Der BGH hat im Göttinger Organspende-Skandal entschieden: Der angeklagte Arzt habe Patienten zwar durch falsche Angaben auf der Warteliste nach vorn gebracht – dabei aber keinen Tötungsvorsatz gehabt, so Karlsruhe. Von Arnd Pannenbecker.
Der Prozess um den Göttinger Organspende-Skandal ist in die letzte Runde gegangen: Nachdem das Landgericht (LG) den Angeklagten unter anderem vom Vorwurf des versuchten Totschlags in elf Fällen freigesprochen hatte, hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch den von der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf acht Fälle beanstandeten Freispruch bestätigt (Urt. v. 28.06.2017, Az. 5 StR 20/16).
Der Arzt hatte unrichtige Gesundheitsdaten seiner Patienten an die Organ-Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet und zudem Patienten gemeldet, die die Aufnahmekriterien der Richtlinien der Bundesärztekammer zur Alkoholabstinenz nicht erfüllten. Durch die richtlinienwidrige Aufnahme in die Warteliste beziehungsweise die verbesserte Position auf der Warteliste wurden den Patienten des Arztes zu Lasten anderer Kranker auf der Liste Lebern vermittelt, was bei einer Angabe richtiger Daten unterblieben wäre.
Der BGH hat damit die Revision der Staatsanwaltschaft verworfen. Diese hatte mit ihrem Vorwurf juristisches Neuland betreten und argumentiert, der Angeklagte habe es zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass auf der Warteliste aufgrund der unrichtigen Meldungen "überholte" Kranke vor einer rettenden Transplantation versterben – der Mann also mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt habe. Die Vorgänge ereigneten sich im Jahre 2011. Der Arzt befand sich 2013 in Untersuchungshaft und das Oberlandesgericht Braunschweig war im Haftbeschwerdeverfahren dieser Argumentation gefolgt (Beschl. v. 20.03.2013, Az. Ws 49/13).
BGH: Kein Tötungsvorsatz beim Melden unrichtiger Gesundheitsdaten
Ein Tötungsvorsatz würde voraussetzen, dass der Angeklagte in der Vorstellung gehandelt hat, dass die benachteiligten Kranken auf der Warteliste bei ordnungsgemäßem Verlauf und Zuteilung sowie Übertragung der konkret allozierten Leber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überleben und ohne die Transplantation versterben würden.
Eine solche Vorstellung konnte bei dem Angeklagten aber auch nach Auffassung des BGH nicht festgestellt werden. Denn eine Vielzahl von Faktoren führt dazu, dass es ungewiss bleibt, ob die benachteiligten Kranken die potenzielle Lebertransplantation überlebt und wenn ja, ohne diese auch verstorben wären.
So liege etwa das Risiko, in oder unmittelbar nach der Leberübertragung zu versterben, bei fünf bis zehn Prozent. Das konkrete Transplantat hätte zudem für die übersprungenen Kranken untauglich sein oder das Transplantationszentrum des auf der Liste überholten Kranken die unter Zeitdruck zu vermittelnde Leber aus anderen Gründen ablehnen können, zum Beispiel wegen des instabilen Zustands des Kranken.
Richtlinien der Bundesärztekammer verfassungswidrig
Der BGH ist auch der Auffassung des LG gefolgt, dass ein Verstoß gegen die Richtlinienvorgaben zur sechsmonatigen Alkoholabstinenz mangels einer hinreichend bestimmten Gesetzesgrundlage für den Ausschluss solcher Patienten von der Transplantation nicht strafbar sein kann, weil dies gegen das Prinzip der gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit aus Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz verstieße.
Durch diese Richtlinienvorgabe würden auch solche Alkoholabhängige von der Transplantation ausgeschlossen, die erfolgreich transplantiert werden können, aber die Abstinenzzeit nicht überleben würden, so die Karlsruher Richter.
Nach dieser Bewertung werden die Richtlinien der Bundesärztekammer wohl bald überarbeitet und nachgebessert werden.
Integrität der Warteliste erst im Nachhinein geschützt
Natürlich ist die Manipulation der Warteliste durch Meldung unrichtiger Gesundheitsdaten moralisch verwerflich. Diese moralische Verwerflichkeit reicht aber richtiger Weise nicht aus, den Transplantationsarzt mit der Härte einer achtjährigen Haftstrafe wegen versuchten Totschlags zu bedrohen und aus generalpräventiven Gesichtspunkten ein solches Verfahren zu betreiben.
Vielmehr ist die Integrität des transplantationsrechtlichen Meldewesens zur Warteliste das schützenswerte Rechtsgut. Zur Zeit der zu beurteilenden Vorgänge im Jahre 2011 war dieses System jedoch noch nicht strafrechtlich geschützt: Dies ist in Reaktion auf den Skandal ist im Juli 2013 geschehen, nämlich § 19 Abs. 2a i. V. m. § 10 Abs. 3 Satz 2 Transplantationsgesetz. So gilt das Gesetzlichkeitsprinzip: keine Strafe ohne Gesetz.
Der Autor Dr. Arnd Pannenbecker ist Rechtsanwalt und Gründer der Sozietät AVANTCORE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB. Er ist insbesondere im Arzneimittel-, Transplantations- und Transfusionsrecht tätig und berät u. a. Gewebebanken und Blutspendeeinrichtungen.
BGH zum Organspende-Skandal: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23315 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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