Entsteht neben dem Mietobjekt plötzlich ein Bolzplatz, auf dem Kinder lärmen, sind alle Parteien recht hilflos. Der genervte Anwohner kann deswegen nicht die Miete mindern, meint der BGH. Denn was der Vermieter nach dem Immissionsschutz hätte dulden müssen, das muss auch der Mieter ertragen. Diese Risikoverteilung findet Dominik Schüller nur fair.
Der Mieter genoss bereits seit vielen Jahren die Ruhe auf der Terrasse seiner Erdgeschosswohnung in Hamburg. In der Nähe befand sich eine Schule. Auf deren Gelände wurde 2010 ein Bolzplatz errichtet, auf dem Kinder bis 12 Jahren wochentags bis 8 Uhr spielen sollten. Der Anwohner fühlte sich durch den Lärm erheblich belästigt. Nach seinen Angaben nutzten den Bolzplatz nicht nur Kinder, sondern insbesondere ältere Jugendliche - auch außerhalb der ausgeschilderten Zeiten.
Der lärmgeplagte Mann beschwerte sich bei seinem Vermieter über den vom Bolzplatz ausgehenden Geräuschpegel und minderte anschließend seine Miete um 20 Prozent. Letzterer war hiermit überhaupt nicht einverstanden und reichte Zahlungsklage ein. Vor Amts- und Landgericht blieb seine Klage jedoch ohne Erfolg, weshalb der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) im Revisionsverfahren über die Minderungsberechtigung des Mieters entscheiden musste.
Die Karlsruher Richter sahen den Fall nun anders als die Vorinstanzen. Vermieter seien in der Regel nur für das Mietobjekt selbst, nicht jedoch für dessen Umfeld verantwortlich, weil sie darauf selten Einfluss haben. Daher seien Mieter bei den sogenannten Umwelt- oder Umfeldmängeln nur in eng begrenzten Fällen zur Minderung berechtigt (BGH, Urt. Vom 29.04.2015, VIII ZR 197/14).
Nach der Entscheidung des BGH vom Mittwoch haben es Mieter schwer, wollen sie Mietminderungen mit Lärm oder sonstigen Belästigungen begründen, die nicht aus dem Mietobjekt selber stammen. Will der Mieter einen bestimmten Zustand bei Beginn des Mietverhältnisses dauerhaft sichern, sollte dies in den Mietvertrag aufgenommen werden.
Kein besonders ruhiger Wohnstandard vereinbart
Eine ausdrückliche Vereinbarung, dass es keinen Bolzplatz geben solle, hatten die Parteien nicht getroffen. Daher prüfte der BGH in einem ersten Schritt, ob eine stillschweigende mietvertragliche Beschaffenheitsvereinbarung hinsichtlich einer Lärmbelastung bestanden habe.
Die Bundesrichter verneinten dies aber, da hierfür keine konkreten Anhaltspunkte bestünden. Es sei nicht ausreichend, wenn die Mietwohnung im Zeitpunkt der Anmietung besonders ruhig war. Vielmehr müssten besondere Anhaltspunkte hinzukommen, die darauf schließen ließen, dass die Mietvertragsparteien einen besonderen Wohnstandard als vertragliche Beschaffenheit der Mietsache stillschweigend vereinbaren wollten.
Dies dürfte Ausnahmefälle betreffen, so der VIII. Senat. Im Regelfall wolle der Vermieter nicht dafür garantieren, dass sich Umwelteinflüsse wie beispielsweise Lärmbeeinträchtigungen über die Dauer des Mietverhältnisses hinweg nicht nachteilig verändern, denn hierauf habe er meist keinen Einfluss.
2/2: Keine Minderung, wenn Vermieter den Lärm selber dulden müsste
Auch eine Auslegung des Mietvertrages führte zu keinem anderen Ergebnis. Entscheidend war, ob die Geräuschimmissionen vom Mieter hingenommen werden mussten oder sie ihn zur Mietminderung berechtigten.
Ausgangspunkt für Minderungen ist stets § 535 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Der Vermieter muss die Mietwohnung in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand erhalten. Nach Sinn und Zweck des BGB muss der Vermieter jedoch nicht dafür einstehen, wenn es zu einem Geräuschanstieg von einem Nachbargrundstück nach Abschluss des Mietvertrages kommt, sofern er diese Beeinträchtigung nach § 906 Abs. 1 BGB selbst entschädigungslos gegenüber dem Nachbarn dulden müsste.
Die Argumentation der Karlsruher Richter ist ebenso einfach wie einleuchtend: Man könne vom Vermieter als Mieter lediglich dann Minderung oder Lärmreduzierung verlangen, wenn diesem gegenüber dem störenden Nachbarn seinerseits zivilrechtliche Ansprüche zustünden. Anderenfalls werde der Vermieter vor eine unlösbare Aufgabe gestellt.
Die Entscheidung des BGH ist richtig. Im Wesentlichen geht es um die Frage, wer das Risiko dafür tragen muss, wenn sich etwas in der Umgebung des Mietobjekts nachteilig verändert. Bürdet man dem Vermieter dieses Risiko auf, kann es zu dem merkwürdigen Ergebnis kommen, dass der Mieter zur Minderung berechtigt ist, der Vermieter jedoch nicht gegen den Lärmverursacher als Handlungs- oder Zustandsstörer nach § 1004 BGB vorgehen kann. Besser ist da die BGH-Meinung, mit der zumindest ein Gleichlauf zwischen Mietrecht und den allgemeinen zivilrechtlichen Besitzschutzregeln hergestellt wird.
Kinderlärm muss man ertragen
Wann ein Nachbar Lärmbeeinträchtigungen dulden muss, sagt § 906 Abs. I BGB. Dies ist der Fall, wenn die Geräuschkulisse lediglich unwesentlich ist, also insbesondere, wenn die gesetzlichen Immissionsgrenzwerte eingehalten sind. Hierzu haben die Vorinstanzen offenbar keine Beweisaufnahme durchgeführt. Aus diesem Grund ist das Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen worden.
Vor allem im Hinblick auf § 22 Abs. 1a Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) muss dort festgestellt werden, ob der Lärm von Kindern oder Jugendlichen ausgegangen war. Nach dieser Regelung ist Kinderlärm auch bei Überschreiten der immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte von jedermann hinzunehmen.
Wichtig ist dabei die Klarstellung der Karlsruher Richter, dass die Privilegierung von Kinderlärm auch ins Zivilrecht und dort insbesondere ins Miet- und Wohnungseigentumsrecht ausstrahlt. Dass diese Norm erst 2011 Eingang in das BImSchG gefunden hat, führt nach Auffassung des BGH nicht zu einer anderen Bewertung.
Der BGH ist offenbar allgemein sehr vorsichtig bei der Annahme von Beschaffenheitsvereinbarungen bei Umfeldmängeln. Keine Mietminderung werden mehr möglich sein, wenn die Grenzwerte des BImSchG eingehalten werden oder es sich um stets hinzunehmenden Kinderlärm handelt. Doch allein wegen dieser Tatsachenfrage werden Umwelteinflüsse mit Sicherheit weiterhin die Amts- und Landgerichte beschäftigen.
Wie der Fall ausgeht, wird das Landgericht entscheiden. Das BGH-Urteil ist jedenfalls einen Etappensieg auf dem Bolzplatz.
Der Autor Dominik Schüller ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht in der Immobilienrechtskanzlei SAWAL Rechtsanwälte & Notar in Berlin und twittert zu immobilienrechtlichen Fragen unter https://twitter.com/ra_schueller.
Dominik Schüller, BGH schränkt Mietminderung bei Außenlärm ein: Bolzende Kinder statt ruhigem Wohnen . In: Legal Tribune Online, 30.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15401/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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