Verletzt Sampling die Rechte eines Tonträgerherstellers? Kraftwerk und Moses Pelham streiten seit 20 Jahren. Nun soll der EuGH entscheiden. Ein Schutz schon kleinster Tonfetzen ist nicht überzeugend, meint Sven Schonhofen.
Sampling ist ein musikalisches Gestaltungsmittel. Die Musiker verarbeiten Klänge aus unterschiedlichen Tonquellen in einem neuen Musikstück. Durch den technischen Fortschritt und den Einsatz von digitalen Samplern, die ein kostengünstiges Sampeln ermöglichen, gewann das Gestaltungsmittel, insbesondere in der Musikrichtung Hip Hop, erheblich an Bedeutung. Die Sampleverwender wollen dabei häufig gerade, dass das Original erkennbar ist.
Die Zulässigkeit von Sampling ist in Deutschland noch immer ungeklärt. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil es in dem "Metall auf Metall"-Rechtsstreit, über den der Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag erneut entschied, mittlerweile schon sechs gerichtliche Entscheidungen gibt. Es geht um den gleichnamigen Song der Band Kraftwerk aus dem Jahr 1977. Beklagte sind die Komponisten und die Musikproduktionsgesellschaft des Hip Hop-Titels "Nur mir", den die Sängerin Sabrina Setlur im Jahr 1997 eingespielt hat. Zur Herstellung des Titels entnahm Produzent Moses Pelham eine zwei Sekunden lange Rhythmussequenz aus dem Song "Metall auf Metall" und unterlegte dem Titel "Nur mir" damit. Die Sequenz wird in einer um 5 Prozent verlangsamten Geschwindigkeit wiederholt ("Loop").
Kraftwerk sieht ihre Rechte als Tonträgerhersteller aus § 85 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) verletzt. Demnach steht Tonträgerherstellern das ausschließliche Recht zu, den Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Das Leistungsschutzrecht der Tonträgerhersteller schützt die im Tonträger verkörperte technische und wirtschaftliche Herstellerleistung.
20 Jahre Rechtsstreit um zwei Sekunden Musik
Zunächst sah es danach aus, als ob Kraftwerk den Rechtsstreit gewinnen würde. Das Landgericht (LG) Hamburg (Urt. v. 8.10.2004, Az.308 O 90/99) und das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg (Urt. v. 07.06.2006, Az,5 U 48/05) gaben ihrer Klage statt.
Der BGH bestätigte dann in "Metall auf Metall I" (Urt. v. 20.11. 2008, Az. I ZR 112/06), dass ein Eingriff in das Tonträgerherstellerrechtvorliege. Ein solcher sei bereits dann gegeben, wenn einem Tonträger kleinste Tonfetzen entnommen würden. Der I. Zivilsenat verwies die Sache aber an das OLG Hamburg zurück. Das Berufungsgericht habe nicht geprüft, ob der Eingriff vorliegend durch das Recht zur freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG gerechtfertigt sei. Das OLG Hamburg verneinte das (mit Urt. v. 17.08. 2011, Az.5 U 48/05) im wiedereröffneten Berufungsverfahren. Pelham und Co. hätten die übernommene Sequenz vielmehr selbstständig in gleichwertiger Weise einspielen können.
Der BGH wies die hiergegen eingelegte Revision* der Beklagten in "Metall auf Metall II" (Urt. v. 13.12.2012, Az. I ZR 182/11) zurück. Der Zweck von § 24 Abs, 1 UrhG, eine Fortentwicklung des Kulturschaffens zu ermöglichen, rechtfertige nicht den Eingriff in die unternehmerische Leistung des Tonträgerherstellers. Aus der Kunstfreiheit lasse sich kein Recht ableiten, die Tonaufnahme ohne Einwilligung des Tonträgerherstellers zu nutzen.
Eine Kehrtwende in dem Verfahren gab es auf die von den Beklagten hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der Kunstfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stärkte die Rechte der Sampleverwender. Karlsruhe bestätigte, dass die Entscheidungen in das Grundrecht der Produzenten auf künstlerische Betätigung eingriffen (BVerfG, Urt. v. 31.05.2016, Az. 1 BvR 1585/13). Der Eingriff in die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3. S. 1 Grundgesetz ) sei auch nicht gerechtfertigt. Die Hersteller bei der lizenzfreien Übernahme kleinster Rhythmussequenzen erlitten keine erheblichen wirtschaftlichen Nachteile, in ihr grundrechtlich geschütztes Eigentum werde nur geringfügig eingegriffen. Das BVerfG hat die Sache an den BGH zurückverwiesen. Und deutete bereits an, dass möglicherweise eine Vorlage an den EuGH notwendig sei.
*Sachlich korrigiert am 02.06.2017, 12:28h
2/2: Fragen an den EuGH: freie Benutzung und die Zuständigkeit des BVerfG
Die Beklagten verfolgten danach ihren Klageabweisungsantrag vor dem BGH weiter. Der hat nun das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH einen Fragenkatalog vorgelegt (Beschl. v. 01.06. 2017, Az. I ZR 115/16, "Metall auf Metall III"). Er fragt zunächst, ob ein Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht zur Vervielfältigung (Art. 2 c) Richtlinie 2011/29/EG) und Verbreitung (Art. 9 I b) Richtlinie 2011/29/EG) vorliege, wenn seinem Tonträger kleinste Tonfetzen entnommen und auf einen anderen Tonträger übertragen werden.
Außerdem will der BGH wissen, ob eine Vorschrift wie § 24 Abs. 1 UrhG das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht in der Weise beschränken kann, dass ein selbstständiges Werk in freier Benutzung des Tonträgers ohne Zustimmung des Herstellers verwertet werden darf. Zudem fragt der BGH, ob der Eingriff möglicherweise durch das Zitatrecht (Art. 5 Abs. 3 d) Richtlinie 2011/29/EG) gerechtfertigt sei, auch wenn nicht erkennbar ist, dass ein fremdes Werk genutzt wird. Der BGH gibt hier aber schon eine klare Tendenz vor. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein Hörer annehme, dass die Rhythmussequenz, die dem Song "Nur mir" unterliegt, einem fremden Werk oder Tonträger entnommen worden sei.
Daneben wirft der BGH die spannende Frage auf, ob das BVerfG in dem Fall überhaupt etwas zu sagen hatte. Innerstaatliche Rechtsvorschriften, die eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen, seien grundsätzlich nicht am Maßstab des Grundgesetzes, sondern allein am Unionsrecht zu messen, wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum lasse. Daher stelle sich die Frage, ob die europarechtlichen Vorschriften zum Vervielfältigungsrecht und Verbreitungsrecht des Tonträgerherstellers Umsetzungsspielräume im nationalen Recht zulassen.
In einem weiteren Schritt fragt der BGH, inwieweit bei der Bestimmung des Schutzumfangs des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts des Tonträgerherstellers die Grundrechte der EU-Grundrechtecharta zu berücksichtigen sind. Der EuGH könnte sich in diesem Verfahren somit zur spannenden Grundsatzfrage des Verhältnisses zwischen Kunstfreiheit und geistigem Eigentum äußern.
Sampling weltweit ungeklärt –und vielleicht bald auch vor dem U.S. Supreme Court
Der nun schon über 13 Jahre andauernde Rechtsstreit geht also in die Verlängerung. Es wird noch zwei weitere Urteile, und zwar des EuGH und des BGH, geben. Es bleibt abzuwarten, wie weit der EuGH den Schutzbereich des Leistungsschutzrechts der Tonträgerhersteller zieht. Überzeugend wäre hier, dass er nicht schon kleinste Tonfetzen umfassen kann. Dem Tonträgerhersteller sollte kein größerer Schutz zugesprochen werden als einem Urheber. Urheberrechtlicher Schutz ist nur gegeben, wenn der übernommene Teil eine persönliche geistige Schöpfung darstellt.
Die Zulässigkeit des Samplings ist derzeit nicht nur in Deutschland ungeklärt, sondern auch in anderen Jurisdiktionen, z.B. in den USA. Hier gab es im vergangenen Jahr eine Abkehr von dem bisherigen Grundsatz des Court of Appeals for the Sixth Circuit "Get a license or do not copy" (Urt. v. 07.09. 2004, Az. 383 F. 3d 390).
Der Court of Appeal for the Ninth Circuit (Urt. v. 02.06.2016, Az. 14-55837) hatte über den Song "Vogue" von Madonna zu entscheiden. Dort wurde eine 0,23 Sekunden lange Sequenz aus einem Song namens "Love Break" übernommen. Die Übernahme sei zulässig gewesen. Der durchschnittliche Hörer könne wegen der Kürze des Samples nicht erkennen, dass die Sequenz aus einem anderen Werk übernommen wurde. Da es jetzt einen "Circuit Split" gibt, wird das Problem des Samplings möglicherweise auch bald das höchste Gericht der USA, den Supreme Court beschäftigen.
Der Autor Sven Schonhofen, LL.M. (Fordham University, New York) ist Rechtsanwalt bei Reed Smith LLP in München und Fellow am Fordham IP Institute. Er ist spezialisiert auf Urheberrecht, gewerblichen Rechtsschutz und IT-Recht.
Sven Schonhofen, LL.M., BGH legt Sampling dem EuGH vor: Streit um 2 Sekunden geht in die nächste Runde . In: Legal Tribune Online, 02.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23095/ (abgerufen am: 11.12.2023 )
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