Der Birkenstock war die erste Gesundheitslatsche ihrer Art. Heute zieht Barbie statt Highheels lieber Sandalen an. Kunst im Sinne des Urheberrechts wollte der BGH nicht erkennen. Annika Jacobsen überzeugt die Begründung nicht.
Nachdem sie lange ein eher trübes Dasein in Arztpraxen, Kindergärten oder als Hausschuh fristete, scheint der Siegeszug der Birkenstock-Sandale seit Jahren unaufhaltsam zu sein. Längst vom ehemals belächelten Gesundheitsschuh zum Kultobjekt aufgestiegen, erreichte sie ihren bisherigen Höhepunkt wohl im Jahr 2023, als Barbie im gleichnamigen Kinofilm die alles entscheidende Frage – Birkenstock oder Highheels? – zugunsten der Korksandale beantwortete. Als wäre das alles nicht genug, bietet diese nun auch noch Bundesrichtern und (anderen) Rechtsexperten Gelegenheit zu Diskussionen. Es geht um den urheberrechtlichen Kunstbegriff.
Hintergrund ist ein Klageverfahren, das Birkenstock bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) brachte, wo das Unternehmen nun aber im Februar 2025 schließlich verlor; LTO berichtete. Der Hersteller der Kultsandalen aus dem rheinlandpfälzischen Linz am Rhein hatte drei Konkurrenten, die sehr ähnliche Modelle vertreiben, unter anderem auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen. Nach Auffassung von Birkenstock handelt es sich bei seinen Sandalen um urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst. Das Bingener Unternehmen machte Ansprüche aus § 97 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) i.V.m. §§ 2, 15, 17 UrhG geltend.
Da Karl Birkenstock – der "Schöpfer" der unter anderem in Rede stehenden Modelle "Madrid" (1963) und "Arizona" (1973) sowie der seit dem Jahr 1981 verwendeten charakteristischen Knochenmustersohle – noch lebt, hätte die urheberrechtliche Schutzdauer, die auch nach dem Tod des Urhebers noch 70 Jahre besteht, dies grundsätzlich ermöglicht. Doch die Richter des I. Zivilsenats sahen es anders. Sie erkannten die Sandalen nicht als künstlerische Leistung i.S.d. Urheberrechts an – ein Fehler? Vieles spricht dafür. Die Begründung des BGH jedenfalls überzeugt nicht. Sein Kunstbegriff ist zu eng.
Urheberrechtsschutz weitreichender als Designschutz
Das Urheberrecht verleiht dem Schöpfer des Werkes die ausschließlichen Nutzungsrechte an seinem Werk und ist aufgrund der langen Schutzdauer ein besonders weitreichendes Schutzrecht. Solange es besteht, schützt es den Urheber z.B. vor einer unberechtigten Veröffentlichung und Verwertung seines Werkes.
Da es in Deutschland im Urheberrecht, anders als etwa im Designrecht, keines formalen Eintrags in ein Register bedarf, kann es für Hersteller von Mode oder sonstigen Gebrauchsgegenständen von Interesse sein, ihre Schöpfungen – ggf. zusätzlich zum Designschutz oder auch als Ersatz bei versäumter Eintragung – über das Urheberrecht abzusichern. Gleichzeitig bleibt der Bestand des Rechts damit allerdings, für Hersteller wie Konkurrenten, mit einer Unsicherheit behaftet. Ob die Anforderungen des Kunstbegriffs erfüllt sind, ist selbst für Juristen gar keine so leicht zu beantwortende Frage. Im Zweifel müssen dann Gerichte entscheiden.
Zudem sind die Anforderungen, die das Urheberrechtsgesetz mit dem Kunstbegriff an eine Unterschutzstellung stellt, höher als diejenigen anderer Immaterialgüterrechte, etwa des Designgesetzes (DesignG). Das Urheberrecht schützt nur freie, kreative Leistungen, nicht jedoch ausschließlich zweckgerichtete oder technische, mögen diese auch einfalls- und ideenreich sein. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst, einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke, nur dann zu den urheberrechtlich geschützten Werken, wenn sie "persönliche geistige Schöpfungen" i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG sind. Ob dies auf die Birkenstocksandalen zutrifft, war die Frage, über die sich die Instanzgerichte uneins waren und die der I. BGH-Zivilsenat zur Freude der konkurrierenden Sandalenhersteller schließlich verneinte.
Wann Gebrauchsgegenstände Kunst sind
Eine "persönliche geistige Schöpfung" setzt nach der Rechtsprechung des BGH "eine Schöpfung individueller Prägung" voraus, "deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer 'künstlerischen' Leistung gesprochen werden kann". Dabei könne nur ein Ausdruck "künstlerischer Leistung" Urheberschutz begründen. Was das heißt, wird in der Praxis selten mit Leben gefüllt.
Entscheidend ist vorliegend, dass eine persönliche geistige Schöpfung dort ausgeschlossen ist, wo für eine künstlerische Gestaltung kein Raum besteht, weil die Form durch technische Erfordernisse zwingend vorgegeben ist. Ebenso genießt ein Gegenstand dann keinen Urheberrechtsschutz, wenn dessen Merkmale zwar nicht technisch zwingend, aber doch technisch bedingt sind und keine weitere künstlerische Leistung erkennen lassen, die Form also lediglich der Funktion folgt.
Das prüft der BGH in zwei Schritten: Zunächst ist festzustellen, ob die Zweckgebundenheit einer künstlerischen Gestaltung überhaupt einen Spielraum lässt. Falls ja, ist im zweiten Schritt darzulegen, dass dieser auch in freier, kreativer Weise – eben "schöpferisch" – ausgenutzt wurde.
Ist streitig, ob ein Gebrauchsgegenstand als angewandte Kunst anzusehen ist, ist diese zweite Frage regelmäßig – so auch im Fall Birkenstock – Dreh- und Angelpunkt. Der Spielraum für eine künstlerische Gestaltung ist bedingt durch den Gebrauchszweck, nicht selten erheblich, eingeschränkt. Hier stellt sich also in besonderem Maße die Frage, ob sie über ihre funktionsbedingt vorgegebene Form hinaus in einer Weise künstlerisch gestaltet sind, also ob zum funktionalen Element im Gesamtdesign ein ästhetisch-künstlerisches hinzukommt.
Zwischen Kunst und Kommerz
Im Fall von Birkenstock hat der BGH dies in seinem Urteil vom 20. Februar verneint und deshalb entschieden, dass es sich bei den Sandalen nicht um Werke der angewandten Kunst handele. Nachdem das Landgericht Köln dies in erster Instanz noch anders sah und zugunsten von Birkenstock entschied, schloss sich der BGH damit dem Oberlandesgericht (OLG) Köln an, das die Klagen abgewiesen hatte. Die mittlerweile ebenso bekannten wie beliebten Sandalen würden damit zwar Kultstatus, aber keinen Urheberrechtsschutz genießen.
Birkenstock hatte vor dem BGH die Auffassung vertreten, das OLG Köln sei von einem zu engen Kunstbegriff ausgegangen. Dieser laufe darauf hinaus, dass Kunst weder Zwecke noch wirtschaftliche Ziele verfolgen dürfe. Der BGH bestätigte zwar, dass ein solches Verständnis des Kunstbegriffs unzulässig wäre. Anders, als Birkenstock meine, sei das OLG Köln davon jedoch nicht ausgegangen.
Auch im Übrigen blieb der BGH seiner bisherigen Rechtsprechung treu: Insbesondere im Falle von Gebrauchsgegenständen ist ein urheberrechtlicher Schutz damit davon abhängig, ob es dem Anspruchsteller gelingt, detailliert darzulegen, dass die vorhandenen gestalterischen Freiräume künstlerisch ausgenutzt wurden. Das OLG habe die für den Urheberrechtsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG erforderliche Gestaltungshöhe danach zu Recht verneint. Die Gestaltung der Birkenstock-Sandale sei weitgehend durch technische Erfordernisse und funktionale Aspekte bestimmt. Dass verbleibende Spielräume in einem Maße im erforderlichen Maß künstlerisch ausgeschöpft worden sein, habe Birkenstock nicht dargelegt.
Der Brutalist
Wie aus den Urteilsgründen hervorgeht, hatte Birkenstock vor dem BGH hierzu vorgetragen, Karl Birkenstock, gewissermaßen der Vater der Gesundheitssandale, habe die bestehenden Gestaltungsspielräume insbesondere bei Sohlenform, nicht verblendetem Sohlenschnitt und Materialwahl ausgefüllt, "so dass daraus ein ikonisches, brutalistisches, typisches Design entstanden sei". Dabei, argumentierte das Unternehmen, spielten sowohl die einzelnen Elemente wie die Schnallen, das Material oder die Riemenführung als auch deren Kombination eine Rolle. Ein bereits in der Vorinstanz eingebrachtes Privatgutachten hatte der Sandale ebenfalls attestiert, "durch ihre Einfachheit eine moderne und ehrliche Ästhetik" auszustrahlen, ein "brutalistisches Schuhwerk" darzustellen und "eine skulpturale Design-Handschrift" zu tragen, die "insbesondere auf funktionslose Ornamentik verzichte".
Birkenstock sah sich insofern in der Tradition von (anderen) Designklassikern aus dem Gebrauchsbereich wie verschiedenen Lampen und dem "Freischwinger" aus der Bauhaus-Schule, den Möbeln von Le Corbusier und Mies van der Rohe, dem "Tripp Trapp"-Stuhl oder den Porsche-Modellen 356 und 911, denen Gerichte urheberrechtlichen Schutz zuerkannt hatten.
Dem BGH reichte dies nicht, denn – das zeigt der Fall anschaulich – er geht bislang von einem zu engen Kunstbegriff aus. Ein weiteres Verständnis ist erforderlich.
Form durch Funktion!
Es knirscht spätestens dann gewaltig, wenn das Wesen der konkret in Anspruch genommenen Kunstform – wie im Falle von Bauhaus, Brutalismus und Co. – gerade in einer Reduktion der gestalterischen Elemente und einer Unterordnung der Form unter die Funktion besteht. Für den Brutalismus ist dies im Film "Der Brutalist" aktuell in den Kinos zu bewundern, so gesehen hat es die Birkenstock-Sandale erneut auf die Leinwand geschafft.
Zwar scheint der BGH durchaus ein Störgefühl zu haben, wenn er nicht müde wird, zu betonen, die Zweckgebundenheit schließe eine künstlerische Leistung nicht aus. Dass gerade in einer – vermeintlichen – Unterordnung der Form unter die Funktion die Einzigartigkeit und erforderliche "Gestaltungshöhe" bestehen kann, erkennt der I. Senat jedoch nicht. Das lässt sich mit dem engen Begriff – abgesehen von den wenigen stilprägenden "Designklassikern" wie dem "Tripp Trapp" oder dem "Freischwinger" – auch nicht fassen.
Ein Urheberrecht ist danach umso eher durchsetzbar, je auffälliger sich eine Gestaltung in den Vordergrund drängt. Warum aber etwa ein Abendkleid aus ungewöhnlichem Gobelin-Stoff und mit ungewöhnlichem Motiv eines röhrenden Hirschs (so vom LG Leipzig 2001 entschieden, Az. 5 O 5288/01) eine "geistige Schöpfung" sein soll, eine "brutalistisch" reduzierte Sandale aus Kork hingegen nicht, erschließt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres. Wie demjenigen, der ein Urheberrecht geltend macht und der insoweit die Darlegungslast trägt, in Fällen wie dem von Birkenstock der Nachweis eines Ausnutzens der gestalterischen Spielräume gelingen soll, bleibt offen. Auch der in Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich gewährleisteten Kunstfreiheit wird das nicht gerecht.
Mal umgekehrt: Warum sollte es keine Kunst sein?
Was also ist nach dem "so nicht" nun vom BGH zu fordern? Wie kann ein entsprechender Kunstbegriff aussehen? Keine leicht zu beantwortende Frage – weshalb sich der BGH wohl so schwer mit ihr tut.
Sollte eine Regel "im Zweifel für den Urheberschutz" gelten? Ganz so weit muss man vielleicht gar nicht gehen. Denkbar ist es, die Frage – schon Form oder noch Funktion? – in Zweifelsfällen als (urheberrechtsspezifische) Form der Mehrdeutigkeit zu verstehen und an die Ablehnung einer künstlerischen Leistung höhere Begründungsanforderungen zu stellen als – wie bisher – umgekehrt.
Die Begründungslast derart zu verschieben, würde die Gerichte zu einer intensiveren Beschäftigung mit den Eigenarten von Kunstrichtungen wie Bauhaus, Brutalismus u.a. zwingen. Im Fall von Birkenstock etwa hätte der BGH dann begründen müssen, warum die – vermeintlich – rein funktionale Gestaltung der Sandale diese nicht gerade zu einem "brutalistischen" Werk und ihren Designer zum Schöpfer macht.
Für die Birkenstock-Sandale spricht deshalb vieles dafür, dass die Voraussetzungen einer Anerkennung als urheberrechtlich geschütztes Werk vorliegen. Barbie hat das erkannt.
Annika Jacobsen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich des öffentlichen Rechts mit Schwerpunkten im Verfassungs- und Äußerungsrecht in der Kanzlei Brock Müller Ziegenbein in Kiel.
Hinweis: aktualisierte Fassung vom 18.03.2025, 20:45 Uhr (mk).
Birkenstock-Urteil des BGH: . In: Legal Tribune Online, 17.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56794 (abgerufen am: 19.04.2025 )
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