Seit zehn Jahren wehrt ein Produzent sich gegen Musikvideos bei YouTube. Nun verhandelt der BGH darüber, ob die Plattform für Urheberrechtsverletzungen von Usern haftet. Für Marcus Nothhelfer geht es auch um einen praktikablen Rechtsrahmen.
Anm. d. Red., 9. Mai 2018, 8:50 Uhr: Dieser Artikel wurde bereits am 22. Februar 2018 veröffentlicht. An diesem Tag sollte der I. Zivilsenat ursprünglich in dieser Sache verhandeln. Der Termin wurde dann verlegt auf den heutigen Mittwoch.
Muss YouTube Verantwortung dafür übernehmen und selbst haften, wenn Nutzer unberechtigt Inhalte auf die Plattform hochladen? Mit dieser Frage beschäftigt sich am Mittwoch der Bundesgerichtshof (BGH), dessen Entscheidung (Az. I ZR 140/15) mit Spannung erwartet wird. Regelmäßig werden die Videos der Öffentlichkeit auf diesem Weg zur Verfügung gestellt, ohne dass die betroffenen Rechteinhaber hierfür eine Berechtigung oder Lizenz erteilt haben. Neben der YouTube LLC als Plattformbetreiberin hat der Hamburger Musikproduzent Frank Peterson in diesem Verfahren auch Google Inc., als deren Alleingesellschafterin, verklagt.
Der Fall, über den der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat nun zu entscheiden hat, ist fast 10 Jahre alt. Die Entscheidung der Vorinstanz, des OLG Hamburg (5 U 175/10), erging bereits am 1. Juni 2015, also vor bald drei Jahren.
Dass YouTube in vielen Konstellationen eine gewisse Verantwortung übernehmen soll, ist nach dem Stand der Rechtsprechung kaum noch anzuzweifeln. Wichtige Detailfragen sind aber höchstrichterlich noch nicht geklärt. Aufgrund der erheblichen Reichweite und des massenhaften Inhalte-Angebots auf der Plattform sind sie für unzählige Rechteinhaber, Verbände, Dienstleister und Plattformbetreiber hochrelevant.
Zwischen Urheberrecht und Vermarktung
Der Schutz der Urheber ist ein hohes Gut. Doch stellt die Rechtsprechung in Deutschland Plattformanbietern wie YouTube auch einen fairen Rechtsrahmen bereit, in dem sie sich mit kommerziell vertretbarem Aufwand bewegen können? Schließlich handelt es sich bei der Plattform um ein wichtiges und seriöses Vermarktungsvehikel.
Damals, im Juni 2015, urteilte das OLG Hamburg am selben Tag über ein Parallelverfahren (5 U 87/12), das von der GEMA betrieben wurde – und erlegte YouTube eine durchaus weitreichende Verantwortung auf. Doch Ende 2016 wurde im Streit zwischen GEMA und YouTube eine Einigung erzielt, so dass dem BGH die Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme verwehrt blieb. Die seinerzeit zahlreichen berühmt-berüchtigten roten Sperrtafeln ("Das Video ist ‚wegen einer fehlenden Einigung‘ mit der GEMA in Deutschland leider nicht verfügbar") verschwanden über Nacht von der Plattform der Google-Tochter. Ein gewaltiges Repertoire an Videos, an denen die GEMA Internet-Rechte hält, wurde für Nutzer auch in Deutschland frei zugänglich.
Der Parallelfall, der im Mai* zur mündlichen Verhandlung vor dem BGH ansteht, wurde hingegen nicht durch Einigung erledigt, denn hier klagt ein unabhängiger Musikproduzent. Und es wird nicht nur Juristen interessieren, ob der BGH sich der Auffassung der Hamburger Richter anschließen wird. Auf YouTube werden tagtäglich wohl tausendfach Inhalte öffentlich zugänglich gemacht, deren Rechteinhaber nicht von Verwertungsgesellschaften wie der GEMA vertreten werden.
OLG Hamburg: Notice and take down, YouTube als Störer
Das OLG Hamburg entschied, dass die YouTube LLC als Betreiberin der Plattform YouTube zwar in allen typischen Fallkonstellationen nicht Täterin, Mittäterin oder Teilnehmerin einer Urheberrechtsverletzung sei. Sie habe sich die rechtswidrigen Inhalte auch nicht zu eigen gemacht, etwa durch Verbindung mit Werbeunterbrechungen und -Zuspielern – was ebenfalls zu einer Haftung als Tatbeteiligte führen könnte. Wenn ihr aber eine konkrete Rechtsverletzung mitgeteilt werde, dann müsse sie, so der Senat, in ihrer Eigenschaft als Störerin alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Rechtsverletzungen treffen. Es sei nicht nur das konkrete Angebot unverzüglich zu sperren, sondern es müsse auch dafür gesorgt werden, dass es nicht zu weiteren Rechtsverletzungen kommt.
Als Störer kann nach ständiger Rechtsprechung des BGH bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt. Zwar darf über das Vehikel der Störerhaftung, einem Haftungsinstitut, das allein der deutschen, richterlichen Rechtsfortbildung entstammt, keine allgemeine Prüfungspflicht für Diensteanbieter statuiert werden. Denn spätestens das würde klar mit § 7 (2) Telemediengesetz (TMG) kollidieren. Nach der europarechtlich begründeten Regelung sind klassische Host-Provider im Grundsatz nicht verpflichtet, "die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen."
Jedoch ist YouTube nach Auffassung des OLG Hamburg längst kein klassischer Host-Provider mehr. Das Unternehmen soll, sobald auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen, nicht nur das konkrete Angebot unverzüglich sperren, sondern auch Vorsorge treffen müssen, damit es möglichst nicht zu weiteren derartigen Schutzrechtsverletzungen kommt.
Worüber der BGH zu entscheiden hat
Der BGH wird nun darüber zu befinden haben, ob er der Argumentation des OLG folgt und, wenn ja, welche Vorsorgemaßnahmen er konkret von YouTube erwartet. Sehr wichtig wird auch sein, wie schnell YouTube, auf welche Anregungen hin, zu reagieren hat. Das OLG Hamburg führte im Parallelfall 5 U 87/12 u.a. noch aus "Auch der Umstand, dass [YouTube] ihren Dienst in einem sehr großen Umfang betreibt, der ihr die Überprüfung auf bzw. das Abstellen von Rechtsverletzungen erheblich erschwert, kann sie in diesem Zusammenhang nicht entlasten."
Allerdings, so räumten auch die Hamburger Richter ein, werde wohl zu berücksichtigen sein, dass jedenfalls „…rudimentäre, laienhafte, von Störgeräuschen überlagerte, mit anderen Darbietungen vermengte Werknutzungen […] mit Wahrscheinlichkeit weder durch eine geeignete Software noch händisch“ mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Mitteln aufgespürt werden können. So wird man das von YouTube wohl auch nicht erwarten können.
Interessant ist schließlich noch, dass nach Auffassung des OLG Hamburg aus der Haftung von YouTube LLC direkt auch auf die Haftung von deren Gesellschafterin Google Inc. geschlossen werden darf. Der Senat begründet das mit dem Gedanken einer "Unternehmensinhaber-Haftung", die sich im deutschen Urhebergesetz geregelt findet. Auch zu dieser Idee wird sich der BGH hoffentlich äußern.
Der Autor Marcus Nothhelfer ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht im Münchner Büro von Arqis Rechtsanwälte.
BGH verhandelt über Urheberrechtsverletzungen: . In: Legal Tribune Online, 09.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27129 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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