Nach der Kommission zweifelt nun auch der BGH am deutschen Glücksspielsystem. Macht schon das schleswig-holsteinische Sondergesetz den Staatsvertrag der anderen Länder nichtig? Und was wird nun, da die neue schleswig-holsteinische Regierung beschlossen hat, doch beim Glücksspielstaatsvertrag mitzumachen? Es droht ein neues negatives Urteil aus Luxemburg, meinen Wulf Hambach und Maximilian Riege.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Donnerstag in einer Wettbewerbsklage der staatlichen Lotteriegesellschaft Nordrhein-Westfalens (West-Lotto) gegen einen privaten Internet Glücksspiel-Anbieter das Verfahren ausgesetzt. Gleich vier Fragen zur Vereinbarkeit der deutschen Rechtslage mit EU-Recht legen die Karlsruher Richter dem Europäischen Gerichtshof vor (Beschl. v. 24.01.2013, Az. I ZR 171/10 – digibet).
In dem Vorlagebeschluss geht es um die beiden Regulierungssysteme, die derzeit parallel in Deutschland in Kraft sind. Das Glücksspielgesetz in Schleswig-Holstein (GlSpielG SH) und der Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) aller anderen Bundesländer regeln vor allem den Bereich des Internet-Glücksspiels höchst unterschiedlich.
Der BGH fragt daher den EuGH, ob die Koexistenz dieser beiden verschiedenen Glücksspielregulierungssysteme in Deutschland der europarechtlichen Anforderung widerspricht, dass die Regulierungslage in einem Mitgliedstaat einheitlich und stimmig sein muss (das sogenannte Konsistenz- und Kohärenzgebot). Ebenfalls am heutigen Donnerstag kehrt Schleswig Holstein unter der neuen Regierung zurück zum Glücksspielstaatsvertrag. Und nun?
Keine friedliche Koexistenz zweier Systeme?
Während in Schleswig-Holstein sowohl Online-Sportwetten als auch Online-Casinospiele wie zum Beispiel Online-Poker zulässig sind, können in den anderen Bundesländern maximal 20 Online-Sportwetten-Anbieter unter erheblich restriktiveren Bedingungen zugelassen werden. Online-Casinospiele bleiben dort vollumfänglich verboten.
Der BGH selbst äußert die Auffassung, dass "in der bundesstaatlichen Ordnung begründete unterschiedliche Regelungen innerhalb eines Mitgliedstaats nicht als inkohärente Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit anzusehen [sind], soweit sie in der EU nicht harmonisierte Sektoren wie das Glücksspiel betreffen. Jedenfalls sollte es aber nicht zu einer Inkohärenz der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen führen, wenn ihre Eignung durch eine liberalere Regelung in einem einzelnen kleineren Bundesland nur unerheblich beeinträchtigt wird."
Ganz sicher scheint der I. Zivilsenat sich bei seiner Einschätzung aber nicht zu sein. So habe nach seiner Rechtsprechung der beklagte Glücksspiel-Anbieter wettbewerbswidrig gehandelt bis zum 31. Dezember 2011, als der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft trat. Nach den Rechtsänderungen stelle sich aber die Frage, "ob das deutsche Glücksspielrecht noch mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist." Deshalb legen die Karlsruher Richter diese Frage dem EuGH vor.
Die Europäische Kommission hatte schon in ihrer Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 eine deutliche Position vertreten und erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit mit Europarecht angemeldet: "Die Kommission kann nicht erkennen, wie das gleichzeitige Bestehen zweier unterschiedlicher Regelungssysteme für dieselbe Dienstleistungstätigkeit die Anforderung 'kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten' erfüllen könnte." Folgerichtig hat die Kommission Deutschland offen mit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gedroht.
Die nordische Rolle rückwärts - und nun?
Zwar beschloss die neue Landesregierung in Kiel per Parlamentsentscheid vom heutigen Donnerstag unterdessen den Beitritt Schleswig-Holsteins zum Glücksspielstaatsvertrag der übrigen Bundesländer, das GlSpielG SH wird aufgehoben. Da diese Entscheidung aber laut Innenministerium frühestens am 8. Februar in Kraft treten kann, sind rein rechtlich noch weitere Lizenzvergaben möglich.
Trotz der bevorstehenden Rücknahme des Gesetzes ist das Problem aber noch nicht gelöst. Die bisher auf Grundlage des GlSpielG SH erlassenen immerhin bis heute 26 Sportwetten- und 23 Casinospiel-Lizenzen bleiben nämlich für die gesamte Laufzeit von sechs Jahren in Kraft. In diesem Umfang gilt auch das GlSpielG SH weiter.
Auch für dieses Szenario bittet der I. Zivilsenat den EuGH um europarechtliche Aufklärung. Er führt aber aus, dass es "mit dem Unionsrecht vereinbar sein, wenn zulässige Regelungen für den Glücksspielbereich, auf die sich die Länder eines Bundesstaates geeinigt haben, in einem Bundesland erst nach einer mehrjährigen Übergangszeit in Kraft gesetzt werden, auch wenn die Wirksamkeit dieser Regelungen im übrigen Bundesgebiet in der Zwischenzeit beeinträchtigt wird. Jedenfalls sollte dies gelten, wenn die Beeinträchtigung nur unerheblich ist."
Schon die bloße Anzahl der Lizenzen aber macht deutlich, dass es selbst für die zukünftige Sportwettenregulierung in Deutschland nicht möglich sein wird, die 26 schleswig-holsteinischen Sportwettenlizenzen in den dann deutschlandweiten Rechtsrahmen des GlüStV zu überführen. Der Staatsvertrag lässt nämlich maximal 20 Sportwettenanbieter zu. Von den weiteren im nördlichsten Bundesland genehmigten 23 Anbietern von Casinospiel ganz zu schweigen.
Es bleiben viele offene Fragen
In dem aktuellen Verfahren beschäftigt sich der BGH nicht mit allen relevanten Fragen zur deutschen Glückspielregulierung. So thematisiert der Senat nicht, warum auf Grundlage des GlüStV nur 20 Sportwetten-Lizenzen vergeben werden sollen. Es bleibt daher abzuwarten, mit welcher Begründung dem 21. Sportwettenanbieter, der alle Zulassungskriterien des momentan andauernden Ausschreibungsverfahrens zum GlüStV erfüllt und eine Lizenz für den deutschen Markt beantragt, die Zulassung verwehrt werden soll.
Zu diesem Punkt hatte die Europäische Kommission bereits festgestellt, sie könne nicht erkennen, wie die Beschränkung der Gesamtzahl der Konzessionen geeignet sein sollte, die Verbrauchernachfrage in ein kontrolliertes System zu lenken und Verbrechen und Betrug zu bekämpfen. Ebenso wenig spricht die Entscheidung vom Donnerstag an, wie es europarechtlich zu beurteilen ist, dass man das staatliche deutsche Lotteriemonopol weiterhin unter anderem mit der Suchtbekämpfung begründet, obwohl private Anbieter gleichzeitig Glücksspielarten wie Automatenspiel und Sportwetten in Spielhallen oder im Internet anbieten dürfen, die anerkanntermaßen suchtrelevanter sind. Auch die Rechtfertigung eines kompletten Verbots von Online-Casinospielen, obgleich Online-Sportwetten in Deutschland zumindest teilweise zugelassen sind, ist nicht Gegenstand der Karlsruher Entscheidung.
Das einzige europarechtskonforme Glücksspielgesetz – zurückgenommen
Auch diese Fragen zur deutschen Glücksspielregulierung werden in der Zukunft die deutschen und höchstwahrscheinlich auch wieder die europäischen Gerichte beschäftigen, obwohl der EuGH erst 2010 im Carmen Media Verfahren (Rs. C-46/08) die Europarechtswidrigkeit der deutschen Glücksspielregulierung festgestellt hatte. In einem vergleichbaren Sachverhalt haben die Luxemburger Richter nun am heutigen Donnerstag entschieden, dass auch das griechische Glücksspielmonopol europarechtswidrig ist, weil es den Anforderungen einer einheitlichen und in sich stimmigen Glücksspielregulierung widerspricht (Rs. C-186/11 und C-209/11).
Mit der heutigen Vorlage an den EuGH scheint der BGH daher nur ein neues Kapitel in den rechtlichen Auseinandersetzungen um die deutsche Glückspielregulierung aufzuschlagen. Es bleibt abzuwarten, wann und wie der EuGH, die deutschen Gerichte und die Europäische Kommission die neue Rechtslage in Deutschland beurteilen werden. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte in Anbetracht der neuen Rechtslage ebenfalls bereits Zweifel an der Europarechtskonformität der deutschen Glücksspielregulierung geäußert und deshalb im Eilverfahren einem privaten Online Glücksspielanbieters Recht gegeben (Beschl. v. 10.12. 2012, Az. 6 S 3335/11).
Sicher ist also wohl nur, dass die Koalition aus SPD, Grünen und Süd-Schleswigschem Wählerverband heute die Rücknahme des einzigen vorbehaltlos als europarechtskonform eingestuften Glücksspielgesetzes in Deutschland, des GlSpielG SH, beschlossen hat, damit Schleswig-Holstein dem mit erheblichen europarechtlichen Bedenken konfrontierten GlüStV beitreten kann. Geneigte Bobachter und wohl auch EuGH und Europäische Kommission mögen sich fragen: Warum?
Dr. Wulf Hambach ist Founding-Partner, Maximilian Riege ist Senior-Associate in der Rechtsanwaltskanzlei Hambach & Hambach in München. Die Autoren sind unter anderem auf das Glücksspielrecht spezialisiert.
Wulf Hambach und Maximilian Riege, Sportwettten, Online-Poker & Co.: . In: Legal Tribune Online, 24.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8034 (abgerufen am: 12.10.2024 )
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