Der BGH hat den Freispruch eines Mannes aufgehoben, der 450 Kilo Marihuana geschmuggelt hatte. Die Ermittler waren ihm über verschlüsselte Encrochat-Nachrichten auf die Schliche gekommen. Zunächst profitierte er von der neuen Cannabis-Rechtslage.
Ein Urteil des Landgerichts (LG) Mannheim sorgte im April 2024 für riesige Aufregung (Urt. v. 12.04.2024, Az. 5 KLS 804 Js 28622/21): Ein 36-Jähriger war vom Vorwurf der illegalen Einfuhr von rund 450 Kilogramm Marihuana im Gesamtwert von rund 1,9 Millionen Euro freigesprochen worden. Außerdem hatte ihm das LG für die "erlittene Untersuchungshaft" eine Entschädigung zugesprochen.
Die Staatsanwaltschaft hatte den Mann beschuldigt, im Jahr 2020 mehrmals größere Mengen der Droge von Spanien nach Deutschland geschmuggelt zu haben. Auf die Schliche gekommen waren die Ermittler ihm nach Auswertung von verschlüsselten Chatnachrichten, die über den Kryptohandy-Anbieter Encrochat liefen.
Wegen des damit verbundenen Eingriffs in das von Art. 10 Grundgesetz (GG) geschützte Fernmeldegeheimnis dürfen Encrochat-Daten allerdings nur dann als Beweis verwertet werden, wenn es um die Aufklärung besonders schwerer Straftaten geht und die in der Strafprozessordnung (StPO) geregelten Voraussetzungen für eine Online-Durchsuchung nach § 100b vorliegen. Nur dann sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewährleistet, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) im März 2022.
Veränderte Wertung des Gesetzgebers bei Einfuhr von Cannabis
Hintergrund des Mannheimer Freispruchs: In Bezug auf die illegale Einfuhr von Cannabis hat sich mit Inkrafttreten des Cannabisgesetztes (CanG) bzw. des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) zum 1. April die Wertung des Gesetzgebers geändert. Nicht mehr jedes Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge gilt als derart schwere Straftat, die eine Online-Durchsuchung und damit die Auswertung von Encrochat-Daten rechtfertigt. § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO sieht nur noch für Straftaten nach § 34 Abs. 4 KCanG die Möglichkeit einer Online-Durchsuchung vor, also nur noch bei bandenmäßigem oder bewaffnetem Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge.
Im Mannheimer Fall wurden dem Mann nicht diese strafverschärfenden, eher der organisierten Kriminalität zuzurechnenden Varianten vorgeworfen, sondern "nur" gewerbsmäßiger Handel mit einer nicht geringen Menge, strafbar nach § 34 Abs. 3 Nr. 1und Nr. 4 KCanG. Angedrohtes Strafmaß: Drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe. Vor der zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Teil-Legalisierung hätte dieser Vorwurf noch auf Grundlage des Betäubungsmittelgesetzes (§ 29a Abs.1 BtMG) gereicht, um die Encrochat-Daten zu verwerten. Da das LG Mannheim bei der Verwertungsfrage auf die neue, liberalere Rechtslage zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung und nicht auf den Zeitpunkt der Erlangung des Beweismittels vor dem 1. April 2024 abstellte, sprach den mutmaßlichen Dealer frei.
Staatsanwaltschaft mit Revision erfolgreich
Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin gegen das Urteil Revision beim BGH ein und hatte damit nun Erfolg. Am Dienstag fand die Revisionsverhandlung statt, am Mittwoch verkündete der 1. Strafsenat seine Entscheidung.
Zwar liegt das Urteil in schriftlicher Form noch nicht vor. Jedoch bestätigte der Sprecher des BGH, Bernd Odörfer, gegenüber LTO, dass der BGH im Verfahren 1 StR 349/24 mit Urteil vom 30. April 2025 auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Mannheim mit den Feststellungen aufgehoben habe, "soweit der Angeklagte von den Vorwürfen freigesprochen und eine Entschädigungsentscheidung getroffen wurde". Im Umfang der Aufhebung habe der Senat die Sache zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Mannheim zurückverwiesen.
Erleichtert darüber dürften nun auch diverse Unions-Justizministerinnen und -minister der Länder sein. Stellvertretend für sie hatte sich Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) wenige Wochen nach dem Mannheimer Freispruch an den damaligen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gewandt. Sie hatte ihm "dringlichst ans Herz" gelegt, sich für eine Ergänzung des Straftatenkatalogs von § 100b StPO um (weitere) Strafvorschriften des KCanG und des Medizinal-Cannabisgesetzes (MedCanG) einzusetzen.
Buschmann damals gegen schnelle Gesetzesverschärfung
"Ohne eine schnelle Anpassung, die die Effektivität der Ermittlungen ganz grundsätzlich steigern würde, besteht die Gefahr, dass Strafverfahren, in denen auf der alten Rechtsgrundlage ermittelt und Anklage erhoben wurde, mit einem Freispruch enden. Und zwar nicht, weil die angeklagten Sachverhalte nicht strafbar wären, sondern weil rechtmäßig gewonnene Ermittlungsergebnisse nicht mehr als Grundlage einer Verurteilung herangezogen werden dürfen", so Gentges seinerzeit.
Auch Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) pochte damals gegenüber LTO auf einer Verschärfung der Rechtslage: "An einer zügigen Nachbesserung führt kein Weg vorbei."
Druck machte schließlich auch die Unionsfraktion mit einem Antrag im Bundestag Druck: "Seit Inkrafttreten des neuen Cannabisgesetzes sind die Gerichte zu der Auffassung gelangt, dass Beweismittel – insbesondere Chatnachrichten des Anbieters Encrochat – nach der neuen Gesetzeslage nicht mehr verwertbar seien, sodass Angeklagte vom Vorwurf der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln freigesprochen werden mussten", heißt es darin.
Buschmann reagierte jedoch gelassen. In einer Antwort an Baden-Württembergs Justizministerin Gentges warnte er vor gesetzgeberischen Schnellschüssen und empfahl, erst einmal abzuwarten, wie der BGH im Verfahren des LG Mannheim auf die Revision der Staatsanwaltschaft entscheiden werde und auch wie sich die Rechtsprechung in anderen vergleichbaren Fällen positionieren werde.
Seit Mittwoch steht fest: Das Gericht sieht jedenfalls bei Altfällen, in denen Encrochat-Daten bereits vor der liberalen Cannabis-Rechtslage erlangt wurden, keine Strafbarkeitslücke.
1. Strafsenat auf Linie des 5. Strafsenats
Indes: Völlig überraschend kommt die Entscheidung des 1. Strafsenats nicht. Denn bereits der 5. Strafsenat des BGH hatte in einem ähnlichen Fall im Januar die Verwertung von Encrochat-Daten bejaht (Urteil vom 30.01.2025, Az. 5 StR 528/24).
In der Entscheidung vom Januar stellte der 5. Strafsenat bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Datenübermittlung auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Datenanforderung ab. Im Jahr 2020 – als die Daten nach Deutschland übermittelt wurden – waren in dem Fall, den der 5. Senat entschied, die angeklagten Taten noch als Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafbar und durften daher noch verwertet werden.
Ähnlich dürfte nun auch der 1. Strafsenat des BGH im Mannheimer Fall argumentiert haben. Auch hier waren die belastenden Encrochat-Daten im Juni 2020, also zum Zeitpunkt der "alten" Cannabis-Rechtslage, erlangt worden.
CDU-Justizministerin beklagt weiter fehlende Ermittlungsinstrumente
Unterdessen hält sich bei CDU-Ministerin Gentges über die BGH-Entscheidung die Freude in Grenzen - obwohl der Freispruch für den mutmaßlichen Cannabisdealer vom Tisch ist: "Die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung ändert nichts am Fehlen der nötigen Ermittlungsinstrumente für die Zeit ab dem 1. April 2024", kommentierte die CDU-Ministerin gegenüber LTO.
Gentges setzt nun auf die anstehende Evaluierung des Cannabisgesetzes - und dann auf mehr Kompetenzen für Strafverfolger, "um die organisierte Kriminalität in diesem Bereich wirkungsvoll zu bekämpfen". In der Praxis, so Gentges, habe sich das Gesetz als massives Hindernis für die Strafverfolgung erwiesen. "Es schränkt zentrale Ermittlungsmethoden wie Telekommunikationsüberwachung, Online-Durchsuchungen und Standortdatenerhebung seit dem 1. April 2024 stark ein - Instrumente, auf welche die Ermittlungsbehörden aber angewiesen sind."
BGH kassiert aufsehenerregenden Freispruch: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57133 (abgerufen am: 24.05.2025 )
Infos zum Zitiervorschlag