Auch wenn die Medien durch eine Straftat Dritter an private Informationen gelangen, dürfen sie diese publizieren, wenn sie einen hohen Öffentlichkeitswert haben. Dies musste sich der ehemalige brandenburgische Innenminister Rainer Speer am Dienstag vom BGH sagen lassen. Vor allem über die Verletzungen seiner Unterhaltspflicht durfte Bild berichten. Keine Überraschung, meint Martin W. Huff.
Die Berichterstattung über E-Mails, welche der frühere Brandenburger Innenminister Rainer Speer (SPD) mit seiner Ex-Geliebten gewechselt hatte, hat im Jahr 2010 für viel Aufsehen und im Ergebnis für den Rücktritt des Ministers gesorgt. In den E-Mails beklagte sich die Frau und Mutter eines Kindes von Speer über fehlende Unterhaltszahlungen.
Besonders heikel daran war, dass die Frau vom Staat Unterhaltsvorschüsse erhielt, weil Speer seinen gesetzlichen Unterhaltspflichten nicht nachgekommen war und die Mutter auch seinen Namen nicht nannte, damit sich der Staat die Leistungen zurückholen konnte.
Die E-Mails, welche die Bild-Zeitung unter voller Namensnennung im September 2010 veröffentlichte, stammten von einem privaten Laptop des Ministers, der ihm 2009 gestohlen worden war. Der Mailverkehr war dem Axel Springer Verlag zugespielt worden, der an dem Abhandenkommen des Laptops nicht beteiligt war.
BGH: Bild-Zeitung war an rechtswidriger Informationsbeschaffung nicht beteiligt
Das Landgericht Berlin hatte den Springer-Verlag, u.a. dazu verurteilt, es zu unterlassen, über Speers Verhältnis zur Kindsmutter, seine mögliche Vaterschaft und die daraus resultierenden Unterhaltspflichten zu berichten und den Inhalt einzelner E-Mails in direkter oder indirekter Rede zu verbreiten. Das Kammergericht hatte die Entscheidung bestätigt.
Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidungen am Dienstag aufgehoben (BGH, Urt. v. 30.09.2014, Az. VI ZR 490/12). Der für den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat hat die Auffassung vertreten, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit das Interesse Speers am Schutz seiner Persönlichkeit überwiegt. Das gilt nach Ansicht der Bundesrichter auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die veröffentlichten Informationen von einem Dritten in rechtswidriger Weise beschafft worden waren.
Zwar greife eine Berichterstattung, die sich auf den Inhalt der zwischen dem Politiker und seiner damaligen Geliebten gewechselten E-Mails stützt, in dessen Vertraulichkeitssphäre und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze das Interesse des Kommunikationsteilnehmers daran, dass der Inhalt privater E-Mails nicht an die Öffentlichkeit gelangt.
Der Eingriff sei aber nicht rechtswidrig. Das von der Bild-Zeitung und dem Axel Springer Verlag verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheit überwiegen Speers Interesse am Schutz seiner Persönlichkeit, obgleich die veröffentlichten Informationen von einem Dritten in rechtswidriger Weise beschafft worden sind. Bild habe sich die Informationen nicht rechtswidrig selbst beschafft, um diese zu publizieren. An diesem habe sie sich auch nicht beteiligt, sondern sei lediglich Nutznießerin eines fremden Bruchs der Vertraulichkeit gewesen, so der VI. Zivilsenat.
2/2: Wirtschaftliche Verantwortung auf den Steuerzahler abgewälzt
Die unstreitig wahren Informationen über Speers Ex-Geliebte, das gemeinsame Kind und den nicht gezahlten Unterhalt haben nach Ansicht des Senats einen hohen “Öffentlichkeitswert”. Sie offenbarten einen Missstand von erheblichem Gewicht, an dessen Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse bestehe. Als damaliger Minister und Landtagsabgeordneter gehörte der Kläger zu den Personen des politischen Lebens, an deren Verhalten unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle ein gesteigertes Informationsinteresse bestand.
Der Senat stellt darauf ab, dass Speer sich über viele Jahre der wirtschaftlichen Verantwortung für seine Tochter entzogen und diese auf den Steuerzahler abgewälzt hat. Er habe es „im eigenen persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Interesse hingenommen, dass seine ehemalige Geliebte für die gemeinsame Tochter Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezog, obwohl die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug nicht gegeben waren“, weil sie den Politiker pflichtwidrig nicht als Vater des gemeinsamen Kindes benannt hatte. Auch die Veröffentlichung verschiedener E-Mails in direkter oder indirekter Rede halten die Karlsruher Richter daher für zulässig. Die im Wortlaut veröffentlichten E-Mails dokumentierten „mit besonderer Klarheit“, wie Speer mit der Verantwortung gegenüber seiner nichtehelichen Tochter und der Mutter seines Kindes umgegangen sei-. Und damit mittelbar auch mit der Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit, die jedenfalls bis zur Veröffentlichung der streitgegenständlichen Informationen die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen tragen musste.
Wie schon Cicero: eine vorhersehbare Entscheidung
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes setzt damit seine medienfreundliche Rechtsprechung fort. Zum einen stellt er, in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klar, dass die Presse auch solche Informationen verwenden darf, die durch die Straftat eines anderen beschafft wurden, wenn sie an dieser nicht beteiligt war. Bereits in der sogenannten Cicero-Entscheidung aus dem Jahr 2007 hat das BVerfG klargestellt, dass ein Presseorgan sich selber nicht strafbar macht und kein Publikationsverbot besteht.
Zum anderen – und hier verwundern die Entscheidungen der Berliner Vorinstanzen – bleibt der BGH seiner Linie der Abwägung zwischen der Pressefreiheit auf der einen und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf der anderen Seite treu.
Zu Recht stellen die Bundesrichter klar, dass die Bild das – unter Umständen schließlich auch strafrechtlich relevante Verhalten – des Ministers, der sich vorsätzlich seiner Unterhaltspflicht entzog, aufgreifen durfte. Ein solches Verhalten offenbart eine Haltung eines Politikers und insbesondere eines Innenministers, der für die Strafverfolgung durch die Polizei verantwortlich ist, welche die Medien anprangern dürfen. Dabei ist es ihnen nicht verwehrt, auch aus den entsprechenden Dokumenten, hier den Mails, zu zitieren. Der Ausgang dieses Verfahrens war eigentlich vorauszusehen. Die Klarstellung der Richter gibt den Medien aber mehr Sicherheit bei der Frage, wann berichtet werden darf.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt bei LLR LegerlotzLaschet Rechtsanwälte in Köln, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und Lehrbeauftragter für Medienrecht an der Fachhochschule Köln.
Martin W. Huff, Mails von geklautem Laptop: "Bild" durfte aus privater Politiker-Korrespondenz zitieren . In: Legal Tribune Online, 01.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13362/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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