BGH zu Facebook-Sanktionen: Erst anhören, dann sperren

von Dr. Christian Rath

29.07.2021

Der Bundesgerichtshof erlaubt sozialen Netzwerken wie Facebook, dass sie strenger sind als der Gesetzgeber. Allerdings müssen die Nutzer:innen bei Sanktionen prozedural besser geschützt werden. Aus Karlsruhe berichtet Christian Rath.

Auch wenn der Einfluss von Facebook zurückgeht, viele halten das soziale Netzwerk immer noch für eine Art Monopolist. Umso größer ist das Unbehagen, dass ein privates Unternehmen bestimmt, wo in diesem wichtigen gesellschaftlichen Forum die Meinungsfreiheit endet.

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH) hat in dieser jahrelangen Diskussion nun wichtige Pflöcke eingeschlagen, aber auch manches noch offen gelassen (Urt. v. 29.09.2021, Az. III ZR 179/20 und III ZR 192/20). Es handelt sich also um das erste, aber sicher nicht das letzte BGH-Grundsatzurteil zu Facebook-Sanktionen.

An diesem Donnerstag hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Nutzungsbedingungen von Facebook für "unwirksam" erklärt, weil sie den Betroffenen keine Möglichkeit zum Widerspruch einräumen. Facebook kann daher bis auf weiteres keine Hass-Postings mehr löschen, die nur gegen die "Gemeinschaftstandards" von Facebook verstoßen. Wenn Facebook bald wieder nicht-strafbare Hasspostings löschen will, muss es schnell seine Nutzungsbedingungen an die BGH-Vorgaben anpassen.

Zwei Fälle vom OLG Nürnberg

Konkret ging es beim BGH um zwei Fälle, bei denen das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg ausdrücklich die Revision zugelassen hatte. In einem Fall aus Fürth hatte Facebook eine Sperre von drei Tagen gegen eine Nutzerin verhängt, in einem Fall aus Regensburg betrug die Sperre sogar dreißig Tage. Während der Sperre des Nutzerkontos konnten die Betroffenen nichts posten, nichts kommentieren und auch den Messenger nicht nutzen. Und natürlich wurden die beiden Posts, die Anlass für die Sanktionen boten, von Facebook gelöscht.

Im Fürther Fall (III ZR 179/20) hatte eine Frau gepostet: "Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog. Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen."

Im zweiten Fall (III ZR 192/20) hatte ein Regensburger im August 2018 ein Video kommentiert, das einen Mann (mit Migrationshintergrund) zeigte, der die Kontrolle durch eine Polizistin verweigerte, weil sie eine Frau ist. Dazu schrieb der Regensburger unter anderem: "Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat ... kein Respekt ... keine Achtung unserer Gesetze ... keine Achtung gegenüber Frauen ... DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN ... DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN ... KLAUEN ... RANDALIEREN ... UND GANZ WICHTIG ... NIE ARBEITEN."

"Facebook verbietet Hassrede"

Facebook begründete die Löschung dieser Posts und die zeitweilige Sperrung der Accounts mit Verstößen gegen die Gemeinschaftsstandards des Netzwerks. Dazu gehört ein Verbot von "Hassrede", auch wenn sie nicht strafbar ist. In den weltweit geltenden Gemeinschaftstandards heißt es unter anderem: "Wir definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, Behinderung, religiöse Zugehörigkeit, Kaste, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Geschlechtsidentität und ernsthafte Erkrankung."

Die Fürtherin und der Regensburger wehrten sich gegen die Löschung ihrer Posts und die zeitweilige Sperrung ihrer Accounts. Sie sahen ihre Meinungsfreiheit verletzt und trugen die Fälle durch die Instanzen. Das OLG Nürnberg hatte beide Klagen in vollem Umfang abgelehnt. Beim BGH hatten die Revisionen nun weitgehend Erfolg. Facebook muss die Posts wiederherstellen und darf auf sie keine neuen Sperrungen stützen.

Gemeinschaftsstandards sind möglich

Der BGH wertete die Facebook-Nutzungsbedingungen vom April 2018 als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). Mit diesen Nutzungsbedingungen behielt sich Facebook bei Verstößen gegen die Gemeinschaftsstandards das Recht zu Löschungen und Account-Sperrungen vor. Die Nutzungsbedingungen seien auch wirksam in das Vertragsverhältnis mit den Nutzer:innen einbezogen worden. Ein Klick auf die Pop-Up-Schaltfläche "Ich stimme zu" genügte.

Im Rahmen einer AGB-Kontrolle gem. § 307 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) stellte der BGH nun aber fest, dass die Nutzungsbedingungen von Facebook unwirksam sind, weil sie die Nutzer:innen unangemessen benachteiligen. Zu diesem Ergebnis kam der BGH nach einer Abwägung der Berufsfreiheit von Facebook mit der Meinungsfreiheit der Nutzer:innen. Die Gemeinschaftsstandards von Facebook genügten nicht den Anforderungen der "praktischen Konkordanz", weil nicht beide Grundrechte möglichst gut geschützt sind.

Zunächst stellte der Vorsitzende BGH-Richter Ulrich Herrmann aber fest, dass Facebook grundsätzlich das Recht hat, Gemeinschaftsstandard aufzustellen, die strenger sind als die staatlichen Gesetze. Bei Verstößen gegen diese Standards dürfe Facebook im Prinzip auch Beiträge von Nutzern löschen und deren Konten sperren. Inhaltlich begründete Herrmann diese zentrale Weichenstellung in der mündlichen Verkündung nicht. Aber vermutlich wird der BGH im schriftlichen Urteil darauf abstellen, dass ein Vorgehen gegen Hassrede auch der Meinungsfreiheit nützt, weil eine aggressive, abfällige Sprache auch viele Nutzer:innen davon abhält, sich an Diskussionen zu beteiligen.

Grundrechtschutz durch Verfahren

Die Nutzungsbedingungen von Facebook seien jedoch unwirksam, so Richter Herrmann, weil sie zu wenig Rücksicht auf die Interessen der Nutzer:innen nehmen. Herrman sprach ausdrücklich von einem ungenügenden "Grundrechtsschutz durch Verfahren". Konkret beanstandete der BGH, dass Nutzer bei Facebook-Sanktionen nicht angehört werden. Der BGH fordert, dass Betroffene über die Entfernung eines Beitrags "zumindest nachträglich" informiert werden und eine "Möglichkeit zur Gegenäußerung" erhalten. Über die beabsichtigte Sperrung eines Kontos müsse sogar "vorab" informiert werden.

Weil die Nutzungsbedingungen schon wegen dieser prozessualen Mängel unwirksam sind, verzichtete der BGH auf die mit Spannung erwartete Klärung der Frage, ob die Gemeinschaftsstandards materiell die Meinungsfreiheit genügend schützen. Dies muss deshalb in einem anderen Fall entschieden werden.

Zwar hat der BGH festgestellt, dass ein soziales Netzwerk strenger sein darf als der Gesetzgeber, er hat nun aber offen gelassen, um wieviel strenger Facebook sein darf. Dementsprechend ließ der BGH auch offen, ob die beiden umstrittenen Posts hätten gelöscht und sanktioniert werden dürfen, wenn die Nutzer:innen vorher ausreichend angehört worden wären.

Löschung strafbarer Posts bleibt möglich

Strafbare Hasspostings, zum Beispiel Beleidigungen oder Volksverhetzungen, können von Facebook auch weiterhin gelöscht werden. Hierbei muss Facebook aber schon seit Ende Juni 2021 die Betroffenen anhören. Ein entsprechendes "Gegenvorstellungsverfahren" hatte der Bundestag auf Vorschlag von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) als neuen § 3b ins Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) eingefügt.

Dieses neue Verfahren gilt allerdings nur, wenn Facebook "rechtswidrige" Inhalte löscht, nicht wenn es um Postings geht, die auschließlich gegen die Gemeinschaftsstandards von Facebook verstoßen.

BGH-Richter Herrmann betonte, dass die Regensburger Äußerung noch von der Meinungsfreiheit gedeckt war, weil sie sich kommentierend auf einen konkreten Vorfall bezog. Ohne einen solchen Bezug könnte sie strafbar sein.

Folgt eine Verfassungsbeschwerde?

Gegen diese differenzierte Entscheidung könnte nun lediglich Facebook Verfassungsbeschwerde einlegen, weil die beiden bayerischen Kläger:innen ja mit ihren Anträgen Erfolg hatten.

Facebook ließ aber offen, wie es weiter vorgehen will. "Wir werden die Entscheidung des Bundesgerichtshofs sorgfältig prüfen, um sicherzustellen, dass wir weiterhin effektiv gegen Hassrede in Deutschland vorgehen können", sagte ein Sprecher des Netzwerks. Stattdessen betonte Facebook die für das Netzwerk positiven Aspekte der Entscheidung: "Wir begrüßen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach wir grundsätzlich berechtigt sind, Inhalte nach eigenen Richtlinien zu entfernen und die betreffenden Nutzerkonten zu sperren." 

Zu einer möglichen Anpassung der Nutzungsbedingungen an die BGH-Vorgaben sagte Facebook zunächst nicht.

Anhängig am BVerfG

Bisher ist das Bundesverfassungsgericht erstaunlich wenig mit Fragen der Drittwirkung von Grundrechten in sozialen Netzwerken befasst worden. Die rechtsextreme Partei "Der III. Weg" hatte 2019 mit einem Eilantrag gegen die Sperrung ihres Facebook-Accounts Erfolg (Az.: 1 BvQ 42/19). In einem noch nicht entschiedenen Eilverfahren geht es um die Sperrung eines Youtube-Kanals (Az.: BvQ 79/21). Weitere vergleichbare Verfahren sind derzeit am Bundesverfassungsgericht nicht bekannt.

Zitiervorschlag

BGH zu Facebook-Sanktionen: Erst anhören, dann sperren . In: Legal Tribune Online, 29.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45599/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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