Das Bundeskartellamt will bei der Anhörung von Konkurrenten Geschäftsgeheimnisse von Google offenlegen. Dagegen wehrte sich der Konzern vor dem BGH – mit geringem Erfolg. Ein Prozessbericht über ein Verfahren, das für alle Neuland ist.
Auf der Seite von Google sitzen sechs Anwälte, die sich untereinander immer wieder leise abstimmen. Auch das Bundeskartellamt ist mit vier Juristen angereist, denen eine gewisse Anspannung anzumerken ist. Wieso die Parteien dieser Verhandlung (BGH, KVB 69/23) vor dem Kartellsenat so große Bedeutung zumessen, erklärt der Vorsitzende Richter Prof. Dr. Kirchhoff gleich zu Beginn: "Solche Verfahren sind für uns Neuland". Denn der Bundesgerichtshof (BGH) ist ausnahmsweise erste und letzte Instanz. Außerdem geht es um die wichtige Frage, wie die Kartellbehörden mit Geschäftsgeheimnissen umgehen müssen.
Googles Mutterkonzern Alphabet und die deutsche Google-Tochtergesellschaft als Beschwerdeführerinnen wollen die Offenlegung von Informationen durch das Bundeskartellamt verhindern. Hintergrund ist, dass die deutschen Wettbewerbshüter aktuell gegen Google ermitteln. In diesem Ermittlungsverfahren sollen auch Wettbewerber wie der Navigationssysteme-Hersteller TomTom angehört werden, um den Markt besser zu verstehen.
Um von den befragten Unternehmen sinnvolle Antworten zu bekommen, muss aber der Sachverhalt geschildert werden, der in vielen Fällen Geschäftsgeheimnisse enthält. Das ist – stark vereinfacht – mit einer strafrechtlichen Zeugenbefragung vergleichbar: Die Polizei muss dem Befragten schildern, worum es überhaupt geht. Wie viele interne Informationen von Google den Konkurrenzunternehmen aber im Zuge der Anhörung mitgeteilt werden dürfen, darüber streiten nun die Parteien. Es geht um mehr als 10 Textausschnitte, manche länger, andere nur einzelne Wörter, die aus Sicht von Google geschwärzt werden müssen.
Wieso ermittelt das Bundeskartellamt gegen Google?
Die aktuelle Verhandlung vor dem BGH beschäftigt sich also mit einer vorbereitenden Handlung im Rahmen eines größeren Verfahrens. Die Ermittlungen beziehen sich inhaltlich auf Praktiken von Google bei der Lizenzierung von Infotainmentsystemen in Autos. Denn der Konzern bietet Fahrzeugherstellern die Dienste Google Maps, Google Play und Google Assistant (bezeichnet als "Google Automotive Services") nur als Bündel gemeinsam an. Außerdem fordert Google von Lizenznehmern, dass diese Dienste dem Benutzer bevorzugt präsentiert werden.
Dieses Marktverhalten ist aus Sicht des Bundeskartellamts im Hinblick auf § 19a Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) kartellrechtlich bedenklich. Die Norm ist eine Art Sonderkartellrecht für digitale Plattformunternehmen. Nachdem die Wettbewerbsbehörde inzwischen rechtskräftig festgestellt hat, dass es sich bei Google um ein Unternehmen mit "überragender marktübergreifender Bedeutung" nach § 19a Abs. 1 GWB handelt, ist nun der Weg frei für Schritt zwei, nämlich Untersagungsverfügungen gemäß §19a Abs. 2 GWB. Nach der Vorschrift könnte Google zum Beispiel verboten werden, Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer ausschließlichen Vorinstallation oder Integration von Angeboten des Unternehmens führen.
Der Kartellrechtsexperte Dr. Christian Aufdermauer, Partner bei Haver & Mailänder Rechtsanwälte, teilt die Auffassung des Bundeskartellamts. Auf Anfrage von LTO meint er: "Es ist richtig, dass das Bundeskartellamt das Instrument des §19a GWB nutzt, um für angemessene Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Google ist mit seiner Bedeutung einer der geborenen Adressaten für die Anwendung."
Der Präsident des Bundeskartellamts erklärte dazu in einer Pressemitteilung: "Besondere Sorgen bereitet uns die Zwangsbündelung reichweiten- und marktstarker Dienste mit weniger starken Diensten. Gerade dieses Verhalten kann zur Ausweitung von Marktmacht und der Stärkung von Ökosystemen führen und ist als Mittel des schnellen Aufrollens von Märkten besonders kritisch."
Google: Artikel 12 GG bei Offenbarung der Dokumente verletzt
Um zu ermitteln, ob dieser Vorwurf für eine Untersagungsverfügung ausreicht, will die Bonner Behörde nun Konkurrenzunternehmen anhören. Das Problem aus Sicht von Google ist aber, dass in dem Anhörungsschreiben Informationen über Google stehen, mit deren Hilfe die wirtschaftlichen Verhältnisse des Konzerns bestimmt werden können. In ihrem Eröffnungsstatement für Google betonte deshalb Rechtsanwältin Dr. Milde, dass Konkurrent TomTom marktbeherrschend sei und die Informationen für den Hauptwettbewerber von Google einen ungerechten Vorteil darstellen würden. Sie ist der Auffassung, dass im Hinblick auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz (GG) Geschäftsgeheimnisse immer vorrangig zu schützen seien.
Der von Google erhobenen Zuständigkeitsrüge folgte das Gericht schon einmal nicht: Zuständig sei der BGH aufgrund einer neuen Sonderregelung für Verfahren gegen digitale Plattformen. § 73 Abs. 5 GWB sieht vor, dass bei § 19a GWB-Verfahren der BGH die erste und letzte Instanz gegen Verfügungen des Bundeskartellamts ist. Die Vorschrift erfasst nach dem Wortlaut auch im Zusammenhang stehende Verfahrenshandlungen wie das hier streitige Anhörungsschreiben. Diese Rechtswegkonzentration soll dazu führen, dass streitige Fragen schnell geklärt werden. Das scheint aufzugehen: Das umstrittene Anhörungsschreiben stammt aus dem Juni 2023.
BKartA: "Der Verstoß ist kein Geheimnis"
Der Prozessvertreter des Bundeskartellamts, Herr Nothdurft, appellierte an den Senat: Der Behörde dürften nicht zu viele Steine in den Rucksack gepackt werden. Die Sachentscheidungen seien bereits so komplex, da dürfe nicht schon das Ermittlungsverfahren mit komplexen Regeln zur Offenlegung verkompliziert werden. "Geschäftsgeheimnisse sind unser Treibstoff", erklärte er. Man benötige auch die subjektiven Einschätzungen von Wettbewerbern, um Märkte zu verstehen.
Deshalb wünsche er sich, dass der Kartellsenat die Waage nicht zu fein kalibriere, so Nothdurft. Das Amt habe schließlich auch ein gewisses Ermittlungsermessen und dem Grundrechtsschutz sei schon durch das transparente Verfahren Genüge getan. Die betroffenen Unternehmen könnten nämlich Schwärzungswünsche begründen und im Fall einer Ablehnung begründe das Amt diese auch, so der Direktor. Im Ergebnis schlug der Prozessvertreter deshalb die Faustformel: "Der Verstoß ist kein Geheimnis" vor. Er argumentierte: Je näher eine Information am Kern des möglichen Verstoßes gegen Wettbewerbsregeln ist, desto eher ist die Information offenlegungsfähig.
Dass es sich vorliegend um Geschäftsgeheimnisse handelt, darüber waren sich die Parteien einig. Um welche Art von Informationen es geht, wurde in der öffentlichen Verhandlung nicht bekannt gegeben. Klar ist aber: Das Geheimnisschutzgesetz ist in dem vorliegenden Fall nicht anwendbar, denn es gilt nicht für Behörden.
Abwägung von Sachaufklärungsinteresse und Geheimnisschutz
Welchen Entscheidungsmaßstab der Kartellsenat anwenden wird, machte der Vorsitzende Prof. Kirchhof gleich zu Beginn klar: Grundsätzlich sei das Amt in der Wahl seiner Ermittlungsinstrumente frei. Wenn die Behörde Konkurrenten beilade und zu einem Verfahren anhöre, dann müsse sie den Beigeladenen auch den Verfahrensgegenstand erklären dürfen, auch wenn das Geschäftsgeheimnisse beinhalte, so der Vorsitzende. Die Frage sei jedoch immer, ob das Sachaufklärungsinteresse das Geheimhaltungsinteresse überwiege. Bei der Abwägung sei das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Die Offenlegung der Geheiminformation müsse also ex ante zur Sachaufklärung erforderlich, geboten und angemessen sein, so Kirchhoff. Der Geheimnisträger, hier also Google, müsse dann substantiiert darlegen, welche Nachteile er durch die Weitergabe der Information befürchte.
Nach zwei Stunden beschließt der Senat, die Öffentlichkeit und Presse auszuschließen. Hinter verschlossenen Türen wird dann über alles Konkrete verhandelt. Die Geschäftsgeheimnisse sollen nicht nur gegenüber den Wettbewerbern geheim bleiben.
Beschwerde überwiegend zurückgewiesen
Am späten Abend fassten die Richter dann ihren Beschluss. Sie gaben der Beschwerde hinsichtlich eines einzelnen aus internen Unterlagen Googles stammenden wörtlichen Zitats statt und wiesen sie im Übrigen zurück. Das BKartA darf damit Interna an Google-Konkurrenten weitergeben, um wettberwerbliche Bedenken zu klären (Beschl. v. 20.02.2024, Az. KVB 69/23).
Die Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gegenüber Wettbewerbern müsse zur Sachaufklärung geeignet, erforderlich und angemessen sein. "Angemessen ist sie, wenn bei der vorzunehmenden Interessenabwägung das Sachaufklärungsinteresse des Bundeskartellamts das Interesse an der Wahrung der grundrechtlich geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse überwiegt." Dabei müsse unter anderem geprüft werden, welche Nachteile durch die Offenlegung drohen. Zu berücksichtigen sei ferner das Interesse des BKartA und der am Verfahren beteiligten Wettbewerber an der Wahrung des rechtlichen Gehörs.
Im konkreten Fall teilte der Senat zum einen nicht bei allen in Streit stehenden Textpassagen die Argumentation des Konzerns, dass es sich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handle. In anderen Fällen wiege das Sachaufklärungsinteresse des BKartA schwerer als das Geheimhaltungsinteresse Googles, so der BGH. Das BKartA dürfe Bewertungen der Strategie Googles sowie die wörtliche Wiedergabe einzelner Klauseln aus Verträgen Googles mit Fahrzeugherstellern an TomTom und Cerence weitergegeben
* Redaktionell überarbeitet am 1.3.24 17:40 Uhr
mit Materialen von dpa
Google und das Bundeskartellamt vor dem BGH: . In: Legal Tribune Online, 01.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54014 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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