Jahrzehntelang haben deutsche Gerichte Angeklagte alternativ verurteilt, wenn sie entweder einen Diebstahl oder eine Hehlerei begangen hatten. Unter Widerspruch des 5. Strafsenats des BGH möchte der 2. Senat die Wahlfeststellung ab sofort verwerfen. Völlig zu Recht, meint Georg Freund. Er hofft, dass sich der Große Senat auf Gesetzlichkeit statt Richterrecht besinnen wird.
In Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) heißt es wörtlich: "Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde." Die Lektüre dieser elementaren Vorschrift genügt, um dem 2. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) Recht zu geben, der in seinem Anfragebeschluss (Beschl. v. 28.01.2014, Az. 2 StR 495/12) davon ausgeht, dass es für eine alternative Verurteilung im Sinne der Begehung einer „Alternativ-Tat“ keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gibt.
Der Beschluss betrifft die klassische Konstellation, mit der schon Studierenden die Grundsätze der Wahlfeststellung beigebracht werden: Es steht fest, dass der Angeklagte entweder einen Diebstahl oder aber eine Hehlerei begangen hat. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung will ihn der 2. Senat, obgleich diese Taten "rechtsethisch und psychologisch vergleichbar" sind, nicht mit einem alternativen Schuldspruch "wegen Diebstahls oder Hehlerei" verurteilen.
Die Richter des 2. Senats gehen vielmehr ohne jede Einschränkung von der Verfassungswidrigkeit der richterrechtlich bislang praktizierten gesetzesalternativen Wahlfeststellung aus. Eigentlich war zu erwarten, dass die übrigen Senate zustimmend reagieren.
Keine Gerechtigkeit ohne Gesetzlichkeit
Die mittlerweile vorliegende Antwort des 5. Senats fällt indessen mit recht dürftiger Begründung ablehnend aus (Beschl. v. 16.07.2014, Az. 5 ARs 39/14). Der Leipziger Senat bleibt im Wesentlichen bei der bloßen Behauptung stehen, die vorhandenen Strafgesetze – im konkreten Fall der Diebstahl nach § 242 und die Hehlerei gemäß § 259 StGB – genügten als gesetzliche Strafbarkeitsanordnungen für eine alternative Verurteilung. Einen Freispruch halten sie für "unvereinbar mit unverzichtbaren Geboten der Gerechtigkeit".
Dabei sind Gerechtigkeitsüberlegungen niemals geeignet, den Gesetzlichkeitsgrundsatz auszuhebeln. Insofern verhält es sich nicht anders als beim tatsächlich Schuldigen, dem die Tat nicht ordnungsgemäß nachgewiesen werden kann, etwa wenn ein Beweisverwertungsverbot besteht. Trotz der "an sich verdienten" und in diesem Sinne "gerechten" Strafe wäre diese in einem solchen Fall letztlich in hohem Maße ungerecht weil ihre gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
Richterrecht, das Gesetze ersetzt, ist – mag es auch noch so "gerecht" erscheinen – strikt untersagt. Nach den klaren Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG erstaunt es, mit welcher Unbekümmertheit der 5. Senat noch immer meint, mit dem Institut der gesetzesalternativen Wahlfeststellung arbeiten zu können. Schließlich ändert die alternative Begehung einer "ähnlichen" Straftat nichts daran, dass die Voraussetzungen von jeweils einem der beiden Strafgesetze nicht sicher erfüllt sind. Auch ein Strafgesetz, das die alternative Verurteilung vorsieht, gibt es nicht.
Schon wegen des Unterschieds im Schuldspruch als der Hauptrechtsfolge jeder Straftat kann z.B. der Diebstahlstatbestand in Fällen des nicht erwiesenen Diebstahls die Verurteilung wegen "Diebstahls oder Hehlerei" niemals tragen. Ebensowenig kann der Hehlereitatbestand bei nicht erwiesenen Hehlerei einen Schuldspruch wegen "Hehlerei oder Diebstahls" rechtfertigen. Für die Strafen der beiden unterschiedlichen Delikte gilt Entsprechendes – mögen diese bei oberflächlicher Betrachtung auch gleich aussehen. Ein Jahr Freiheitsstrafe "wegen Diebstahls" ist nicht identisch mit einem Jahr Freiheitsstrafe "wegen Hehlerei".
Zum Streit beim BGH um die Wahlfeststellung: . In: Legal Tribune Online, 08.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13118 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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