Billigflieger im Konflikt mit dem Beihilferecht: BGH wider­spricht EuGH… aber nur ein bis­schen

von Dr. Ulrich Soltész

09.02.2017

2/2: BGH folgt dem EuGH

Der BGH geht in seinem heutigen Urteil allerdings noch einen Schritt weiter (Urt. v. 09.02.2017, Az. I ZR 91/15). Im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH stellt er fest, dass das nationale Gericht bereits dann vom Vorliegen einer rechtswidrigen Beihilfe ausgehen muss, wenn die Europäische Kommission ein sog. förmliches beihilferechtliches Prüfverfahren eröffnet hat. Eine solche Bindungswirkung für die nationalen Gerichte ist nach Auffassung zahlreicher Kritiker systemwidrig. Denn mit der Eröffnung eines Prüfverfahrens äußert die Kommission eigentlich nur einen "Verdacht auf Beihilfe". Es handelt sich hierbei der Natur der Sache nach nur um eine vorläufige Einschätzung. In der Praxis kommt es auch recht häufig vor, dass die Kommission am Ende eines Prüfverfahrens zu dem Schluss gelangt, dass gar keine Beihilfe vorliegt.

Dennoch geht der BGH in seinem Urteil davon aus, dass der nationale Richter diese (vorläufige) Einstufung als Beihilfe grundsätzlich zugrunde legen muss. Für den klagenden Wettbewerber ist dies natürlich eine Verbesserung seiner Position.

Ausnahmen müssen möglich bleiben

Gleichzeitig hat der BGH aber die Bindungswirkung an die Eröffnung des Prüfverfahrens allerdings etwas relativiert. Dies ist die eigentliche Überraschung des Urteils, das sich insoweit in Widerspruch zur EuGH-Rechtsprechung setzt – zumindest ein bisschen.

Eine "absolute und unbedingte Verpflichtung des nationalen Gerichts", der vorläufigen Einschätzung der Kommission zu folgen, soll nämlich nicht bestehen. So kann der nationale Richter - und dies ist eigentlich nichts Neues - eine Anfrage an die Kommission richten oder den EuGH um eine Vorabentscheidung ersuchen. Insbesondere könnten neue Umstände, die nicht erkennbar im Eröffnungsbeschluss berücksichtigt wurden, Anlass für eine solche Rückfrage geben. Zudem könne das Gericht unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von einer Rückforderung absehen, wenn die Beihilfe mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Kommission genehmigt wird und die Rückforderung die Existenz des davon betroffenen Unternehmens ernsthaft bedrohen würde.

Im entschiedenen Fall sei zudem fraglich, ob die Beihilfe noch wettbewerbsverzerrende Wirkung habe. Hiermit lässt der BGH also eine Hintertür für den nationalen Richter auf, wenn er in besonders gelagerten Fällen von der Auffassung der Kommission abweichen will. 

Praktische Bedeutung sollte nicht überschätzt werden

Die Rechtsprechung des EuGH, die im Urteil des BGH (wenn auch mit geringfügigen Einschränkungen) übernommen wurde, ist sicherlich ein scharfes Schwert. Man sollte die praktische Bedeutung aber nicht überzeichnen. Denn letztlich hilft die Bindungswirkung vor allem dann, wenn die Kommission eine förmliche Untersuchung eingeleitet hat. Diese Fälle sind selten, und es dürfte in solchen Konstellationen auch regelmäßig keinen Grund für die Erhebung einer (zusätzlichen) Klage vor den nationalen Gerichten geben, da die Kommission meist sowieso zurückfordern wird.

Hat die Kommission hingegen, wie in der Mehrzahl der Fälle, kein Prüfverfahren eingeleitet, ist die Erhebung einer Wettbewerberklage alles andere als ein Selbstläufer. Dies liegt an den hohen Beweisanforderungen zur Darlegung einer Beihilfe, an dem Informationsrückstand des Wettbewerbers (der oft keine Information über die Beihilfegewährung hat), und an den erheblichen Prozesskostenrisiken. Daher haben solche Klagen in der deutschen forensischen Praxis bisher noch keine entscheidende Rolle gespielt. Es bleibt abzuwarten, ob sich dies ändert.

Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit über 20 Jahren im EU-Recht, insbesondere im Europäischen Kartell- und Beihilferecht.

Zitiervorschlag

Dr. Ulrich Soltész, Billigflieger im Konflikt mit dem Beihilferecht: BGH widerspricht EuGH… aber nur ein bisschen . In: Legal Tribune Online, 09.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22050/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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