenat, auf den Besonderheiten des Werkvertragsrechts. Diese würden es auch dann rechtfertigen, "die Bemessung des Schadensersatzes statt der Leistung im Werkvertragsrecht anders vorzunehmen, wenn für das Kaufrecht an der bisherigen Auffassung festzuhalten wäre".

Ob der V. Zivilsenat das tun will, dürfte sich am Freitag zeigen.

Revision zur Klärung des fiktiven Schadensersatzes im Kaufrecht zugelassen

Immerhin stützen der V. und der VIII. Zivilsenat, die u.a. für das Kaufrecht zuständig sind, ihre Rechtsprechung zum fiktiven Schadensersatz im Kaufrecht auf eben die Rechtsprechung zum Werkvertragsrecht, die der VII. Senat nun geändert hat.

Deshalb hat das OLG Düsseldorf als Berufungsinstanz auch die Revision zugelassen. Die OLG-Richter billigten, wie schon zuvor auch das Landgericht, den Käufern der Wohnung mit dem Schimmelbefall im Schlafzimmer einen Anspruch auf den sogenannten kleinen Schadensersatz zu, obwohl die den Schaden noch gar nicht hatten beseitigen lassen. Beim kleinen Schadensersatz will der Käufer den Mangel beseitigen lassen, aber am Kaufvertrag insgesamt festhalten (§§ 437 Nr. 3 i.V.m. § 280 Abs. 1, 3, § 281 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB).

Das OLG Düsseldorf will den Ersatz von Mängelbeseitigungskosten im Kaufrecht auch nach dem Urteil des VII. Zivilsenats nicht davon abhängig machen, dass die Kosten auch tatsächlich bereits gezahlt wurden. Das Urteil gelte nur für das Werkvertragsrecht und nicht für den Fall des Immobilienkaufs. Für den bleibe vielmehr die bisherige Rechtsprechung des V. Zivilsenats zum Immobilienkauf anwendbar, es wäre also egal, ob der Käufer den Mangel beseitigt oder nicht.

Der Käufer kriegt keinen Vorschuss

Zur Begründung greifen die Düsseldorfer Richter auf die vom Baurechtssenat geäußerten Argumente zurück: Während im Werkvertragsrecht, typischerweise vor allem in Bausachen, der Besteller einen Vorschuss verlangen kann, um den Mangel beseitigen zu lassen, gibt es einen solchen Anspruch auf einen Vorschuss für den Käufer nicht. Tritt bei ihm ein Schaden ein, den er nicht mehr auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags geltend machen könnte, müsste der Käufer erhebliche Kosten vorfinanzieren.

Der VII. Senat hat in seiner Entscheidung auch mit dem Mangelbegriff und einer ungerechtfertigten Bereicherung durch die fiktive Schadensersatzberechnung argumentiert. Ein Mangel sei, so die Bundesrichter in Abkehr von ihrem Verständnis bis dahin, zunächst einmal nur ein Leistungsdefizit, weil das Werk hinter der geschuldeten Leistung zurückbleibt. Mit einer Schadensbemessung nach fiktiven Maßstäben würde dieses Defizit– vor allem im Baurecht - bei wertender Betrachtung nicht zutreffend abgebildet.

Vielmehr führe eine fiktive Schadensberechnung häufig zu einer Überkompensation des Bestellers, zu einer ungerechtfertigten Bereicherung. Wer beispielsweise Hunderttausende Euro ausgezahlt bekommt für die Beseitigung eines Schadens, dessen Auswirkungen er auf andere Art für bloß 50.000 Euro verhindern kann, der konnte schon ein gutes Geschäft machen. Wenn der Bauunternehmer oder Architekt zudem erst nach einem jahrelangen Rechtsstreit zur Zahlung verurteilt wurde, waren allein schon die Zinsen Grund zur Freude.

Ist nicht auch der Käufer ungerechtfertigt bereichert?

Aber wie sehr unterscheidet sich das Werkvertragsrecht wirklich von der Situation beim Kauf? Auch der beklagte Verkäufer der Wohnung, der die Zahlung insgesamt verweigert, weil der Schaden noch nicht beseitigt ist, bezieht sich auf das Urteil zum Werkvertragsrecht und die dort vorgenommene Abgrenzung zum Kaufrecht (Rn. 69 ff). Er zieht Parallelen zum Immobilienkauf und plädiert dafür, auch das kaufrechtliche Schadensersatzrecht stärker als bisher an den tatsächlichen Dispositionen des Käufers auszurichten.

Die mögliche erhebliche Überkompensation des geschädigten Bestellers, mit der der Baurechtssenat für das Werkvertragsrecht argumentiert hatte, bestehe auch für den Käufer einer Sache, so der Verkäufer. Je nach Art und Ausmaß eines entstandenen Schadens sind gerade beim Kauf von Immobilien hohe Summen denkbar.

Die Verhandlung am Freitag könnte zeigen, ob der V. Zivilsenat tatsächlich einen neuen, anderen Ansatz zur Schadensberechnung bloß im Werkvertragsrecht verortet. Wie groß wird er die Unterschiede einschätzen zwischen dem Mangel einer Kaufsache, die manchmal viel schneller neu hergestellt ist als repariert, und dem Mangel an einem (Bau-)Werk, der zudem das Potenzial hat, riesige Folgeschäden an anderen Sachen des Bestellers zu verursachen?

Wenn er zu der Auffassung kommt, dass allgemeine Grundsätze des Schadensersatzrechts betroffen sind, wird der V. Zivilsenat den Großen Senat für Zivilsachen mit der Rechtsfrage befassen, da auch die Rechtsprechung weiterer Zivilsenate betroffen wäre.

Zitiervorschlag

Der V. Senat des BGH verhandelt: Bald auch im Kaufrecht kein fiktiver Schadensersatz mehr? . In: Legal Tribune Online, 12.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40811/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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