Lebensversicherer dürfen ausscheidenden Kunden weniger Geld aus sogenannten Bewertungsreserven auszahlen. Eine entsprechende Regelung, die der Gesetzgeber 2014 beschlossen hatte, wertete der BGH als verfassungskonform.
Lebensversicherer beteiligen ausscheidende Kunden in der historischen Niedrigzinsphase zu Recht in geringerem Umfang an ihren Kursgewinnen aus festverzinslichen Wertpapieranlagen. Eine entsprechende Neuregelung aus dem Jahr 2014, auf der die Kürzungen beruhen, ist verfassungsgemäß. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch (Urt. v. 27.06.2018, Az. IV ZR 201/17).
Die unterlegene Verbraucherorganisation, der Bund der Versicherten (BdV), verbuchte das Urteil dennoch als "Teilerfolg". Denn das BGH verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück. Dem Landgericht Düsseldorf wurde aufgegeben zu prüfen, ob die Kürzungen durch die wirtschaftliche Situation des Versicherers überhaupt gerechtfertigt waren. Der Versicherer muss nun seine Berechnungen offenlegen.
Das sogenannte Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) erlaubt seit 2014 den Assekuranzen, Kursgewinne aus festverzinslichen Wertpapieren nur noch in dem Maße ausschütten, wie Garantiezusagen für die restlichen Versicherten sicher sind. Den größten Teil der Kundengelder legen Versicherer in festverzinslichen Papieren an. Für Aktien und Immobilien gilt diese gesetzlich verordnete Kappung nicht.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken
In dem konkreten Verfahren ging um den Vertrag eines Versicherungskunden, dem im Sommer 2014 von der Victoria Lebensversicherung, die heute zur Ergo gehört, innerhalb weniger Wochen die Beteiligung an den Bewertungsreserven von 2.821 Euro auf 149 Euro gekürzt worden waren. Bei derartigen Bewertungsreserven handelt es sich - vereinfacht gesagt - um Gewinne, die Versicherer erwirtschaften, indem sie Kundengelder am Kapitalmarkt anlegen. Die Versicherten sind daran am Laufzeit-Ende zu beteiligen.
Das Niedrigzinsumfeld hatte die Bewertungsreserven auf festverzinsliche Papiere, wie Bundesanleihen, allerdings in die Höhe schnellen lassen. Hält der Anleger solche Papiere bis zur Fälligkeit, bekommt er bis dahin gleichbleibende Zinszahlungen. Der Wertzuwachs besteht dann allerdings nur auf dem Papier. Um die unter der Zinsflaute leidende Branche zu stabilisieren, darf die Summe, die seit 2014 an die Kunden ausgeschüttet werden darf, nur noch so hoch sein, dass die Garantiezusagen für alle anderen Versicherten auf lange Sicht nicht gefährdet sind.
Der BGH sah diese Praxis nunmehr als verfassungskonform an, die maßgebliche Neuregelung begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, teilte das Gericht mit. So enthalte die neue Vorschrift aus dem LVRG eine unter dem Gesichtspunkt der Normenbestimmtheit und -klarheit präzisere Regelung als die Vorgängervorschrift. Außerdem stelle sie keine unzulässige Rückwirkung auf bereits abgeschlossene Lebenssachverhalte dar. Inhaltlich habe der Gesetzgeber zudem verschiedene Maßnahmen getroffen, die sowohl die Interessen der ausscheidenden Versicherungsnehmer als auch derjenigen, die ihre Verträge noch in der Zukunft fortführen, sowie diejenigen der Anteilseigner an dem Versicherungskonzern selbst berücksichtigen. Unter anderem habe er Änderungen vorgenommen, die zu einer höheren Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Risikoüberschüssen führen.
Verbraucherorganisation will BVerfG anrufen
Die Interessen der Versicherungskunden habe der Gesetzgeber laut BGH weiterhin dadurch Rechnung getragen, indem er den Höchstsatz für die bilanzielle Anrechnung von Abschlusskosten herabgesetzt, um Vertriebskosten zu senken. Schließlich dürfe ein Bilanzgewinn an Anteileigner nur ausgeschüttet werden, wenn er einen etwaigen Sicherungsbedarf übersteigt. Verfassungsrechtliche Bedenken an der Wirksamkeit der gesetzlichen Neuregelung bestünden auch nicht unter Berücksichtigung des Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Im Einzelfall auftretende Härten führten nicht zur Verfassungswidrigkeit der Regelung insgesamt.
Dagegen hält der BdV das LVRG auch nach dem Urteil des BGH unverändert für verfassungswidrig. In einer Reaktion auf die Entscheidung zeigte sich die Verbraucherorganisation kämpferisch und ist bestrebt, nun das Bundesverfassungsgericht anzurufen: "Wir haben einen langen Atem und werden daher bis zur letzten Instanz gegen das Pfuschgesetz kämpfen", erklärte BdV-Sprecher Axel Kleinlein. Der frühere Versicherungs-Mathematiker kündigte eine Prüfung an, "ob uns dieses BGH-Urteil schon jetzt einen direkten Weg zum höchsten Gericht ermöglicht".
Anders als die Verbraucherorganisation gab sich das beklagte Versicherungsunternehmen Ergo trotz des eher erfolgreichen Abschneidens vor dem BGH schmallippig: "Wir warten nun zunächst die vollständige schriftliche Entscheidung inklusive der Begründung des BGH ab. Erst dann können wir diese abschließend bewerten", erklärte Ergo-Sprecherin Tina Kunerth gegenüber LTO.
Mit Material von dpa
Hasso Suliak, BGH zu Lebensversicherungen: . In: Legal Tribune Online, 27.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29421 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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