Uncool, aber lebensrettend – auch OLG-Richter sind Radfahrer und haben sich trefflich über eine Helmpflicht gestritten. Nun hat der BGH eine Grundsatzentscheidung getroffen: Einen Fahrradfahrer trifft an den Folgen eines Unfalls kein Mitverschulden, nur weil er keinen Helm getragen hat. Das könnte sich aber ändern, wenn irgendwann mehr Menschen mit Helm Fahrradfahren, erklärt Alfred Scheidler.
Obwohl die Straßenverkehrsordnung (StVO) keine Helmpflicht für Fahrradfahrer vorsieht, ist unter Juristen umstritten, ob sich ein Fahrradfahrer bei einem Unfall ein Mitverschulden anrechnen lassen muss, wenn er keinen Helm trägt, vgl. § 9 Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
So vertritt etwa das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg, dass es kein Mitverschulden geben kann, solange es keine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer gibt (Urt. v. 29.07.1999, Az. 8 U 1893/99). Ähnlich hat das OLG Hamm im Jahr 2000 einen Mitverschuldensvorwurf abgelehnt, "weil eine allgemeine Verkehrsanerkennung der Notwendigkeit einer solchen Schutzmaßnahme (noch) nicht festzustellen ist" (Urt. v. 26.09.2000, Az. 27 U 93/00).
Andere Obergerichte haben differenziert zwischen dem "normalen" Fahrradfahrer, der sein Gefährt als reines Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr einsetzt, und sportlich ambitionierten Fahrern wie Rennradfahrern. Letztere treffe die Obliegenheit, einen Helm zu tragen, weil sie zu einer besonders gefährdeten Radfahrergruppe gehörten, von denen ohne weiteres verlangt werden könne, zum eigenen Schutz vor Verletzungen einen Helm zu tragen, so etwa das OLG Düsseldorf (Urt. v. 18.06.2007, Az. I-1 U 278/06), das OLG Saarbrücken (Urt. v. 09.10.2007, Az. 4 U 80/07) oder das OLG Celle (Urt. v. 12.02.2014, Az. 14 U 113/13).
Radfahrerfeindliche Haltung des OLG Schleswig
Da in der Rechtsprechung also überwiegend keine allgemeine Helmtragepflicht für Fahrradfahrer angenommen wird, sorgte vor gut einem Jahr ein Urteil des OLG Schleswig für Aufsehen, das generell ein Mitverschulden wegen Nichtragen eines Fahrradhelmes annahm.
In dem entschiedenen Fall war eine Fahrradfahrerin ohne Helm, an einem Pkw vorbeigefahren, der am rechten Fahrbahnrand parkte. Die Autofahrerin hatte unmittelbar vor der sich nähernden Fahrradfahrerin von innen die Fahrertür geöffnet, so dass die Radfahrerin stürzte und sich schwere Schädel-Hirnverletzungen zuzog. Mit Helm wären die Verletzungen wohl weniger schlimm ausgefallen.
Obwohl die Schuld an dem Unfall eindeutig bei der Autofahrerin lag, hat das OLG Schleswig der Fahrradfahrerin ein Mitverschulden von 20 Prozent angelastet, weil sie keinen Helm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe (Urt. v. 05.06.2013, Az. 7 U 11/12).
Es gibt viele Gründe für und gegen eine Helmpflicht
Gegen dieses Urteil wurde Revision eingelegt, so dass der Bundesgerichtshof (BGH) darüber zu entscheiden hatte. Zwar landete die Frage 2008 schon einmal auf den Tischen der Karlsruher Richter, sie hatten diese damals aber als nicht entscheidungserheblich offen lassen können (Urt. v. 04.11.2008, Az. VI ZR 171/07). Nun musste der BGH Farbe bekennen und hat dies auch in aller Deutlichkeit getan, indem er das Urteil des OLG Schleswig aufhob: "Das Nichttragen eines Fahrradhelms führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens", heißt es in der Pressemitteilung des höchsten Zivilgerichts (Urt. v. 17.06.2014, Az. VI ZR 281/13).
Der BGH stützt seine Entscheidung darauf, dass es keine gesetzliche Helmpflicht für Fahrradfahrer gibt und dass es zum Zeitpunkt des Unfalls auch kein allgemeines Verkehrsbewusstsein gegeben habe, nach dem das Tragen eines Helms zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre. Nach repräsentativen Verkehrsbeobachtungen der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2011 würden innerorts nur elf Prozent der Fahrradfahrer einen Helm tragen.
Die Entscheidung des BGH ist damit schon zeitlich sehr begrenzt. Zumal die Zahl der Helmträger kontinuierlich steigt – wenngleich im Durchschnitt auf niedrigem Niveau. Auch Fälle sportlicher Betätigung des Radfahrens erfasst das Urteil ausdrücklich nicht.
Dennoch liegen die Karlsruher Richter richtig: Es widerspricht dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden, einem Radfahrer, der sich vollkommen rechtstreu verhält, bei einem Unfall ein Mitverschulden aufzubürden, nur weil er keinen Helm getragen hat. Andernfalls würde die Rechtsprechung eine Helmpflicht einführen, was aber Aufgabe des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers ist. Dass es bislang keine Helmpflicht gibt, kann viele Gründe haben, so etwa die Erwägung, dass eine Helmpflicht das Radfahren als Breitensport einschränken und somit die positiven Gesundheitseffekte beeinträchtigen könnte. Dies zu beurteilen ist aber dem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetz- bzw. Verordnungsgeber überlassen und nicht der Rechtsprechung.
Der Autor Dr. Alfred Scheidler ist Oberregierungsrat in Neustadt an der Waldnaab und Autor zahlreicher Publikationen zum öffentlichen Recht
BGH führt keine Helmpflicht ein: . In: Legal Tribune Online, 17.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12283 (abgerufen am: 12.10.2024 )
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