Der BGH hat zur Fragen der Störerhaftung entschieden, zur sekundären Darlegungslast und zu angemessenem Schadensersatz. Ganz nett, findet Carl Christian Müller. Nur leider ein bisschen spät.
Es gibt wohl kaum einen Aspekt im Bereich des Verbraucherrechts, der sich – was die Anzahl und Verschiedenartigkeit der Rechtsprobleme angeht – so vielfältig darstellt wie das Thema Filesharing. Am Donnerstag hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Art Rundumschlag gleich sechs Entscheidungen hierzu abgesetzt und dabei zu den in der Rechtspraxis heftig umstrittenen Themen der Störerhaftung, der sekundären Darlegungslast sowie des angemessenen Lizenzschadens Stellung genommen.
Der Entscheidung im Verfahren I ZR 48/15 lag eine Klage von verschiedenen Tonträgerherstellern zugrunde, die den Anschlussinhaber wegen der vermeintlichen öffentlichen Zugänglichmachung von 809 Audiodateien auf Schadensersatz sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch genommen hatten.
Der bestritt, selbst für die Rechtsverletzung verantwortlich gewesen zu sein und verwies insofern darauf, dass neben ihm seine Ehefrau und die damals 15 und 17 Jahre alten Kinder den Internetanschluss genutzt hätten. Daher sei jedenfalls nicht von vorneherein auszuschließen, dass diese die Rechtsverletzer waren.
Sekundäre Darlegungslast: über sich selbst und andere mögliche Rechtsverletzer
Nachdem das Landgericht (LG) Köln die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht (OLG) Köln dagegen den Beklagten bis auf einen Teil der Abmahnkosten antragsgemäß verurteilt hatte, bestätigte der BGH nun das zweitinstanzliche Urteil. Es sei nach der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Ehefrau des in Anspruch Genommenen als Täterin ausscheide.
Der Beklagte habe es jedoch versäumt, in ausreichendem Maße dazu vorzutragen, wie es den Kindern überhaupt hätte gelingen können, die Rechtsverletzung zu begehen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatten die Kinder keinen derart selbständigen Zugang zum Internet, dass sie ernsthaft als Alleintäter des Downloadangebotes mit 809 Titeln in Betracht kommen konnten. Zudem hatte der beklagte Anschlussinhaber zu seiner eigenen Internetnutzung nichts vorgetragen, insbesondere nicht dargetan, auf dem mit dem Internet verbundenen Rechner sei keine Filesharing-Software installiert gewesen.
Mehr ist noch nicht bekannt. Es wäre wünschenswert, wenn der BGH in den Entscheidungsgründen zu den Anforderungen, die er an die sekundäre Darlegungslast stellt, über den konkret entschiedenen Fall hinaus Ausführungen machte, die der Rechtspraxis solide Anhaltspunkte für die Lösung auch ähnlich gelagerter Fälle an die Hand gäbe. Denn die bisherigen Entscheidungen aus Karlsruhe, insbesondere diejenigen im BearShare-Urteil, waren letztlich Einzelfallentscheidungen und lassen in der Praxis viel Raum für Fragen, wie ähnliche Fallgestaltungen zu lösen sind. Dies schafft Auslegungsspielraum und damit Rechtsunsicherheit.
Angemessener Lizenzschaden: stets das Doppelte ist nicht genug
In den Verfahren I ZR 272/14, I ZR 1/15 und I ZR 44/15 klagten die Inhaber von Verwertungsrechten an verschiedenen Filmwerken. Sie nahmen die jeweiligen Anschlussinhaber auf Ersatz von Abmahnkosten sowie auf Schadensersatz in Höhe von 600 Euro pro Filmtitel in Anspruch.
Das LG Bochum hatte in zweiter Instanz den Anspruch wegen des begehrten Schadensersatzes in Höhe von 600 Euro für begründet erachtet und die Beklagten in allen drei Verfahren zur Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von jeweils 130,50 Euro aus einem Gegenstandswert in Höhe von 1.200 Euro verurteilt. Es hatte dabei auf die Rechtsprechung des OLG Hamm Bezug genommen, wonach sich der Gegenstandswert der Abmahnung stets auf das Doppelte des erstattungsfähigen Lizenzschadensersatzes belaufe, mithin auf 600 Euro.
In einem vierten Verfahren (I ZR 43/15) mit gleichem Sachverhalt sprach das LG der dortigen Rechteinhaberin an einem Computerspiel Abmahnkosten in Höhe von insgesamt 192,90 Euro aus einem Gegenstandwert in Höhe von 2.000 Euro zu, den es damit ebenfalls auf das Doppelte des erstattungsfähigen Lizenzschadensersatzes taxierte.
Diese Urteile hat der Bundesgerichtshof zu Recht aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die formelhafte Begründung des LG, der Gegenstandswert der anwaltlichen Abmahnung belaufe sich stets auf das Doppelte des anzunehmenden Lizenzschadens, wird dem jeweiligen Einzelfall nicht gerecht.
Keine formelhaften Begründungen – für Altfälle
Es macht sicher einen Unterschied, ob eine Filmdatei nur wenige Minuten "angeladen" oder aber tagelang der Allgemeinheit im Internet zur Verfügung gestellt wurde. Hier kommt es dann eben doch auf den Einzelfall an, den letztlich die Gerichte zu beurteilen haben.
Das LG wird bei seiner Entscheidung nach den Vorgaben des BGH nun Feststellungen zum wirtschaftlichen Wert des verletzten Rechts, zur Aktualität und Popularität des Werks, zur Intensität und Dauer der Rechtsverletzung, aber auch zu den subjektiven Umständen auf Seiten des Verletzers zu treffen und diese entsprechend zu bewerten haben. Letztlich wird, jedenfalls was den Gegenstandswert angeht, die Entscheidung nur noch für sogenannte Altfälle Relevanz entfalten.
Wegen der Gebührendeckelungsvorschrift des § 97 a Abs. 3 UrhG sind die Rechtsanwaltskosten bei Abmahnungen dadurch begrenzt worden, dass der abmahnende Anwalt seine Gebühren aus einem Gegenstandswert von maximal 1.000 Euro für die Unterlassungsansprüche berechnen darf. Allerdings werden sich aus den nun zu treffenden Feststellungen sicher auch Anhaltspunkte für eine solidere Lizenzschadensberechnung ergeben, die bisher – so jedenfalls der Eindruck, den man bekommt – oft ebenfalls nur grob über den Daumen geschätzt wird.
Störerhaftung: Eltern haften nicht für ihre Kinder und australischen Nichten
In dem Verfahren I ZR 86/15 bestätigt der BGH seine Linie aus der BearShare-Rechtsprechung, (BGH, Urt. v. 08.01.2014, Az. I ZR 169/12). . Danach hafter Inhaber eines Internetanschlusses nicht für das Verhalten eines volljährigen Familienangehörigen, wenn der Anschlussinhaber keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass der erwachsene Familienangehörige den Internetanschluss für illegales Filesharing missbraucht.
Erst dann, wenn er aufgrund eines konkreten Anlasses die Befürchtung habe, dass der Angehörige den Internetanschluss für Rechtsverletzungen missbrauche, müsse er Maßnahmen ergreifen, welche die Rechtsverletzungen verhindern. Mit seiner Entscheidung vom Donnerstag stellt der BGH nun klar, dass diese Rechtsprechung nicht nur für engere Familienangehörige, sondern auch für volljährige Mitglieder einer Wohngemeinschaft, volljährige Besucher oder Gästen des Anschlussinhabers gilt. Insofern treffe den Anschlussinhaber keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.
Die Entscheidung ist zu begrüßen - sie kommt nur reichlich spät und nimmt wohl nunmehr lediglich das vorweg, was ohnehin bald Gesetzeslage wird, da die große Koalition – so zumindest die öffentlichen Verlautbarungen – beschlossen hat, die Störerhaftung weitgehend abzuschaffen.
Dass der BGH hier der Lebenswirklichkeit weit hinterherhinkt, wird man auch mit Blick auf die nächsten Entscheidungen, die zu diesen und ähnlichen Fallkonstellationen zu erwarten sind, feststellen müssen. Denn da die Nutzer zunehmend auf Streaming und andere Techniken setzen, wird das Thema Filesharing in der Zukunft mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Und für viele der (nach einer Erhebung des vzbv aus dem Jahr 2012) 4,3 Millionen Abgemahnten kommt diese Rechtsprechung leider zu spät. Dem Geschäft mit den Massenabmahnungen, das von bestehenden Rechtsunsicherheiten profitierte, hätten eher Grenzen gesetzt werden müssen. Schon bei den bisher ergangenen Entscheidungen wären klärende obiter dicta wünschenswert gewesen, die frühzeitig für mehr Rechtssicherheit gesorgt hätten.
Der Autor Carl Christian Müller, LL.M. ist Rechtsanwalt und Mitgründer der Kanzlei MMR Müller Müller Rößner, Berlin, die unter anderem auf das Medienrecht, das Presse- und Äußerungsrecht, das Breitbandkabelrecht und das Urheberrecht spezialisiert ist. Er ist Lehrbeauftragter an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz im Studiengang des Mainzer Medieninstituts und fungiert zudem als Justiziar des Deutschen Medienverbandes (DMV).
Carl Christian Müller, Rundumschlag des BGH: Filesharing und kein Ende . In: Legal Tribune Online, 13.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19386/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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