Es ist der Alptraum jedes Unternehmers: Nach Abgabe des Angebots für eine Ausschreibung stellt man einen Rechenfehler fest, die angebotene Leistung kann man zu diesem Preis nicht ansatzweise wirtschaftlich erbringen. Wenn man dann mit offenen Karten spielt, muss der Auftraggeber den Vertrag aufheben, entschied der BGH am Dienstag. Aber nur dann, erklärt Stephan Lorenz.
Der Fall, mit dem der u.a. für Rechtsstreitigkeiten in Vergabesachen zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) sich am Dienstag zu beschäftigen hatte, betrifft Grundfragen des Vertragsschlusses im Vergabeverfahren.
Ein Bundesland hatte Straßenbauarbeiten ausgeschrieben, der nun beklagte Bieter hatte diese für einen Preis von circa 455.000 Euro angeboten. Damit war er bei weitem der günstigste Bieter, das nachgünstigste Angebot belief sich bereits auf circa 621.000 Euro.
Zu diesem massiven Preisunterschied war es dadurch gekommen, dass das Unternehmen in einer bestimmten Position des Angebots einen falschen Mengenansatz eingestellt hatte. Es entdeckte diesen Fehler noch vor der Annahme des Angebots durch das Land, deckte ihn diesem gegenüber auf und bat, sein Angebot von der Wertung auszuschließen.
Das Land kam dem aber nicht nach, sondern erteilte ihm den Zuschlag. Nachdem das Unternehmen die Arbeiten nicht ausführen wollte, beauftragte das Land ein anderen Anbieter und verlangte von dem Unternehmen die daraus resultierenden Mehrkosten. Seine hierauf gerichtete Klage ist in beiden Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Der BGH hat diese klageabweisenden Entscheidungen am Mittwoch bestätigt (Urt. v. 11.11.2014, Az. X ZR 32/14).
Privatrechtliches Rechtsverhältnis
Die Frage, ob der Unternehmer wegen Nichtausführung des Auftrags schadensersatzpflichtig ist, hatte der Senat nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu beurteilen.
Die Auftragsvergabe im Vergabeverfahren durch öffentliche Auftraggeber ist Bestandteil der privatrechtlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand. Fragen des Vertragsschlusses sowie nach Leistungsstörungen unterliegen vollständig den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen des BGB.
Die Verfahrensvorschriften der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A), die ohnehin keine Gesetzesqualität haben, regeln lediglich das bei öffentlichen Ausschreibungen zu wahrende Verfahren innerhalb der Verwaltung.
Bindend und kein beachtlicher Irrtum: Das Angebot steht
Im Vergabeverfahren stellt das Angebot des Bieters nach den jeweiligen, von ihm akzeptierten Ausschreibebedingungen ein bindendes Vertragsangebot im Sinne von § 145 BGB dar. Aus diesem Grund konnte das beklagte Unternehmen sein Angebot nicht einfach zurücknehmen, nachdem es seinen Irrtum entdeckt hatte.
Auch für eine Irrtumsanfechtung ist in Konstellationen wie dieser kein Raum: Die Angebotssumme war nicht aufgrund eines bloßen Schreibfehlers zustande gekommen, der zu einem Anfechtung wegen Erklärungsirrtum nach § 119 Absatz 1 BGB berechtigt hätte.
Der sogenannte Kalkulationsirrtum gehört vielmehr grundsätzlich zum Bereich der unbeachtlichen Motivirrtümer – er ist also unbeachtlich. Das gilt nach der Rechtsprechung des BGH selbst dann, wenn der Erklärungsempfänger diesen Kalkulationsirrtum erkannt hat (BGH, Urt. v. 07.07.1998, Az. X ZR 17/97).
2/2: Zuschlag als "culpa in contrahendo"?
Damit bleibt nur ein letzter Ausweg, den die Bundesrichter auch am Dienstag nahmen: Verstieße der Auftraggeber durch die Annahme des Vertragsangebots gegen eine Rechtspflicht gegenüber dem Bieter, würde dies eine Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Absatz 1 BGB darstellen. Dann wäre er nach § 249 Absatz 1 BGB im Wege der schadensersatzrechtlichen Naturalrestitution verpflichtet, den Bieter aus dem geschlossenen Vertrag weder auf Leistung noch auf Schadensersatz statt der Leistung in Anspruch zu nehmen.
Eine solche Lösung hatte der BGH bereits in der zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1998 zu einem ganz ähnlichen Sachverhalt angedeutet. Damals konnten die Karlsruher Richter die Frage aber offen lassen, weil der Auftraggeber den Fehler in der Kalkulation nicht bemerkt hatte. Dann gibt es jedenfalls keine vorvertragliche Pflicht, die Berechnung im Interesse des Bieters auf ihre Wirtschaftlichkeit zu überprüfen.
Wenn aber dem Auftraggeber noch vor dem Zuschlag klar wird, dass es sich um ein für den Bieter extrem schädliches Angebot handelt, verstößt er durch die Vertragsannahme gegen die Pflicht, auf die - auch wirtschaftlichen - Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen (§§ 311 Absatz 2, 241 Absatz 2 BGB – culpa in contrahendo). Diese Pflicht wird bereits durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründet.
Das löst den beschriebenen schadensersatzrechtlichen Mechanismus aus, demzufolge der Auftraggeber den Bieter aus dem Vertrag nicht in Anspruch nehmen darf und sich darüber hinaus mit einer Vertragsaufhebung einverstanden erklären muss.
Aber: Keine Flucht aus dem Vertrag
Zu Recht stellt der BGH aber auch klar, dass sich dieser Rechtsbehelf auf Extremfälle beschränken muss. Das Risiko, zu günstig anzubieten und deshalb wirtschaftlich nachteilige Verträge zu schließen, ist dem Vergabeverfahren nämlich inhärent.
Deshalb hat der BGH auch betont, dass nicht jeder noch so geringe diesbezügliche Irrtum ausreicht. Außerdem muss sichergestellt sein, dass sich ein Bieter nicht unter dem Vorwand des Kalkulationsirrtums von einem bewusst sehr günstig kalkulierten Angebot löst, weil er es im Nachhinein als für ihn selbst nachteilig empfindet.
Der Auftraggeber ist nach Ansicht des BGH nur dann aus culpa in contrahendo verpflichtet, ein Angebot aus dem Verfahren auszuschließen, das heißt nicht anzunehmen, "wenn vom Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr erwartet werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer noch annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer- oder Dienstleistung zu begnügen“. Der vom Senat sicher zutreffend entschiedene Fall bleibt damit ein Ausnahmefall.
Der Autor Prof. Dr. Stephan Lorenz ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof.
Prof. Dr. Stephan Lorenz, BGH zum Vergabeverfahren: Ruinöser Kalkulationsirrtum kann Vertrag vernichten . In: Legal Tribune Online, 12.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13780/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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