BGH zum Ersatz fiktiver Reparaturkosten: Wer den Schaden hat…

von Gunnar Semrau

11.11.2015

Lässt ein Versicherter den Schaden an seinem Auto nicht reparieren, kann er dann die Kosten einer teuren Vertragswerkstatt oder nur die einer günstigen freien ersetzt verlangen? Der BGH meint: Es kommt drauf an. Von Gunnar Semrau.

Der BGH hat am Mittwoch  die Voraussetzungen konkretisiert, die bei der Abrechnung von fiktiven Reparaturkosten gegenüber dem eigenen Kaskoversicherer zu Grunde zu legen sind. Dabei ging es zentral um die Frage, ob der Versicherte die Kosten der Reparatur bei einer (teuren) Vertragswerkstatt, oder lediglich bei einer (günstigen) freien Werkstatt fordern kann (Urt. v. 11.11.2015, Az. IV ZR 426/14).

Lässt der Geschädigte vollständig und fachgerecht reparieren, erhält er die Kfz-Reparaturkosten von seinem Kaskoversicherer erstattet. Problematisch wird es dann, wenn die Reparaturkosten lediglich fiktiv, also auf Basis eines Gutachtens oder eines Kostenvoranschlages abgerechnet werden sollen. In diesen Fällen verweisen Kaskoversicherer oftmals auf anderweitige günstigere Reparaturmöglichkeiten unterhalb der bisherigen Schadenkalkulation.

In dem BGH-Verfahren hatte der Versicherungsnehmer von seinem Kaskoversicherer den Ersatz der notwendigen Kfz-Reparaturkosten auf Gutachtenbasis verlangt. Das Gutachten berücksichtigte die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt. Der Kaskoversicherer berief sich auf eine eigene Schadenkalkulation, welche die Lohnkosten einer ortsansässigen, nicht  markengebundenen Fachwerkstatt beinhaltete, und knapp 3.000 Euro günstiger ausfiel.

Bereicherungsverbot vs. Vertragsleistung

Ausgehend von dem Grundsatz, dass sich der Kaskoversicherte an dem Schaden nicht bereichern darf, hatten in der Vergangenheit einige Instanzgerichte den Versicherern zugebilligt, bei der Schadensabrechnung auf günstigere Reparaturmöglichkeiten zu verweisen. Insbesondere sollte danach der Verweis auf günstigere Stundenverrechnungssätze in freien Werkstätten möglich sein. Teilweise wurden Stundenverrechnungssätze auf der Basis eines Durchschnittes zugesprochen. Die sonstigen Voraussetzungen, unter denen ein Geschädigter von seinem Kaskoversicherer die fiktive Abrechnung auf Basis markengebundener Fachwerkstatts-Löhne verlangen können soll, war im Einzelnen streitig.

Diese Uneinheitlichkeit spiegelte sich auch in dem Verfahren, über welches der BGH zu befinden hatte: Das Amtsgericht hatte der Klage in erster Instanz stattgegeben, das Berufungsgericht hingegen hatte sie abgewiesen. Der BGH beschreibt nunmehr die Voraussetzungen der Regulierungspflichten näher. Da er allerdings weitere Sachaufklärung für Erforderlich hält, hat er den Rechtsstreit wieder zurückverwiesen.

Er führt aus, dass in der Kaskoversicherung allein die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien maßgeblich sind. Die für den Schadensersatz geltenden allgemeinen Regelungen (Stichwort: Schadenminderungspflicht) können daher nicht angewandt werden. Einschränkungen der Versicherungsleistung können sich vor allem aus den Versicherungsbedingungen ergeben. Diese entsprachen im Streitfall der Musterformulierung in den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) des GDV, Ziffer A.2.7.1 AKB 2008 bzw. der neuen Ziffer A.2.5.2.1b AKB 2015, und verpflichteten den Versicherer, soweit hier relevant, zum Ersatz der "erforderlichen" Kosten.

Wann ist die Fachwerkstatt "erforderlich"?

Ob die kalkulierten Reparaturkosten "erforderlich" sind oder nicht, soll sich aus den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ergeben. Nach Auffassung des BGH soll der Versicherungsnehmer die Aufwendungen für die Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt grundsätzlich dann ersetzt verlangen können, wenn nur in der Markenwerkstatt eine vollständige und fachgerechte Instandsetzung seines Fahrzeugs möglich ist. Maßgeblich kann aber auch sein, wenn es sich um ein neueres Fahrzeug oder um ein solches handelt, das der Versicherungsnehmer bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen.

Die Darlegungs- und Beweislast für diese Umstände liegt beim Versicherungsnehmer. Da die Vorinstanz hierzu keine Feststellungen getroffen hatte, hat der BGH den Rechtsstreit wieder zurückverwiesen. Bislang hat der BGH sein Urteil noch nicht schriftlich begründet. Möglicherweise werden sich aus dem Volltext der Entscheidung weitere Kriterien dafür ergeben, wann die Reparatur bei einer Fachwerkstatt im Einzelnen als erforderlich gelten kann.

Im Rahmen der Haftpflichtschaden-Abrechnung wird dies von den Gerichten mitunter sehr unterschiedlich gesehen. So soll der Verweis auf günstigere Reparaturmöglichkeiten teilweise etwa nur dann möglich sein, wenn ein konkretes anderweitiges Reparaturangebot unterbreitet wird oder wenn die andere Reparaturmöglichkeit am Wohnort des Geschädigten liegt. Die Frage, ob nur deshalb günstiger repariert werden kann, weil eine Sondervereinbarung mit dem Versicherer besteht, kann ebenfalls relevant sein. Und auch die Grundsätze zur Beibehaltung von Qualitätsstandards, die der BGH bereits in seinem "VW-Urteil" (v. 20.10.2009, Az. VI ZR 53/09) aufgestellt hat, könnten eine Rolle spielen.

Die aktuelle BGH-Entscheidung bezieht sich in erster Linie auf den Verweis auf günstigere Stundenverrechnungssätze. Daneben verbleiben natürlich die sonstigen Abzüge gemäß den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen. Zum Beispiel sehen Kasko-Versicherungsbedingungen regelmäßig einen Abzug Neu-für-Alt vor, wenn der Geschädigte durch den Einbau neuer Ersatzteile Aufwendung erspart hat, die er früher oder später ohnehin hätte machen müssen, um Verschleißteile zu ersetzen.

Der Autor Gunnar Semrau ist Fachanwalt für Verkehrsrecht.

Zitiervorschlag

Gunnar Semrau, BGH zum Ersatz fiktiver Reparaturkosten: Wer den Schaden hat… . In: Legal Tribune Online, 11.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17519/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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