Wenn Kunden die Darlehen auch zehn Jahre nach Zuteilungsreife noch nicht abgerufen haben, dürfen Bausparkassen Bausparverträge kündigen. Der BGH wälzt damit die Folgen der Niedrigzinsphase auf die Verbraucher ab, meint Johannes Flötotto.
In Zeiten der Niedrigzinsphase können Sparer von Zinsen von drei oder vier Prozent nur träumen. Kein Wunder, dass sie ihre alten Bausparverträge zu den günstigen Konditionen der 80-er oder 90er Jahre ausreizen, solange es eben geht.
Inzwischen machen die Bausparkassen mit solchen Kunden oft kurzen Prozess. Aber zu Recht? Am Dienstag hat über diese Grundsatzfrage der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden – zu Gunsten der Bausparkassen.
Diese dürfen Bausparverträge kündigen, wenn diese seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif sind, auch wenn sie noch nicht voll bespart sind (BGH, Urt. v. 21.02.2017, Az. XI ZR 185/16 und XI ZR 272/16). Die schätzungsweise 250.000 Kündigungen von Altverträgen durch die Bausparkassen erfolgten demnach nach Ansicht der Karlsruher Richter zu Recht.
Verbraucher nutzten Bausparvertrag als günstige Geldanlage
Das Bausparen ist in erster Linie zur Finanzierung eines Hausbaus, Wohnungskaufs oder Renovierung dieser Immobilien gedacht. In der ersten, sogenannten Sparphase zahlt der Kunde zunächst Beiträge ein und spart somit einen Teil der Bausparsumme selbst an. Auf diese Beiträge bekommt der Sparer Zinsen.
Wird der Vertrag zuteilungsreif, kann er sich das Ersparte auszahlen lassen und den restlichen Betrag als Darlehen in Anspruch nehmen. Dafür zahlt er in dieser zweiten Phase, der Darlehensphase, Zinsen an die Bausparkasse. Normalerweise sind die Zinsgewinne beim Sparen vergleichsweise unattraktiv. Dafür kann man sich später zu einem verlässlichen, eher niedrigen Zinssatz Geld leihen. Aber in der Niedrigzinsphase funktioniert das nicht mehr: Kredite sind überall günstig zu haben, fürs Sparen gibt es aber kaum Zinsen.
Langjährige Bausparer haben also nicht viel davon, das Darlehen in Anspruch zu nehmen. Oft ist es vorteilhafter, den Vertrag als Anlage mit üppigen Zinsen weiterlaufen zu lassen - so lange, bis die Bausparsumme irgendwann komplett angespart ist.
Die Bausparkassen bringt das in Bedrängnis, sie sehen ihr Geschäftsmodell in Gefahr. Um die wirtschaftlich belastenden Altverträge loszuwerden, haben sie seit 2015 bereits schätzungsweise 250.000 Kündigungen verschickt. Zur Rechtfertigung heißt es, die Institute müssten das Wohl sämtlicher Bausparer im Blick haben. Verbraucherschützer werfen ihnen aber vor, die Verträge früher selbst auch als Geldanlage beworben und damit gut verdient zu haben. Jetzt müssten sie die Konsequenzen tragen.
Geklärt ist, dass Verträge gekündigt werden dürfen, die zu hundert Prozent bespart sind. Die jüngste Kündigungswelle trifft aber Kunden, die die vereinbarte Bausparsumme noch nicht erreicht haben. Gemeinsam ist allen Fällen, dass die Verträge seit mindestens zehn Jahren zuteilungsreif sind, das Darlehen aber nicht abgerufen wurde. Diese Frage war bis heute rechtlich sehr umstritten. Deshalb war es jetzt am BGH, die Rechtslage zu klären.
2/2: OLG Stuttgart: Bausparkasse nicht schutzbedürftig
Verhandelt wurden die Fälle zweier Bausparerinnen, denen Wüstenrot einen Vertrag von 1978 und zwei Verträge von 1999 gekündigt hatte. Der für das Bankrecht zuständige XI. Senat entschied dabei über die Revision der Bausparkasse gegen Urteile des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart.
Die Schwaben hielten die Kündigungen der Bausparkasse in beiden Fällen für unberechtigt. Die Bausparkasse könne sich nicht auf die Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) a.F. (§ 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F.) berufen, wonach ein Darlehensnehmer ein Darlehen zehn Jahre nach dessen vollständigem Empfang kündigen könne. Die Regelung sei auf Bausparverträge in der so genannten Ansparphase nicht anwendbar, auch wenn der Bausparer der Bausparkasse ein Darlehen gewähre, die Bausparkasse somit als Darlehensnehmerin auftrete.
Nach Ansicht des OLG Stuttgart bezweckt das Gesetz den Schutz von Darlehensnehmern, die dem Zinsbestimmungsrecht der Darlehensgeber ausgesetzt seien. Dieser Schutzzweck treffe auf das so genannte Passivgeschäft der Bausparkassen nicht zu.
Diese seien nämlich als Darlehensnehmer in der Ansparphase nicht schutzbedürftig, weil sie als gewerbliche Kreditinstitute die Zinssätze und die maximale Laufzeit der Verträge in ihren ABB selbst bestimmten. Dadurch hätten die Bausparkassen es bei der Zinsfestlegung versäumt, durch geeignete Bedingungen eine unerwünscht lange Laufzeit auszuschließen. Das daher freiwillig übernommene Zinsrisiko könne nicht unter Berufung auf gesetzliche Kündigungsvorschriften auf die Bausparer abgewälzt werden.
BGH: Auch Bausparkasse ist Darlehensnehmer iSv. § 489 BGB
Der XI. Zivilsenat sieht das ganz anders. Auch der BH wendet zwar das Darlehensrecht auf die Bausparverträge an. Während der Ansparphase eines Bausparvertrages ist die Bausparkasse Darlehensnehmerin und der Bausparer Darlehensgeber, so die Karlsruher Richter. Erst mit der Inanspruchnahme eines Bauspardarlehens komme es zu einem Rollenwechsel.
Der Senat hält aber die Kündigungsvorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB a.F. (§ 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F.) auch zugunsten einer Bausparkasse als Darlehensnehmerin in der Ansparphase für anwendbar. Dies folge nicht nur aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte und dem Regelungszweck der Norm. Diese wolle jedem Darlehensnehmer, also auch den Bausparkassen in der Ansparphase, die Möglichkeit geben, sich nach Ablauf von zehn Jahren nach Empfang des Darlehens durch Kündigung vom Vertrag zu lösen.
Auch die Voraussetzungen des Kündigungsrechts liegen nach Ansicht der Karlsruher Richter vor. Mit dem Eintritt der erstmaligen Zuteilungsreife hat die Bausparkasse unter Berücksichtigung des Zwecks des Bausparvertrages das Darlehen des Bausparers vollständig empfangen. Der Vertragszweck besteht für den Bausparer darin, durch die Erbringung von Ansparleistungen einen Anspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens zu erlangen. hat er das damit korrespondierende Zweckdarlehen mit Eintritt der erstmaligen Zuteilungsreife vollständig gewährt, was Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung des Darlehensnehmers – hier der Bausparkasse - ist.
Die Risiken der Niedrigzinsphase auf die Verbraucher abgewälzt
Der BGH hält sich in seiner Urteilsbegründung stoisch an den Gesetzeswortlaut und billigt jedem Darlehensnehmer ein in § 489 BGB statuiertes Kündigungsrecht zu, unabhängig davon, ob es die Bausparkasse in der Ansparphase ist, oder der Bausparer in der Darlehensphase.
Bei den vorliegenden Verfahren ging letztlich es um die Frage, wer die Folgen der Niedrigzinsphase zu tragen hat. Die Entscheidung des BGH wälzt das Risiko veränderter Marktverhältnisse auf die Kunden ab. Dabei haben sich Bausparer, die an einem zuteilungsreifen Vertrag festhielten, völlig legitim und vertragskonform verhalten.
Einer Kündigung der Bausparkasse in der Ansparphase hätte an deren fehlendem Schutzbedürfnis scheitern müssen, zumal die Bausparkassen die Verträge einst selbst als Geldanlage offensiv beworben haben. Da sie zu den damals vorherrschenden Marktverhältnissen sehr gut an den Bausparverträgen verdient haben, wäre es konsequent gewesen, wenn sie auch die Risiken einer Marktveränderung zu tragen gehabt hätten.
Der Autor Johannes Flötotto ist selbstständiger Rechtsanwalt in Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt im Anlegerrecht.
Mit Materialien von dpa
Johannes Flötotto, BGH billigt Kündigung gutverzinster Bauspar-Altverträge: Die Bausparkasse als schutzwürdige Darlehensnehmerin . In: Legal Tribune Online, 21.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22170/ (abgerufen am: 24.09.2023 )
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