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BGH zum Urheberrecht: Der Kampf um kaputte Kunst

Gastbeitrag von Prof. Dr. Peter Raue

21.02.2019

Das Kunstwerk "Mannheimer Loch"

© dpa - Report

Erstmals nach über 100 Jahren hat ein Bundesgericht darüber entschieden, ob Künstler nach § 14 UrhG auch gegen die völlige Zerstörung ihrer Werke vorgehen können. Peter Raue zu gleich zwei wegweisenden Urteilen.

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Die drei vom 1. Senat des Bundesgerichtshofes (BGH) am Donnerstag verkündeten Urteile zu § 14 Urhebergesetz (UrhG) darf man wohl ohne Übertreibung als eine Sensation bezeichnen. Die Karlsruher Richter nehmen erstmals zu der Frage Stellung, ob § 14 UrhG auch den Fall der gänzlichen Zerstörung eines Kunstwerks regelt (Urt. v. 21.02.2019, Az. I ZR 98/17 u. I ZR 99/17).

Die Norm bestimmt:

"Der Urheber hat das Recht, eine entstellende oder andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten, geistigen und persönlichen Interessen am Werk zu gefährden."

Seit Jahrzehnten wird in der Literatur darüber gestritten, ob sich der Urheber nicht nur gegen die Entstellung, sondern auch gegen die Vernichtung eines Werkes wehren kann mit der Begründung, die Vernichtung des Werkes sei (zwar keine Entstellung, aber) "eine andere Beeinträchtigung des Werkes". Die wohl überwiegende Meinung in der Literatur (Wandtke/Bullinger UrhR 4. Auflage, Rdnr. 22 zu § 14 mwN.) sieht in der Norm gerade "kein Verbot der Vernichtung von Werken".

Diese – von der Rechtsprechung weitgehend übernommene – Interpretation des § 14 UrhG folgt der Erkenntnis des Reichsgerichts in der "Felseneiland mit Sirenen"-Entscheidung aus dem Jahre 1912, in dem es als obiter dictum ausführt, dass der Eigentümer im Regelfall berechtigt sei, das urheberrechtlich geschützte Werk völlig zu zerstören.

Die erste Entscheidung nach über einem Jahrhundert

Nie zuvor hatte der Bundesgerichtshof Gelegenheit oder Notwendigkeit, die hier aufgeworfene Frage zu beantworten. Immerhin gibt er einen Fingerzeig in der vielzitierten "Mauerentscheidung" (BGH, 23.02.1995, Az. I ZR 68/93), wenn es dort heißt: "Ob die gebotene Interessenabwägung im Einzelfall ausnahmsweise ein anderes Ergebnis (als die Zulässigkeit der Vernichtung) rechtfertigen kann, kann hier auf sich beruhen, da vorliegend zwar eine Segmentierung, aber keine völlige Vernichtung der Mauerbilder stattgefunden hat".

Es ist schon eine erstaunliche Laune der Justitia, dass der BGH am Donnerstag gleich drei Fälle in zwei Verfahren zu entscheiden hatte, bei denen es nur um diese eine Frage geht: Greift § 14 UrhG auch bei der Vernichtung eines Werkes?

Während das Kammergericht (KG) in dem vom BGH entschiedenen Fall § 14 UrhG grundsätzlich nicht anwenden will, wenn es um die Zerstörung eines Kunstwerkes geht – "§ 14 UrhG schützt die Integrität des geistigen Bandes zwischen Urheber und Werk, garantiert aber dessen Fortbestand eben so wenig wie die Vorschrift des § 11 Satz 1 UrhG", so die Berliner Richter – hat das OLG Karlsruhe mit größerem Feingefühl und unter Beachtung der Mauerentscheidung in der Vorinstanz als Leitsatz formuliert:

"Auch im Fall der vollständigen Vernichtung des Werkes durch den vom Urheber verschiedenen Eigentümer ist eine Interessenabwägung vorzunehmen." Zwei Vorfälle spielen sich dabei in der Kunsthalle Mannheim ab, der dritte in einem Minigolf-Keller in Berlin.

Streit um teure und prestigeträchtige Kunstwerke

Das "HHole for Mannheim" ist die Installation der weltweit bekannten Multi-Media-Künstlerin NatHalie Braun Barends aus dem Jahre 2006, die sich in der Mannheimer Kunsthalle durch alle sieben Gebäudeebenen hinzieht, die durch Öffnungen in den Geschossdecken miteinander verbunden sind. Die Kunsthalle möchte diese Arbeit im Rahmen von Umbaumaßnamen beseitigen, womit das Museum bereits begonnen hat.

Die klagende Künstlerin begehrt in erster Linie die Beendigung der Umbauarbeiten und Re-Installation ihrer Arbeit, zusätzlich eine Honorarzahlung in Höhe von rund 70.000 Euro (den Wert der Installation schätzen beide Parteien auf rund 220.000 Euro). Diesen Betrag hatte das Landgericht der Frau im Wesentlichen auch zugesprochen. Das OLG bestätigt die landgerichtliche Entscheidung, wonach die Zerstörung der Installation zulässig ist, verwehrte der Klägerin überdies aber auch den Anspruch auf Zahlung des Honorars.

Im zweiten Mannheimer Fall geht es um eine Lichtinstallation derselben Künstlerin im Kuppel- und Dachbereich des Billing-Baus der Kunsthalle, das sich "PHaradies" nennt und sich dort als Dauerleihgabe seit 2007 befindet.

Während Barends im HHole-Verfahren die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands fordert, will sie im "PHaradiesfall" das Museum zwingen, die Lichtarbeit erneut zu installieren.

Der Berliner Fall spielt im Keller eines dortigen Hauses, in dem sich eine Minigolfanlage befindet. Dort haben die klagenden Künstler die Räume mit Farbe bemalt, die unter Schwarzlicht leuchtet, und darüber hinaus einen Brunnen und eine Sterninstallation gestaltet. Bereits zwei Jahre nach ihrer Errichtung wurden alle Arbeiten entfernt und im Wesentlichen zerstört.

BGH: Werkvernichtung als "andere Beeinträchtigung i. S. d. § 14 UrhG

Während der BGH in beiden Mannheimer Fällen die Revision zurückverwiesen und damit die Erkenntnis des OLG Karlsruhe zur Zulässigkeit der Zerstörung bestätigt hat (der Künstlerin aber wie das LG den Honoraranspruch zugesteht), hat der BGH die Entscheidung des Kammergerichts aufgehoben und zurückgewiesen. Das ist angesichts des Gebotes der Interessenabwägung konsequent, weil das KG jede Abwägung der Interessenssphären von vornherein abgelehnt hat. Diese Interessenabwägung werden die Berliner Richter jetzt nachholen müssen.

Nach Lektüre der zweitinstanzlichen Urteile des OLG Karlsruhe und unter Berücksichtigung der knappen Presseerklärung des BGH vom Donnerstag lässt sich wohl Folgendes herauskristallisieren:

Nicht nur die (Un-)Zulässigkeit einer Entstellung eines urheberrechtlich geschützten Werkes, sondern auch dessen Zerstörung und Vernichtung ist anhand von § 14 UrhG zu prüfen. Damit folgt der BGH – unter Abkehr von der Entscheidung des Reichsgerichts – der auch in der Literatur vertretenen (Minder-)Meinung, wonach die Werkvernichtung die "schärfste Form der Beeinträchtigung" ist (Dietz/Peukert in Schricker/Loewenheim UrhR 4. Auflage, § 14 Rdnr. 38).

Ob eine solche Werkvernichtung zulässig ist oder der Künstler sie verbieten bzw. bei Zerstörung des Werkes Schadensersatz verlangen kann, kann danach nur nach einer Interessenabwägung entschieden werden: Das Interesse des Eigentümers, mit seinem Eigentum nach Gutdünken verfahren zu dürfen, kollidiert mit dem durch § 14 gestützten, als Urheberpersönlichkeitsrecht garantierten Interesse des Schöpfers eines Werkes daran, dass dieses erhalten bleibt.

Entscheidung könnte Künstler ermutigen

Während bei beweglichen Kunstwerken das Zerstörungsinteresse des Eigentümers (jedenfalls bei öffentlich zugänglichen Werken) wohl in der Regel vor dem Erhaltungsinteresse des Künstlers zurücktreten muss, wird im Zweifel bei mit einem Bauwerk fest verbundenen und in situ erstellten Arbeiten das Änderungsrecht des Eigentümers stärker sein als das Erhaltungsinteresse des Künstlers. Das gilt jedenfalls solange und soweit, wie die Änderung auf einem sachlich gebotenen Fundament ruht.

Der Umbau (Rückbau) einer Museumsinstallation mit dem Ziel, die Räume für andere Kunstdarbietungen zu nutzen, war vor dem BGH daher stärker als das Recht der Künstlerin, den Erhalt ihres Werkes zu fordern. Verdankt sich die Vernichtung eines Werkes dagegen ausschließlich einem veränderten Geschmack – zum Beispiel, weil der neue Museumsdirektor die Entscheidung seines Vorgängers für falsch hält, er die Arbeit nicht liebt und sie bloß deshalb zerstören will – wird in aller Regel das Interesse des Künstlers am Erhalt des Werkes stärker sein als die Geschmacksentscheidung des Museumsdirektors in diesem Beispiel. Damit betritt der BGH Neuland.

So bleibt zu hoffen, dass die heutigen Entscheidungen Eigentümer von Kunstwerken, die sich von diesen trennen wollen, sensibler machen. Sie sollten vor der Zerstörung einer Arbeit mit dem Künstler zu reden, ob etwa der "Umzug" einer Arbeit der Zerstörung nicht vorzuziehen sein könnte (so geschehen mit dem berühmten Gemälde "Familie" von Oskar Schlemmer aus dem Jahr 1939 im Hause Keller).

Die praktischen Folgen dieser BGH-Entscheidung sind zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht abzusehen. Man darf wohl die Prognose wagen, dass die Untergerichte häufiger als bisher von Künstlern angerufen werden, um die Zerstörung eines ihrer Kunstwerke zu unterbinden. Das ist ganz sicher gut so.

Der Autor Prof. Dr. Peter Raue ist Rechtsanwalt, Notar und Kunstliebhaber sowie Partner der gleichnamigen Anwaltskanzlei Raue LLP.

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BGH zum Urheberrecht: Der Kampf um kaputte Kunst . In: Legal Tribune Online, 21.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33991/ (abgerufen am: 29.09.2023 )

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