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BGH hebt Freisprüche für "Scharia-Polizisten" auf: Das Pro­blem ist ein anderes

von Malte Mennemann

11.01.2018

Die Westen der selbsternannten "Shariah Police"

(c) Screenshot Youtube-Video

Der BGH hat den deutschlandweit bekannt gewordenen Fall der Wuppertaler "Shariah Police" zurück ans LG verwiesen. Malte Mennemann meint, dass die eigentliche Schwierigkeit schon gar nicht in der einheitlichen Kleidung der Gruppe liegt.

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Das Tragen von Warnwesten mit der Aufschrift "Shariah Police" verstößt möglicherweise gegen das Uniformierungsverbot des Versammlungsgesetzes. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat deshalb die Freisprüche für eine Gruppe Muslime aufgehoben, die im September 2014 in Warnwesten mit der Aufschrift "Shariah Police" durch die Wuppertaler Innenstadt patrouillierten. Er verwies den Fall zur erneuten Verhandlung an das Landgericht (LG) Wuppertal zurück (Urt. v. 11.01.2018. Az. 3 StR 427/17).

Die Gruppe rund um den Salafistenprediger Sven Lau trug über ihrer Alltagskleidung orangene Warnwesten. Auf der Rückseite prangte in großen Lettern die Aufschrift "Shariah Police". Sie wollten eigenen Angaben zufolge junge Muslime ansprechen, um sie davon abzuhalten, Spielhallen, Bordelle oder Gaststätten zu besuchen oder Alkohol zu konsumieren. Das Ganze dokumentierten sie auf Video und veröffentlichten es auf Youtube.

Die Mitglieder der Gruppe hielten sich während der Aktion gegenüber den Passanten der Wuppertaler Innenstadt zurück. Sie waren weder aggressiv noch hinderten sie jemanden daran, Kneipen oder Spielhallen zu betreten. Das Ziel war vielmehr ein anderes: Provokation und größtmögliche Aufmerksamkeit. Das haben sie auch erreicht, denn in der Folge wurde bundesweit in allen Medien darüber berichtet, in Kommentarspalten fürchtete man den Untergang des Abendlandes und weitere Patrouillen in anderen deutschen Städten.

Polizei sah keine Strafbarkeit

Die Wuppertaler Polizei, welche die Gruppe noch am Abend der Aktion kontrollierte, sah keine Anhaltspunkte für eine Straftat. Dennoch - vermutlich dem öffentlichen Druck geschuldet - suchte die Staatsanwaltschaft nach Möglichkeiten, die Gruppenmitglieder zu sanktionieren. Das einzige, was sie fand: Ein Verstoß gegen das Uniformierungsverbot nach §§ 3 Abs. 1, 28 Versammlungsgesetz (VersG). Die Vorschrift verbietet, öffentlich Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen.

Die rechtlich relevante Frage lautet dabei: Können Warnwesten, getragen über Alltagskleidung, mit der Aufschrift "Shariah Police" auf dem Rücken, eine Uniform sein?

Das LG Wuppertal verneinte dies und sprach die Angeklagten frei. Nach Ansicht der zuständigen Strafkammer stellten die Warnwesten keine gleichartigen Kleidungsstücke als Ausdruck gemeinsamer politischer Gesinnung dar. Das Uniformierungsverbot greife nur, wenn die Kleidungsstücke Uniformen ähnlich seien und suggestiv-militante, einschüchternde Effekte auslösten. Dies sei bei den Warnwesten nicht der Fall gewesen.

Gegen dieses Urteil richtete sich die Revision der Staatsanwaltschaft vor dem BGH. Der 3. Strafsenat hat das Urteil am Donnerstag aufgehoben, weil das LG Wuppertal "maßgebliche Umstände nicht bzw. den rechtlichen Vorgaben des § 3 Versammlungsgesetz nicht entsprechend in seine Gesamtbewertung des Vorfalls einbezogen" habe, heißt es in der Mitteilung der Karlsruher Richter.

Schon in der mündlichen Verhandlung sprach der Vorsitzende Richter Jörg-Peter Becker davon, dass es entscheidend auf die Beschriftung der Warnwesten ankomme, berichtet die TAZ. Das versammlungsrechtliche Verbot von "gleichartiger Kleidung" müsse hingegen eng ausgelegt werden, sonst könnten auch Streikwesten der IG Metall von der Norm erfasst werden.

Botschaft ließe sich auch als Einzelperson verbreiten

Die entscheidende Problematik des Falls liegt aber schon gar nicht in der Frage, ob das Tragen einheitlicher Warnwesten mit derselben Aufschrift einen Verstoß gegen das Uniformierungsverbot darstellt. Dieses greift nur, wenn die Uniform von mehreren Personen öffentlich oder in einer Versammlung getragen wird. Eine Einzelperson dürfte selbst dann mit einer entsprechend beschrifteten Warnweste durch Deutschlands Städte ziehen und religiös begründete Aufforderungen machen, wenn die Weste eine Uniform darstellte. Andere Straftatbestände, wie Amtsanmaßung oder Nötigung, sind auch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht erfüllt gewesen.

Im konkreten Fall dürfte von den Salafisten objektiv betrachtet auch keine Einschüchterung ausgegangen sein. Ein Zeuge soll die Gruppe sogar für einen Junggesellenabschied gehalten haben. Das Video, das über Youtube verbreitet wurde, beginnt mit einem Poster: "You are entering a Shariah controlled zone" – zu Deutsch: "Sie betreten eine von der Scharia kontrollierte Zone". Anschließend sieht man, wie Männer durch das abendliche Wuppertal spazieren. Sie sprechen ihre, wie sie es nennen, "Brüder" an und verweisen auf ihre neue Moschee. Schwer vorstellbar, dass sich dadurch jemand eingeschüchtert fühlt.

Auch dürften junge Muslime, egal ob in Deutschland geboren oder erst kürzlich eingewandert, nicht ernstlich davon ausgehen, dass es in Deutschland eine Scharia-Polizei gibt.

Das eigentliche Problem mit der "Shariah Police"

Kriminalpolitisch problematisch wird es dann, wenn solche "Patrouillen" regelmäßig stattfinden, wenn also jeden Abend – wie gezeigt auch allein - ein Muslim durch die Fußgängerzone schreitet und wachsam darauf achtet, ob seine "Brüder" etwas seiner Meinung nach Unsittliches tun. Dann macht es nämlich keinen großen Unterschied mehr, ob es sich um eine Gruppe oder einen einzelnen Sittenwächter handelt. Der Staat müsste sich dann fragen lassen, ob er dieses Verhalten toleriert oder auf andere Weise verhindert.

Das Urteil kommt genau zu einer Zeit, in der sich immer mehr Bürger vor einer zunehmenden Islamisierung fürchten, unabhängig davon, ob man eine solche erkennen mag oder nicht. Der Staat steht vor der kniffligen Aufgabe, für mehr gefühlte Sicherheit zu sorgen, auch wenn möglicherweise keine signifikant größere Gefahr als noch vor Beginn der Flüchtlingskrise 2015 existieren sollte.

Indes scheint die Scharia-Polizei selbst ihre Regeln nicht ganz genau zu nehmen. Zwar legen sie zu Beginn ihres Videos eindeutig fest: "No music". Das Video ist aber trotzdem mit arabischer Musik unterlegt. Auch nach der Scharia scheint zu gelten: Es kommt darauf an.

Der Autor Malte Mennemann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Dr. hc. Michael Kubiciel an der Universität Augsburg. Er forscht dort zu den Bereichen des Straf- und Medizinrechts.

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Malte Mennemann, BGH hebt Freisprüche für "Scharia-Polizisten" auf: Das Problem ist ein anderes . In: Legal Tribune Online, 11.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26439/ (abgerufen am: 30.06.2022 )

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