Abschiebungshaft: "Es passiert erst etwas, wenn sich jemand aufhängt"

Interview mit Peter Fahlbusch

27.08.2013

2/2: "Im Zweifel muss man das pro bono machen"

LTO: Wie kommen Sie zu den Verfahren? Wird im Zweifel ein Rechtsanwalt beigeordnet?

Fahlbusch: Eine Beiordnung gibt es nicht. Das ist ein Riesendrama. Wenn jemand in Untersuchungshaft kommt, bekommt er sofort einen Pflichtverteidiger. Für Abschiebungshäftlinge gilt das nicht. Das Ganze geht nur über Verfahrenskostenhilfe (VkH). Das heißt, die Leute müssen nicht nur arm sein, sondern das Verfahren muss auch ausreichend Aussicht auf Erfolg haben und darüber bestimmt der Richter, der auch in der Sache entscheidet. Am Ende gibt es fast nie VkH. Im Zweifel muss man das dann eben pro bono machen.

Wenn es in den Gefängnissen eine Rechtsberatung gäbe und ein Pflichtanwalt beigeordnet würde, dann würde das Gros dieser Menschen nicht in Haft gehen, da bin ich mir ganz sicher.

LTO: Sie haben seit 2002 insgesamt 832 Mandanten in Abschiebungshaftsachen vertreten. Lässt sich da eine Tendenz erkennen?

Fahlbusch: Ich habe mal angefangen, meine eigene Statistik zu führen, weil die Justizverwaltungen keine Zahlen darüber haben, wie viele Menschen zu Recht und wie viele zu Unrecht in Haft genommen wurden. 403 meiner Mandanten befanden sich zumindest teilweise zu Unrecht in Haft. Das sind gut 48 Prozent. Eine dramatische Zahl. Das sind immerhin über 11.000 rechtswidrige Hafttage, gut 31 Jahre. Das ist eines Rechtsstaats unwürdig.

Aber das interessiert einfach niemanden, auch nicht die Presse. Diesen Menschen fehlt die Lobby. Es passiert erst etwas, wenn sich meine Mandanten aufhängen.

"Eine eigenständige Prüfung findet nicht statt"

LTO: Gibt es bestimmte Fehler, die sich häufig wiederholen?

Fahlbusch: Ja. Eigentlich sollte man meinen, dass das recht einfach ist. Da gibt es die zwanzig Paragraphen aus dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zwei Vorschriften im Aufenthaltsgesetz und die Art. 2 und 104 GG.
Aber das fängt schon bei der Organisation im Gericht an. Die Verfahren will keiner haben, also gibt man sie häufig den Proberichtern. Die wiederum kennen sich nicht aus und schreiben oft einfach bei ihren Vorgängern ab. Am Ende denken alle, die Ausländerbehörden machen das ja viel häufiger als wir, die werden sich schon auskennen. Und so werden die Haftanträge dann praktisch in die Beschlüsse reinkopiert. Eine eigenständige Prüfung findet selten statt.

Manchmal werden Inhaftierte auch vergessen. Die Abschiebung wird einfach nicht organisiert. Es kommt auch vor, dass Betroffene gar nicht ausreisepflichtig sind. Und nach wie vor werden viele zentrale Verfahrensregeln nicht beachtet.

"Der BGH macht das beeindruckend gut"

LTO: In Karlsruhe müssen sich Ihre Mandanten durch BGH-Anwälte vertreten lassen, obwohl diese Beschränkung in Strafsachen nicht gilt, weil die Freiheit des Angeklagten auf dem Spiel steht und im Fall eines anwaltlichen Fehlers der juristische Beistand nicht so leicht in Haftung genommen werden kann wie in Zivilsachen. Ist es da nicht inkonsequent, Abschiebungshäftlinge auf die BGH-Anwälte zu verweisen?

Fahlbusch: Die Arbeitsgemeinschaft Ausländer und Asylrecht des Deutschen Anwaltvereins ist gegen diese Regelung tatsächlich Sturm gelaufen. Auch ich habe das sehr kritisch gesehen. Zum einen müssen die BGH-Anwälte ja auch finanziert werden; zum anderen sind die Wege dadurch doch länger und gerade in Haftsachen sollte es ja schnell gehen.

Ich habe aber eine Kanzlei gefunden, mit der ich immer zusammenarbeite, und muss sagen, die machen das unendlich gut. Das gilt auch für die Arbeit der Richter in Karlsruhe. Zu Anfang war ich ja eher skeptisch, ob der BGH nicht zu weit von der ganzen Materie weg ist. Aber die machen das beeindruckend gut. Karlsruhe bewilligt eigentlich auch immer Verfahrenskostenhilfe, ganz anders als die Amts- und Landgerichte.

Peter Fahlbusch ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Lerche Schröder Fahlbusch in Hannover und schwerpunktmäßig im Migrationsrecht tätig.

Das Gespräch führte Claudia Kornmeier.

Zitiervorschlag

Peter Fahlbusch, Abschiebungshaft: "Es passiert erst etwas, wenn sich jemand aufhängt" . In: Legal Tribune Online, 27.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9438/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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