Rundumschlag des BGH in Sachen Urheberrecht: Er verhandelte am Donnerstag drei Fälle, die die Gerichte zum Teil schon seit einer halben Ewigkeit beschäftigen. Um welche Fragen es geht und was daran so brisant ist, erläutert Christian Rath.
Der Bundesgerichtshof (BGH) stand an diesem Donnerstag ganz im Zeichen des Urheberrechts. Hintereinander verhandelte der erste Zivilsenat drei wichtige Verfahren, bei denen er jeweils zuvor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Vorabentscheidung gebeten hatte.
Konkret ging es um drei Themen von grundsätzlicher Bedeutung:
- Dürfen Hiphop-Künstler Tonfetzen anderer Künstler ohne Erlaubnis sampeln und nutzen? (Kraftwerk versus Moses Pelham)
- Kann die Bundesregierung die Veröffentlichung staatlicher Berichte unter Berufung auf das Urheberrecht verhindern? (Afghanistan-Papiere)
- Können Medien fremde Texte auch dann veröffentlichen, wenn der Urheber diese (mit einer Distanzierung) bereits selbst veröffentlicht hat? (Fall Volker Beck)
Die drei Verfahren betrafen zwar jeweils das Urheberrecht, dort aber ganz unterschiedliche Rechtsfragen. Gemeinsam ist ihnen, dass der BGH die drei Fälle im Jahr 2017 binnen weniger Wochen dem EuGH vorgelegt hatte. Dort wurden die Vorlagen im Juli 2019 - ebenfalls alle an einem Tag - entschieden. Diese Bündelung behielt der erste Zivilsenat des BGH am Donnerstag bei, als er den ganzen Tag verhandelte. Die Urteile sollen allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt verkündet werden.
Sampling
Der Streit zwischen dem HipHop-Produzent Moses Pelham und den Elektro-Pionieren von Kraftwerk dauert schon rund 20 Jahre und beschäftigte den BGH jetzt bereits zum vierten Mal. Pelham hatte 1997 - ohne um Erlaubnis zu fragen - ein kurzes Sample aus dem Kraftwerk-Stück "Metall auf Metall" benutzt. Es war dann als durchlaufender Beat auf dem Stück "Nur mir" der Rapperin Sabrina Setlur zu hören.
Die beiden Kraftwerk-Gründer Ralf Hütter und Florian Schneider verklagten Pelham daraufhin - zeitweise mit Erfolg. Der BGH entschied 2012, das Leistungsschutzrecht der Musiker und Plattenfirmen gelte auch für "kleinste Tonfetzen". Diese dürften nur dann frei genutzt werden, wenn sie nicht "in gleichwertiger Weise" nachgespielt werden können. Bei dem Kraftwerk-Sample wäre das möglich gewesen.
Das Bundesverfassungsgericht entschied jedoch 2016, dass das BGH-Urteil die Kunstfreiheit von Moses Pelham verletzte. "Der Einsatz von Samples ist ein stilprägendes Element des HipHop", stellten die Verfassungsrichter damals fest. Der Zugriff auf das Originaldokument diene der "ästhetischen Reformulierung des kollektiven Gedächtnisses kultureller Gemeinschaften".
Das Karlsruher Sampling-Urteil hatte aber nur begrenzte Bedeutung. Denn seit 2002 ist das Urheberrecht EU-weit durch eine Richtlinie harmonisiert. Deshalb legte der BGH im Sommer 2017 den Sampling-Streit dem EuGH vor. Der wiederum entschied, dass schon keine Vervielfältigung vorliege, wenn das Sample in Ausübung der Kunstfreiheit so in ein neues Musikstück eingefügt wird, dass es nicht mehr wiederzuerkennen ist. Falls das Sample doch wiederzuerkennen ist, könnte es aber als Zitat erlaubt sein, so der EuGH.
Vor dem BGH ging es nun zunächst um die Frage, ob die gesampelte Rhythmussequenz im neuen Stück für einen durchschnittlichen Musikhörer wiedererkennbar ist. Kraftwerk-Anwalt Peter Wassermann stellte vor allem auf das 15 Sekunden lange Intro ab, bei dem das Sample sehr gut hörbar ist. Pelham-Anwalt Jochen Höger argumentierte mit Modifizierungen in Geschwindigkeit und Metrik. Nach Einsetzen von Gesang und Gitarre verblasse die Wirkung des Samples. Zwar hat das Oberlandesgericht Hamburg unter Berufung auf Sachverständige bereits einmal entschieden, dass das Sample erkennbar ist. Es ist aber noch offen, ob diese Feststellungen verwendbar sind, denn das Bundesverfassungsgericht hatte 2016 auch das OLG-Urteil aufgehoben.
Im Falle einer Wiedererkennbarkeit berief sich der Pelham-Anwalt Höger auf das Zitatrecht gem. § 51 UrhG. Gesang und Gitarre setzten sich mit der Rhythmus-Sequenz auseinander. Kraftwerk-Anwalt Wassermann vermisste aber im Setlur-Song jede inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Krafwerk-Rhythmus. "Dies wäre auch an den Haaren herbeigezogen", so Wassermann. Da Produzent Pelham ursprünglich bestritten habe, überhaupt einen Kraftwerk-Beat benutzt zu haben, könne er jetzt nicht behaupten, es sei ihm um eine Interaktion mit gerade diesem Rhythmus gegangen.
Der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Koch ließ durchblicken, dass nach seiner vorläufigen Einschätzung das Zitatrecht hier nicht als urheberrechtliche Schranke anwendbar ist. Es sei schon "fraglich", ob Hörer das Sample als ursprünglichen Bestandteil eines anderen Stücks wahrnehmen. Außerdem fehle eine Quellenangabe. Nur für die Zeit bis 2002 konnte sich Moses Pelham wohl auf das Recht zur freien Bearbeitung nach § 24 UrhG berufen. Koch betonte zwar, dass der Senat noch nicht vorberaten hat, die anderen Richter stellten allerdings (hier und auch bei den anderen beiden Verhandlungen) keine Fragen.
Afghanistan-Papiere
In den anderen beiden BGH-Verfahren ging es nicht um Musik, sondern um Medien-Veröffentlichungen. Im Konflikt mit dem Urheberrecht steht hier deshalb nicht die Kunstfreiheit, sondern die Pressefreiheit.
Der Funke-Mediengruppe wurden Afghanistan-Berichte der Bundesregierung für die Jahre 2005 bis 2012 zugespielt, die sie auf ihrem Webangebot veröffentlichte. Dagegen klagte die Bundesregierung in zwei Instanzen erfolgreich auf Unterlassung und berief sich dabei auf das Urheberrecht ihrer Mitarbeiter an den Berichten.
Auf Vorlage des BGH hatte der EuGH bezweifelt, ob die Berichte überhaupt urheberrechtlich geschützt sind, weil bei bloßen Sachinformationen eventuell kein schöpferisches Werk vorliegt. Eine Berichterstattung liege aber vor, weil die Regierungsberichte nicht völlig unkommentiert veröffentlicht wurden, so der EuGH. Im übrigen müssten im Rahmen der Schranken die Grundrechte gegeneinander abgewogen werden, wobei Presse- und Meinungsfreiheit im Konfliktfall Vorrang vor dem Urheberrecht hätten.
BGH-Richter Koch erklärte, dass der BGH die Frage des urheberrechtlichen Schutzes der Afghanistan-Papier offen lassen kann, wenn deren Veröffentlichung durch urheberrechtliche Schranken erlaubt wäre. In der BGH-Verhandlung ging es dann vor allem um § 50 UrhG, der die Veröffentlichung geschützter Werke im Zusammenhang mit der "Berichterstattung über Tagesereignisse" erlaubt.
Für Funke-Anwalt Thomas von Plehwe ist § 50 UrhG eindeutig erfüllt. "Die Presse versuchte hier aufzudecken, dass der Afghanistan-Krieg verniedlicht wird", so von Plehwe, "die Presse agiert hier als Wachhund der Öffentlichkeit." Dies müsse Vorrang haben vor dem Urheberrecht einzelner Mitarbeiter.
Für die Bundesregierung widersprach Anwalt Peter Baukelmann: "Es gehört zum Urheberrecht, dass ein Autor selbst entscheiden kann, ob er ein Werk veröffentlicht oder nicht". Die Preisgabe geschützter Informationen hätte das Leben von deutschen Soldaten gefährden können. Deshalb komme dem Urheberrecht hier größeres Gewicht zu.
Damit wird er beim BGH aber wohl nicht durchkommen. Der Vorsitzende Richter Koch gab zu Bedenken, dass der Zweck des Urheberrechts nicht der Schutz von Soldaten in Afghanistan ist. Das Urheberrecht schütze das Persönlichkeitsrecht des Autors und seine wirtschaftlichen Interessen an der Verwertung des Werks.
Der Fall hat große grundsätzliche Bedeutung. Denn die Regierung geht immer wieder gegen Medien vor, indem sie sich auf das Urheberrecht an staatlichen Berichten beruft, so etwa auch bei der Veröffentlichung von Gutachten über das Pestizid Glyphosat. Medienverbände sprachen bereits von einem "Zensurheberrecht". Nun liegt aber ein deutlicher Erfolg für die Pressefreiheit in der Luft.
Volker Beck
Völlig offen ist dagegen der Ausgang im dritten Fall. Hier geht es um einen Text, den der langjährige Grünen-Abgeordnete Volker Beck 1988 für den Sammelband "Der pädosexuelle Komplex" geschrieben hat. Darin hielt er die "Entkriminalisierung von Pädosexualität" (also von Sex mit Kindern) für "dringend erforderlich".
Beck hat sich längst von dem Text distanziert. Allerdings hatte er zu seiner Verteidigung auch behauptet, der Herausgeber des Sammelbandes habe den Text gegen seinen Willen nachträglich im Sinn verfälscht. Als 2013 das Originalmanuskript auftauchte, stellte Spiegel Online fest, dass Becks zentrale Aussage keineswegs verfälscht worden war. Als Beleg veröffentlichte das Medium sowohl das Original-Manuskript als auch die veröffentlichte Fassung von Becks Aufsatz.
Gegen diese Veröffentlichung wehrte sich Beck unter Verweis auf sein Urheberrecht. Er habe das Manuskript inzwischen auf seiner eigenen Homepage selbst veröffentlicht - allerdings auf jeder Seite mit der Anmerkung versehen: "ICH DISTANZIERE MICH VON DIESEM BEITRAG. VOLKER BECK". Einer anderen Art der Veröffentlichung stimme er nicht zu. In den unteren Instanzen hatte Beck mit dieser Argumentation Erfolg.
Auf Vorlage des BGH entschied der EuGH im vergangenen Sommer, dass ein fremdes Werk (hier Becks Manuskript) von Medien bei Zitaten oder zur Berichterstattung nur dann und soweit benutzt werden darf, wie dies "erforderlich" ist. Eine Einwilligung von Beck sei freilich nicht erforderlich, so der EuGH.
Guido Toussaint, der Anwalt von Volker Beck, hielt die Spiegel-Veröffentlichung der Originaldokumente nicht für erforderlich. "In den Dokumenten, die Volker Beck veröffentlicht hat, war alles nachzulesen", so Toussaint. Es hätte genügt, wenn der Spiegel die entsprechende Webseite Becks verlinkt hätte. Oder er hätte die Dokumente Becks (mit der Distanzierung) selbst veröffentlichen können.
Spiegel-Anwalt Thomas Winter warf Beck vor, dass er doch wieder eine Art Veto-Recht des Urhebers einführen wolle, indem er die Dokumente in einer ihm genehmen Form selbst veröffentlicht und deshalb eine Presseveröffentlichung für "nicht erforderlich" erklärt. "Es gehört aber zur Pressefreiheit, dass die Medien selbst entscheiden, was sie für erforderlich halten". Indem Beck darauf bestehe, dass seine Distanzierung auf jeder Seite der beiden Texte zu sehen ist, verlange er eine "Deutungshoheit", so Anwalt Winter, die ihm das Urheberrecht aber nicht einräume.
Zum Schluss der Verhandlung ergriff Volker Beck selbst das Wort und erläuterte, warum ihm seine Distanzierungsvermerke so wichtig sind. "Wenn der Spiegel die ursrprünglichen Dokumente veröffentlicht, kann sie jedermann verwenden." Er müsse dann nicht nur damit rechnen, dass zum Beispiel Rechtsradikale behaupten, das sei auch heute noch seine Position, sondern dass sich sogar Pädophilengruppen auf ihn berufen.
Anwalt Winter entgegnete, dass der Spiegel nichts dafür könne, wenn andere die veröffentlichten Dokumente missbrauchen. Dann müsse Beck eben gegen diejenigen vorgehen, die die Dokumente rechtswidrig verwenden, "das ist mühsam, aber der Rechtsstaat ist mühsam", so der Anwalt.
Der Ausgang des Verfahrens wird in Karlsruhe mit Spannung erwartet.
BGH verhandelt dreifach übers Urheberrecht: . In: Legal Tribune Online, 09.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39603 (abgerufen am: 03.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag