BGH zum Täter-Opfer-Ausgleich an Hinterbliebene: Zu spät für Reue

von Maximilian Amos

02.10.2018

Der Täter-Opfer-Ausgleich im Strafrecht soll der Wiedergutmachung der Tat dienen und kann dem Verurteilten eine Strafmilderung einbringen. Hat er das Opfer aber getötet, hilft ihm auch keine Zahlung an die Hinterbliebenen, so der BGH.

Es mag auf den ersten Blick banal erscheinen, musste nun aber doch vom Bundesgerichtshof (BGH) geklärt werden: Ein Täter-Opfer-Ausgleich im Strafrecht ist nicht möglich, wenn das Opfer verstorben ist. Eine Ausgleichszahlung an die Angehörigen kann daher keine Strafmilderung für den Täter eines vollendeten Tötungsdelikts begründen, entschieden die Karlsruher Richter mit nun veröffentlichtem Beschluss (v. 06.06.2018, Az. 4 StR 144/18).

Hintergrund der Entscheidung war der Fall eines Lkw-Fahrers, der sich an einem Abend im August 2016 bei der Fahrt von seinem Handy ablenken ließ und einen 82-jährigen Mann auf einem beleuchteten Pedelec übersah und anfuhr. Obwohl er bemerkt hatte, dass er einen Menschen erfasst und womöglich schwer verletzt hatte, fuhr er weiter, um möglichen strafrechtlichen Konsequenzen zu entgehen. Er verständigte weder einen Notarzt noch rief er sonst jemanden zur Hilfe, der alte Mann starb kurz darauf an seinen schweren Verletzungen.

Weil er in Kauf genommen hatte, ihn sterben zu lassen, um einer möglichen Strafverfolgung zu entkommen, wurde der Mann zum einen wegen versuchten Mordes - versucht, weil der alte Mann auch bei einem sofortigen Hilferuf nicht mehr hätte gerettet werden können -, zum anderen wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.

Täter zahlte 25.000 Euro an Hinterbliebene

Der Lkw-Fahrer focht dieses Urteil allerding an, weil das Landgericht verweigert hatte, einen Täter-Opfer-Ausgleich anzuerkennen. Dieser sieht vor, dass der Täter sich gegenüber dem Opfer unter erheblichem Aufwand darum bemühen muss, die Folgen seiner Tat wieder gut zu machen. Gemäß § 46a Strafgesetzbuch (StGB) kann seine Strafe dann gemildert, oder, bei leichteren Delikten, auch ganz erlassen werden.

Er hatte als Ausgleich der Tochter sowie der Frau des Verstorbenen zusammen 25.000 Euro gezahlt. Die Zahlung wollte er nun vom Gericht als Wiedergutmachung anerkannt haben. Dieses bezog sie auch in die Strafzumessung im engeren Sinne mit ein, berücksichtigte sie also innerhalb seines Spielraums, ein Strafmaß zu finden. Es erkannte die Zahlung aber nicht als Täter-Opfer-Ausgleich an, was zu einer gesetzlich normierten Milderung nach § 49 StGB geführt hätte.

Der 4. Strafsenat in Karlsruhe verwarf nun die Revision gegen das Urteil, da ein Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a StGB nicht bei einem vollendeten Tötungsdelikt in Betracht komme. Vielmehr setzt die Vorschrift in den Augen der Richter schon begrifflich voraus, dass Verletzter und Opfer ein und dieselbe Person sind, da die Begriff dort synonym verwendet werden. So heißt es dort: "(...) in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) (...)". Ein Ausgleich gegenüber den Hinterbliebenen entspreche zudem nicht dem Willen des Gesetzgebers, wie aus den Gesetzesmaterialien klar ersichtlich sei, betonte der BGH.

BGH fordert direkten Kontakt mit Opfer

Die Verteidigung hatte sich u. a. auf die Vorschriften der § 395 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) und § 844 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berufen. Ersterer gewährt u. a. Angehörigen von Getöteten ein Nebenklagerecht im Strafprozess, die BGB-Vorschrift regelt Ersatzansprüche Dritter bei einer Tötung. Diese Verweise überzeugten den Strafsenat des BGH aber nicht, schließlich gehe es hier um prozessuale Befugnisse oder zivilrechtliche Ansprüche, aber gerade nicht um eine Strafmilderung für den Täter.

Schließlich, so der BGH, sei es auch nicht Sinn und Zweck des Täter-Opfer-Ausgleichs, dem Täter eine Strafmilderung durch eine Leistung an Angehörige zu verschaffen. Er verlange vielmehr "einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer" zum Ausgleich der durch die Tat verursachten Folgen. Unverzichtbar sei dabei, "dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert". Mit Blick auf die Unbestimmtheit des Kreises der möglichen Ausgleichsadressaten im Einzelfall komme daher nur ein direkter Kontakt zwischen Täter und Opfer der Straftat in Betracht.

Dieser kommunikative Prozess ist nach überwiegender Ansicht notwendig, um den Anschein zu vermeiden, wohlhabende Täter könnten sich einfach freikaufen, erläutert Lucas Tomiak, der am Bonner Strafrechts-Lehrstuhl von Prof. Dr. Martin Böse zum Strafzumessungsrecht promoviert, gegenüber LTO. "Daneben lässt sich das Erfordernis aber auch straftheoretisch begründen, etwa darüber, dass die Entschuldigung des Täters zu einer besseren Verarbeitung der Tat beim Opfer führen und damit das Erfolgsunrecht der Tat mildern kann", so Tomiak. Außerdem könne die Konfrontation des Täters mit seiner Tat das Strafbedürfnis reduzieren.

Vorschrift kann erhebliche Strafmilderung bedeuten

Die Unterscheidung, ob eine Strafmilderung über den Täter-Opfer-Ausgleich oder die Zumessung innerhalb des normalen Strafrahmens erfolge, ist indes nicht nur von theoretischer Bedeutung. Denn in ersterem Fall wird der Ermessensspielraum des Gerichts bereits eingeschränkt. "§ 46a verweist auf § 49 Abs. 1 StGB, der eine Absenkung des Strafrahmens, aus dem das Gericht schöpfen darf, oder sogar ein komplettes Absehen von Strafe ermöglicht", führt Tomiak aus. Die Absenkung des Strafrahmens könne daher vor allem bei Taten mit erhöhten Mindeststrafen erhebliche praktische Folgen haben.

Interessant an dem Beschluss ist ein Verweis des BGH auf den bereits früher entschiedenen Fall eines Kleinkindes, das Opfer einer Sexualstraftat geworden war. In dem Fall hatte man einen Ausgleich mit den Eltern als Vertreter des noch lebenden Kindes in Betracht gezogen. Warum man das Dogma der Kommunikation an dieser Stelle aufgebrochen hatte, in diesem Fall nun aber darauf verzichtete, erklärte der Senat nicht mehr näher.

"Das unterschiedliche Ergebnis in den beiden Fällen könnte man begründen, indem man sich auf den Standpunkt stellt, dass das Kind die Tat besser übersteht, wenn seine Eltern sich mit dem Täter ausgesöhnt haben" erklärt Tomiak. "Ob das ohne eine direkte Konfrontation des Täters mit seinem Opfer den Anforderungen des § 46a genügt, ist aber durchaus fraglich", so Tomiak.

Zitiervorschlag

BGH zum Täter-Opfer-Ausgleich an Hinterbliebene: Zu spät für Reue . In: Legal Tribune Online, 02.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31259/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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