Kfz-Versicherer dürfen eine Werkstatt vorgeben, Rechtsschutzversicherer einen Anwalt empfehlen, beide können ihren Kunden dafür Vorteile versprechen, so der BGH. Zu Recht, meint Christian Deckenbrock, Interessenskonflikte begründen die Anreizsysteme der Versicherungen nämlich nicht. Die Rechtsschutzversicherer dürfen nur nicht zu dreist vorgehen, sie müssen die Wahl am Ende ihren Kunden überlassen.
Wer eine Vollkaskoversicherung für sein Auto abschließt, kann die Höhe der Versicherungsprämie durch eine Reihe von Parametern beeinflussen. Er kann sein Portemonnaie schonen, indem er seinen Wagen nicht anderen Fahrern überlässt, es in der Garage parkt oder nach einem Unfall eine vom Versicherer vorgegebene Werkstatt aufsucht.
Solche Anreize wollen mittlerweile auch Rechtsschutzversicherungen schaffen, um ihre Kosten gering zu halten. Sie empfehlen ihren Kunden einen Anwalt und versprechen ihnen Vergünstigungen, wenn sie sich von diesem beraten und vertreten lassen. Mit den empfohlenen Anwälten haben die Versicherungen wiederum feste Honorare für die außergerichtliche Beratung vereinbart. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Praxis nun anders als die Vorinstanz für grundsätzlich zulässig erklärt (Urt. v. 04.12.2013, Az. IV ZR 215/12).
EuGH-Rechtsprechung gab Urteil vor
Die HUK-Coburg knüpft die versprochene Vergünstigung an die Selbstbeteiligung. Im Normalfall wird anfangs eine Selbstbeteiligung von 150 Euro pro Schadenfall vereinbart, die jedoch bei schadenfreiem Verlauf sukzessive bis auf Null absinkt. Umgekehrt kann der Selbstbehalt bei Inanspruchnahme der Versicherung bis auf 400 Euro klettern. Eine solche Rückstufung für künftige Rechtsstreitigkeiten können Kunden der HUK vermeiden, wenn sie einen von der Versicherung empfohlenen Anwalt mandatieren.
Während die Versicherer das für einen Service gegenüber ihren Kunden halten, befürchten Teile der Anwaltschaft, dass die empfohlenen Anwälte die Interessenwahrnehmung nicht ausschließlich am Wohl des Mandanten orientieren. Diese Gefahr sah auch die Münchener Rechtsanwaltskammer, die das Anreizsystem der HUK als unzulässige Einschränkung des Rechts auf freie Anwaltswahl aus §§ 127, 129 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und § 3 Abs. 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) brandmarkte und die Versicherung im Ergebnis erfolglos verklagte.
Die freie Anwaltswahl stehe einer mit finanziellen Anreizen verbundenen Anwaltsempfehlung des Versicherers nicht entgegen, wenn die eigentliche Entscheidung über die Auswahl des Rechtsanwalts beim Versicherungsnehmer liege und kein unzulässiger psychischer Druck ausgeübt werde, entschied der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat. Das Recht auf freie Anwaltswahl sei im Zuge der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung im VVG verankert worden, weshalb § 127 VVG richtlinienkonform auszulegen sei. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) schließe jedoch nicht jegliche Anreizsysteme des Versicherers in Bezug auf die vom Versicherungsnehmer zu treffende Entscheidung aus, welchen Anwalt er beauftragt (Urt. v. 07.11.2013, Az. C-442/12).
Viele Versicherte wünschen sich sogar eine Empfehlung
Das Urteil war nach den Vorgaben des EuGH von November keine Überraschung. Es ist auch ansonsten zutreffend, weil ein variables Tarifsystem, wie das der HUK, das Recht des Versicherungsnehmers auf freie Anwaltswahl unberührt lässt. Wer einen Wunschanwalt an der Hand hat, bekommt grundsätzlich die anfallenden Kosten erstattet.
Auch beeinflussen die von der Versicherung versprochenen Vorteile die Auswahlentscheidung des Rechtsuchenden nicht gravierend. Im Gegenteil: Umfragen zeigen, dass viele Versicherte sich im Streitfall Unterstützung und Orientierung bei der Suche eines kompetenten Anwalts wünschen und eine solche Empfehlung als Dienstleistung der Versicherung sogar erwarten.
Dabei muss eines allerdings klar sein: Auch der von der Rechtsschutzversicherung empfohlene Rechtsanwalt ist allein den Interessen des Versicherten verpflichtet. Er ist nicht etwa ein Interessenvertreter zweiter Klasse, der auch auf die Wünsche der Versicherung Rücksicht zu nehmen hat.
Es ist auch in der Regel nicht zu befürchten, dass ein (von der Versicherung) schlechter bezahlter Anwalt nicht ausreichend Ehrgeiz in die Betreuung des Mandats steckt. Anwälte haben es immer mal mit lukrativeren und mal mit weniger gut bezahlten Mandaten zu tun. Soweit der Anwalt gleichwohl aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf eigene oder fremde (der Rechtsschutzversicherung) wirtschaftliche Interessen das Mandat nicht optimal wahrnimmt, ist dies ein Beratungsfehler und damit eine zivilrechtliche Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Insoweit gelten dieselben Rechtsgrundsätze wie für jeden anderen Beratungsfehler eines Anwalts. Der Mandant könnte seinen Anwalt also auf Ersatz verklagen, wenn ihm ein Schaden entstanden ist.
Versicherungen dürfen Kunden Anwaltswahl nicht vollständig abkaufen
Die Anreizsysteme der Versicherer sind aber nicht unbegrenzt zulässig. Die Vertragsgestaltung darf keinen unzulässigen psychischen Druck auf den Versicherten ausüben, einen der vorgeschlagenen Anwälte zu beauftragen. Diese Formulierung in der Pressemitteilung des BGH ist noch recht vage. Die Urteilsgründe werden sie hoffentlich ein wenig mit Leben füllen. Denn auch der EuGH hat sich mit seinen Ausführungen insoweit zurückgehalten.
Die Grenzen könnten überschritten sein, wenn ein Versicherer finanzielle Vorteile verspricht, die deutlich über das hinausgehen, was der Kunde bislang erwarten konnte. Bei der HUK-Coburg ist die Entscheidung gegen einen Vertrauensanwalt aber nicht einmal unmittelbar mit einem finanziellen Nachteil verbunden. Die Versicherung erhöht dann zwar den Selbstbehalt, das wirkt sich aber erst beim nächsten Mal aus. Auch noch zulässig dürfte es sein, wenn sich die Anwaltswahl unmittelbar finanziell bemerkbar machen würde, etwa, wenn die Versicherung bei Befolgung der Anwaltsempfehlung den Selbstbehalt unberücksichtigt ließe.
Klar unzulässig ist es, wenn sich der Kunde bereits bei Abschluss des Versicherungsvertrags sein Recht auf freie Anwaltswahl abkaufen lässt und sich bereits vor Entstehen der konkreten Rechtsstreitigkeit verbindlich verpflichtet, der Empfehlung des Versicherers zu folgen. Dies gilt selbst dann, wenn der vom Versicherer benannte Kreis von Anwälten so groß ist, dass der Rechtsuchende aus diesem Kreis eine ausreichende Anzahl an Auswahlmöglichkeiten hat. Das nähme dem Rechtsuchenden nämlich tatsächlich die Möglichkeit, den Anwalt seines Vertrauens zu wählen.
Der Autor Dr. Christian Deckenbrock ist Akademischer Rat am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Recht der freien Berufe und hier vor allem das anwaltliche Berufsrecht.
Christian Deckenbrock, Anwaltsempfehlung der HUK-Coburg: . In: Legal Tribune Online, 06.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10276 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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