Die Teilnahme an Glückspielen vom Erwerb eines Produkts abhängig zu machen, ist nach einer Entscheidung des EuGH heutzutage grundsätzlich erlaubt. Aber gilt das auch, wenn Kinder zu den Adressaten der Werbung gehören? Diese Frage hat der BGH am 12. Dezember 2013 zugunsten des Werbenden entschieden. Eine Darstellung von Marc Zain.
Die Werbung mit Gewinnspielen ist seit jeher ein schlagkräftiges Instrument zur Absatzförderung. Der deutsche Gesetzgeber und die deutschen Gerichte standen der Ausnutzung der aleatorischen Reize eines Gewinnspiels zur Absatzförderung allerdings traditionell skeptisch gegenüber. So wurde es von den deutschen Gerichten lange Zeit als generell unzulässig angesehen, den Erwerb einer Ware zur Bedingung für die Teilnahme an einem Gewinnspiel zu machen.
Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung in § 4 Nr. 6 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) kodifiziert und nachvollzogen. Dieser rigorosen Betrachtungsweise erteilte der EuGH jedoch eine Absage.
Urteil des EuGH erweiterte Spielraum der Werbung erheblich
In seiner Entscheidung "Plus Warenhandelsgesellschaft" vom 14. Januar 2010 (Az. C-304/08) entschied er, dass ein solches, pauschales Verbot mit den europarechtlichen Vorgaben der UGP-Richtline (2005/29/EG) unvereinbar sei. Es müsse stets eine Bewertung des Einzelfalls stattfinden. Hierbei müsse hinterfragt werden, ob die Kopplung eine übertriebene Anlockwirkung entfaltet und der Werbende damit gegen die fachliche Sorgfalt verstößt. Die Vorschrift des § 4 Nr. 6 UWG wird seitdem in Deutschland richtlinienkonform nicht mehr als pauschales Verbot verstanden, sondern einzelfallbezogen geprüft (vgl. z.B. BGH "Millionen-Chance II", Urt. v. 05.10.2010, Az. I ZR 4/06).
Für die deutsche Werbebranche eröffnete das ganz neue Möglichkeiten, die ihr bislang kategorisch verschlossen waren, nämlich die Teilnahme an einem Gewinnspiel von der Inanspruchnahme eines gewerblichen Angebots abhängig zu machen. Unzulässig ist die Werbung mit einer solchen Koppelung allerdings weiterhin, wenn sie in irreführender Weise erfolgt oder wenn die Teilnahmebedingungen nicht entsprechend § 4 Nr. 5 UWG klar und eindeutig mitgeteilt werden oder wenn die Werbung gegen die fachliche Sorgfalt im Sinne des § 3 Abs. 2 UWG verstößt. Bis dato unklar und daher in der Praxis noch wenig handhabbar sind allerdings die Grenzen, ab wann eine solche Kopplung im Einzelfall nicht mehr der fachlichen Sorgfalt entspricht, weil sie zu einem unzulässigen, übertriebenen Anlocken führt.
Haribo adressierte mit Gewinnspiel Familien und Kinder
In dieses Problemfeld stößt der Bundesgerichtshof (BGH) nun mit einem aktuellen Urteil (v. 12.12.2013, Az. I ZR 192/12). Zur Beurteilung stand die Fernsehwerbung eines großen Süßwarenherstellers. Der hatte dazu aufgefordert, seine Produkte zu kaufen, um an einem Gewinnspiel teilnehmen zu können. In dem Spot trat der bekannte Fernsehmoderator Thomas Gottschalk auf, der zwei Familien mit Kindern im Supermarkt traf. Er erklärte, dass man beim Kauf von fünf Produkten der Beklagten zu je einem Euro gegen Einsendung der Originaleinkaufsbelege an einem Gewinnspiel teilnehmen könne. Dort waren 100 "Goldbärenbarren" im Wert von 5.000,00 Euro zu gewinnen.
Auf den Hinweis eines Kindes, das den vollen Einkaufswagen seiner Familie zeigte, bestätigte der Moderator, dass die Gewinnchancen mit so einem Einkauf stiegen, weil man auch mehrere Einkaufsbelege einsenden könne. Gottschalk sprach in der Werbung in einem kindergerechten Tonfall. Er bezeichnete die Eltern als "Mutti" und "Papa" und wählte auch im Übrigen eine betont einfach gehaltene Sprache.
2/2: OLG Köln legt strenge Maßstäbe an
Das Oberlandesgericht (OLG) Köln (Urt. v. 21.09.2012, Az. 6 U 53/12) sah bei dieser Werbung die Grenze der fachlichen Sorgfalt überschritten und die Werbung daher als unzulässig an. Die fachliche Sorgfalt umfasse die Pflicht des Werbenden zur Rücksicht auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers. Der Verbraucher dürfe nicht so stark beeinflusst werden, dass die Rationalität seiner Nachfrageentscheidung vollständig in den Hintergrund trete. Würden mit der Werbung auch Kinder angesprochen, müsse bei richtlinienkonformer Auslegung auf deren Verständigkeit abgestellt werden. Zwar sei eine Kopplung von Warenabsatz und Gewinnspiel dann nicht generell unzulässig, wie es noch das Landgericht angenommen hatte. Es gelte aber der strenge Sorgfaltsmaßstab des § 3 Abs. 2 S. 3 UWG.
Für die Anwendung diese strengen Sorgfaltsmaßstabs sei es nicht erforderlich, dass von der Werbung nur Kinder betroffen seien, wie es dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 S. 3 UWG entspricht. Es genüge, wenn durch die Werbung auch Kinder angesprochen würden. Das sei bei der kindergerechten Aufmachung der Werbung gegeben. Müsse daher auf das Verständnis von Kindern abgestellt werden, seien an die Transparenz und die Darstellung der Gewinnchancen erhöhte Anforderungen zu stellen. Dem sei die Goldbärenbarren-Werbung nicht gerecht geworden.
Den Kindern würde suggeriert, dass sich durch den Kauf einer größeren Menge an Produkten die Gewinnchance erhöhen lasse, weil dann mehrere Einkaufsbelege eingesandt werden könnten. Tatsächlich sei das nicht der Fall. Denn im Zweifel würden sich alle Kunden in dieser Weise verhalten und mehrere Belege einsenden. Damit blieben die Gewinnchancen in der Relation identisch. Das könnten die Kinder jedoch nicht einschätzen. Ihre Entscheidungsfreiheit werde daher unzulässig beeinflusst.
Diese Entscheidung des OLG Köln war durchaus brisant. Denn der Werbende musste hiernach stets fürchten, besonders strengen Anforderungen zu unterliegen, wenn seine Werbung auch das Interesse von Kindern wecken kann. Insbesondere bei Süßwaren ist das vermutlich fast immer der Fall.
… und wird vom BGH kassiert
Der BGH hat die Entscheidung des OLG Köln mit Urteil vom gestrigen Tage indes aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der strengere Sorgfaltsmaßstab des § 3 Abs. 2 S. 3 UWG sei vorliegend nicht anzuwenden. Die Werbung richte sich auch an Erwachsene. Daher könne nicht allein auf die Verständigkeit von Kindern abgestellt werden.
Maßgeblich sei ein Durchschnittsverbraucher. Ein Verstoß gegen die fachliche Sorgfalt sei im vorliegenden Kontext nicht anzunehmen. Die Kosten der Gewinnspielteilnahme würden deutlich. Auch würde keine unzutreffende Gewinnchance suggeriert. Da der Werbespot zudem keine unmittelbare Kaufaufforderung an Kinder enthalte, verstoße er auch nicht gegen Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG. Überdies sei er auch nicht geeignet, unter Verstoß gegen § 4 Nr. 2 UWG die geschäftliche Unerfahrenheit Minderjähriger in unlauterer Weise auszunutzen.
Mit seiner Entscheidung führt der BGH eine bereits seit geraumer Zeit erkennbare und für die Werbewirtschaft sicherlich erfreuliche Tendenz fort. Die Regeln für die Werbung mit Glücksspielen werden zunehmend liberalisiert. Die früher als K.O.-Kriterium angesehenen aleatorischen Reize des Glücksspiels spielen heute keine relevante Rolle mehr. Branchen, deren Produkte auch für Kinder interessant sind, dürfen zusätzlich aufatmen. Denn die Entscheidung des BGH befreit sie weitreichend vom dem sehr strengen Sorgfaltsmaßstab des § 3 Abs. 2 S. 3 UWG.
Ihre Werbung ist, selbst wenn sie sich neben den Eltern auch an die Kinder richtet, nicht strenger zu beurteilen als solche, die sich nur an Erwachsene richtet. Ob Eltern, die sich an der Kasse ihrer quengelnden Kinder erwehren müssen, ebenso erfreut sein werden, steht auf einem anderen Blatt. Die Begründung des BGH, warum er die Frage des Anwendungsbereichs des auf der UGP-Richtlinie basierenden § 3 Abs. 2 S. 3 UWG nicht dem EuGH vorgelegt hat, obgleich die Auslegung des OLG Köln mit dieser Richtlinie begründet wurde, bleibt bis zum Vorliegen der vollständigen Entscheidungsgründe abzuwarten.
Der Autor Dr. Marc Zain ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz in der Anwaltskanzlei-Zain, Köln.
Dr. Marc Zain, BGH zu Werbung mit Glückspielen: Goldbärenbarren nicht zu beanstanden . In: Legal Tribune Online, 13.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10353/ (abgerufen am: 16.04.2024 )
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