Der BGH erlaubt Kuttenverbote für lokale Rockervereine nur, wenn diese selbst verboten sind oder die Zielsetzung verbotener Vereine teilen. Eine erwartbare Entscheidung, meint Frank Braun – zumal es der Polizei ohnehin nie um die Kutten ging.
Wenn es gegen Mitglieder von Rockervereinen geht, ist die Polizei nicht zimperlich. Vereinsverbote, Kuttenverbote, Waffenverbote sowie umfassende Personen- und Fahrzeugkontrollen bei Rockertreffen sind nur einige der zahlreichen Maßnahmen, mittels derer pauschal gegen Szeneangehörige vorgegangen wird. Die durch die Innenminister vorgegebene Kriminalisierungsstrategie beruht auf der Annahme, dass Rocker per se Kriminelle sind. Eine differenzierende Betrachtung findet nicht statt; mitgegangen – mitgehangen. Was die medial inszenierten Kuttenverbote betrifft, hat der Bundesgerichtshof dieser Strategie eine Absage erteilt (Urt. v. 09.07.2015, Az. 3 StR 33/15).
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Angeklagten sind Mitglieder örtlicher "Chapter" in Unna und Bochum des Motorrad-Clubs Bandidos. Zwei andere rechtlich selbständige Ortsgruppen in Deutschland sind durch Verfügungen der zuständigen Innenministerien verboten. Die Angeklagten trugen jeder eine Weste, auf der sich als Mittelabzeichen ("Center-Crest") der Bandidos, der sog. "Fat Mexican" und darüber ein Aufnäher mit dem Schriftzug "Bandidos" ("Top-Rocker") befanden. Jeweils als untere Abgrenzung waren Aufnäher mit den Ortsbezeichnungen ("Bottom-Rocker") ihrer Chapter Unna und Bochum angebracht.
Kuttenverbote bleiben möglich – aber in engen Grenzen
Dieses Verhalten wurde von der Staatsanwaltschaft – in Anlehnung an eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg - als strafbar bewertet. Das Landgericht Bochum, dessen Entscheidung nun der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt hat, sprach die Angeklagten indes frei. Sie hätten sich nicht gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5; § 9 Abs. 1 Vereinsgesetz (VereinsG) strafbar gemacht hätten. Denn die Abzeichen wiesen nicht auf eine verbotene Ortsgruppe hin, und das mit den unterschiedlichen "Bottom-Rockern" zusammengesetzte Kennzeichen war mit dem der verbotenen Vereine in Aachen und Neumünster auch nicht zum Verwechseln ähnlich. Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass die Ortsgruppen der Angeklagten die Ziele der beiden verbotenen Vereinigungen geteilt hätten.
Durch den Freispruch wurde nun auch den polizeirechtlichen Kuttenverboten der Boden entzogen. Obwohl der BGH den Sicherheitsbehörden eine Hintertür offen ließ. Das Hinzufügen eines Ortszusatzes zur Abgrenzung von einem verbotenen Verein reiche nach § 9 Abs. 3 VereinsG dann nicht aus, wenn der Schwesterverein die Zielrichtung des verbotenen Vereins teile. In diesem Fall könnten weiterhin – nicht strafbewehrte – Kuttenverbote ausgesprochen werden. Hierfür bedürfte es behördlich nachzuweisender konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Verein die verbotsrelevanten Ziele teilt; bei strafgesetzwidrigen Vereinen also zumindest der Feststellung von einschlägigen, dem "Schwesterverein" zurechenbaren Straftaten. Freilich wird ein entsprechender Nachweis der "geteilten strafgesetzwidrigen Zielrichtung" in der Praxis kaum gelingen.
Erwartbare Antwort auf Fehlurteil des OLG Hamburg
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs war in etwa so zu erwarten. Dass das Verfahren überhaupt bis nach Karlsruhe ging, lag an einer Entscheidung des OLG Hamburg, auf die die Kuttenverbote in der Praxis gestützt wurden - eine der am schlechtesten begründeten Entscheidungen der letzten Jahre, mit zum Teil haarsträubend abwegigen Textpassagen. Im juristischen Schrifttum gab es indes keine einzige Stellungnahme, die die behördlichen Kuttenverbote und damit zusammenhängende Kriminalisierung der Angehörigen von Rockervereinigungen als rechtlich haltbar bewertet hätte.
In Sachen Kriminalitätsbekämpfung ist mit den "Kuttenverboten" ohnehin wenig gewonnen. Im Gegenteil: Im Falle flächendeckender "Kuttenverbote" würden Bedrohungspotenziale im Alltag unsichtbar gemacht und die Zuordnung strafbaren Verhaltens erschwert. Wären Mitglieder der Cosa Nostra intern verpflichtet, ständig Jacken mit der Aufschrift "Mafia" zu tragen, würde man wohl nicht auf die Idee kommen, dies zu verbieten. Auch mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip steht es der Polizei nicht gut an, strafrechtlich nicht in Erscheinung getretene Mitglieder nicht verbotener Vereine unter Generalverdacht zu stellen und mittels sinnwidriger Kuttenverbote zu kriminalisieren.
2/2: Um die Kutten selbst ging es nie
Der eigentliche Hintergrund der Kuttenverbote ist ohnehin ein anderer. Mittels der vereinsrechtlichen Konstruktionen eines strafbewehrten Kuttenverbotes sollte in erster Linie ein Anfangsverdacht generiert werden, der zu polizeilichen Maßnahmen ermächtigt, die andere Ziele verfolgen: So sollen im Rahmen von Durchsuchungen etwa "Zufallsfunde" ermöglicht oder mittels des politisch angeordneten "niedrigschwelligen Einschreitens" Widerstandshandlungen provoziert werden, die dann als "echte" Straftaten verfolgt werden können.
An einer konsequenten Verfolgung der – angeblich – strafbewehrten Kuttenverbote war dagegen niemand interessiert. Das zeigt auch die Sachverhaltskonstellation, die der BGH-Entscheidung zu Grunde lag. Um eine gerichtliche Bewertung der Kuttenverbote zu erlangen, musste eine Strafanzeige "provoziert" werden. Die Angeklagten begaben sich zu diesem Zweck Kutte tragend in Begleitung ihrer Verteidiger zum Polizeipräsidium Bochum.
Nächste Baustelle: Schlagstöcke & Co
Freilich sind Hells Angels, Bandidos und Co. keine Chorknaben. Ein nicht unerhebliches Kriminalitätspotential besteht bei einigen Chaptern/Chartern ohne Zweifel. Dieses muss auch polizeilich bekämpft werden. Hierzu stehen der Polizei und den Staatsanwaltschaften in den Landespolizeigesetzen und der Strafprozessordnung ausreichende Eingriffsbefugnisse zur Verfügung. Gelingt es indes nicht, den Motorradclubs in maßgeblichem Umfang Straftaten nachzuweisen, heißt es in einem Rechtsstaat Zurückhaltung zu wahren.
Darauf sollte man sich bei der teils hysterisch betriebenen Bekämpfung der Rockerkriminalität wieder besinnen. Zu erwarten ist dies jedoch kaum. Die "Zero-Tolerance-Strategie" einiger Innenminister wird weitergehen. Jetzt sollen in Baden-Württemberg – gestützt auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts – die Rocker "entwaffnet" werden. Neben echten Waffen sollen alle gefährlichen Gegenstände, wie etwa Schreckschusswaffen, Hieb- und Stoßwaffen, Schlagstöcke, Kampfmesser und auch Pfefferspray und Elektroschocker eingezogen werden. Auch damit werden sich wieder die Gerichte beschäftigen müssen, wobei sich eine weitere Niederlage der Hardliner schon jetzt abzeichnet.
Der Autor Dr. Frank Braun ist Regierungsdirektor an der FHÖV NRW in Münster und Autor des am 24. Juni 2014 im Beck Verlag erschienenen Kommentars zum Vereinsgesetz.
Dr. Frank Braun, Bundesgerichtshof setzt enge Grenzen für Kuttenverbote: Rock on . In: Legal Tribune Online, 09.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16152/ (abgerufen am: 23.09.2023 )
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