Er hatte bereits per Webcam zugesehen, wie eine junge Frau starb. Nun wollte der Mann, der per Internet Frauen in ihrem Suizidwunsch bestärkte, selbst töten. Dafür muss er sieben Jahre in Haft, obwohl er zur Tat nicht einmal angesetzt hatte.
Im erstinstanzlichen Verfahren hat ein Sachverständiger ihm sexuellen Sadismus attestiert. Seine Triebe schritten immer weiter fort, hatte die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer des Landgerichts (LG) Gießen gesagt, die den Hessen Anfang 2017 zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt hat (Urt. vom 3. Januar 2017, Az. Ks 403 Js 16861/16).
Zuerst waren es nur scheinbare Hinrichtungen, die der Familienvater vielfach mit Prostituierten praktizierte, zumindest eine von ihnen soll er brutal vergewaltigt haben. Aber er wollte mehr. Im Internet, wo er sich "Heimu" nannte, ging er auf die Suche nach emotional instabilen Frauen. Er wollte sie dazu überreden, sich selbst zu töten. Er gab sich als verständnisvoller Freund aus, stieß seine Chat-Partnerinnen aber immer wieder auf die Möglichkeit eines "schnellen, schmerzlosen Selbstmords". Eine sexuelle Komponente gab es dabei immer: Die Auswertung von Chatprotokollen ergab, dass er die Frauen danach fragte, ob sie den Suizid in Unterwäsche oder nackt begehen würden. In einem Fall ging sein Plan auf: Eine junge Frau aus Bremen erhängte sich auf seine Aufforderung hin; "Heimu" war per Skype-Chat live dabei.
Bei der Tat aber, wegen der das LG Gießen ihn schließlich verurteilte, wollte er mehr als nur dabei sein. Eine 23-jährige Leipzigerin beabsichtigte er im Wald zu töten, die beiden planten, dass er sie zu einer “Hinrichtung am Galgen“ führen würde. Dazu kam es nicht: Die beiden trafen sich zwar, aber die Polizei nahm den knapp 60-Jährigen fest, kurz nachdem er die labile junge Frau in Gießen in Empfang genommen hatte. Am Mittwoch hat der BGH die Entscheidung des LG Gießen bestätigt (Urt. v. 04.07.2018, Az. 2 StR 245/17): Sieben Jahre Haft - ohne eine Tat oder auch nur den Versuch dazu.
"Sie hatten ernsthaft vor, die Zeugin zu töten"
Laut dem Gießener Anzeiger sagte die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer des LG Gießen: "Sie hatten ernsthaft vor, die Zeugin zu töten". Das juristische Problem liegt auf der Hand: Ein Vorhaben ist noch nicht strafbar, irgendeine Handlung, die auch nur das Versuchsstadium erreicht hätte, hatte nicht stattgefunden.
Auch die Leipzigerin hatte der Mann im Netz kennengelernt. Aus den Unterhaltungen mit ihr in einem Forum wusste er, dass sie in stationärer psychiatrischer Behandlung und nicht dazu in der Lage war, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Aber er destabilisierte sie weiter; suggerierte ihr, sie könne schmerzlos sterben, wenn er sie erhänge. Zuvor werde er sie, so der Plan, fesseln, damit sie sich nicht mehr umentscheiden könne und er die Bestimmungsgewalt über den Tötungsakt habe.
Die damals 23-Jährige war suizidgefährdet, sie litt unter einer Persönlichkeitsstörung sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung. Aber sie wollte ihrem Tod einen Sinn geben: Sie hatte von einem Mann gelesen, der Frauen in den Suizid trieb. Weil sie – zu Recht – davon ausging, dass es sich bei ihrer Internetbekanntschaft um diesen Mann handelte, verabredete sie sich mit ihm und hoffte, so andere Frauen zu retten.
Sie fuhr nach Gießen und gab ihm Bescheid, dass sie unterwegs sei; der Angeklagte holte sie ab und begrüßte sie. Dann wurde er von der zwischenzeitlich informierten Polizei festgenommen. In seinem Auto fanden die Beamten Abschleppseile zum Erhängen und Kabelbinder zum Fesseln des Opfers.
Keine Strafe ohne Versuch
Letztlich verurteilte das LG Gießen den Mann, der in erster Instanz keinen Antrag gestellt und sein Recht auf das letzte Wort nicht genutzt hatte, wegen Sich-Bereiterklärens zu einem Mord (§ 30 Abs. 2. 2 Alt. Strafgesetzbuch (StGB) zur Befriedigung des Geschlechtstriebs zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren.
Anders als im Fall der Bremerin, die sich vor seinen Augen, aber in seiner physischen Abwesenheit das Leben nahm, wollte der Angeklagte in diesem Fall laut Gießener Gericht derjenige sein, der die Tat beging. Er wollte die Tatherrschaft, seinem Opfer jede Möglichkeit nehmen, es sich in letzter Sekunde anders zu überlegen. Der Tod der Leipzigerin sollte seine Tötung sein, nicht ihre Selbsttötung. Das Mordmerkmal der Befriedigung des Geschlechtstriebs war unzweifelhaft erfüllt. Damit gab es ein Verbrechen, wie es das Sich-Bereiterklären nach § 30 Abs. 1 StGB voraussetzt.
Revision gegen die Verurteilung legte der Verteidiger des Angeklagten unter anderem ein, weil er die Voraussetzungen des § 30 StGB dennoch als nicht erfüllt ansah. Die Vorschrift dehnt die Strafbarkeit von Verbrechen nach der Rechtsprechung des BGH für gewisse konspirative Verhaltensweisen in das Vorfeld des Versuchs aus, wenn ein Täter ernsthaft entschlossen ist, seine Zusage gegenüber einem Dritten, ein konkretes Verbrechen zu begehen, einzuhalten und das versprochene Verbrechen in die Tat umzusetzen.
Zwar kommt die Vorschrift selten zur Anwendung, in der Literatur ist man sich einig über ihre restriktive Auslegung: Die Gedanken sind schließlich frei und wer nicht zu einer Tat ansetzt, macht sich nach deutschem Recht auch nicht strafbar. Einen strafbar bösen Willen gibt es nicht, das ist eine im deutschen Rechtsverständnis tief verwurzelte Grundüberzeugung.
Außer man hat es einem Dritten versprochen
Anders sieht es aber im Kontext von Gruppendynamik aus. Der Regelungszweck von § 30 StGB wird gerechtfertigt mit der Gefährlichkeit von Verhaltensweisen, mit denen mehrere Personen sich absprechen, Straftaten zu begehen. Das Argument: Solche Verabredungen schaffen grupppendynamische Bindungen in Richtung Realisierung der Tat – wer anderen versprochen hat, ein Verbrechen zu begehen, ist an der Begehung schon viel näher dran als derjenige, der sich im stillen Kämmerlein vorstellt, wie es wohl sein könnte.
Ist dieser Regelungszweck aber auch einschlägig, wenn der andere Mensch, derjenige, demgegenüber der Beschuldigte sich bereit erklärt, das Verbrechen zu begehen, das zukünftige Opfer ist? Das LG Gießen wie auch der BGH beantworten diese Frage ganz eindeutig mit einem klaren Ja.
Der 2. Strafsenat hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil am Mittwoch verworfen, die Entscheidung des LG Gießen ist damit rechtskräftig. "Dabei hat der Senat betont, dass Wortlaut und Zweck des § 30 Abs. 2, 1. Alt. StGB auch das Sich-Bereit-Erklären gegenüber dem potentiellen Opfer umfassen". Diesem Verständnis der Norm stünden weder die Systematik des Gesetzes noch die Gesetzgebungsgeschichte entgegen, heißt es in der knappen Mitteilung des BGH. Ohne die Urteilsgründe ist da nicht mehr heraus zu lesen, für Nachfragen war beim BGH am Mittwoch niemand mehr erreichbar.
Auch das künftige Opfer kann, gerade wenn es sterben will, im Täter das Gefühl verstärken, sein gegebenes Versprechen einlösen zu müssen. Abstellend auf die erhöhte Gefahr der Tatumsetzung wegen der gruppendynamischen Bindung wäre es geradezu inkonsequent vom BGH gewesen, § 30 StGB auf diesen Fall nicht anzuwenden – auch wenn dieser Grenzfall menschlicher Existenz sicherlich nicht die Konstellation war, die der Gesetzgeber seinerzeit vor Augen hatte.
Vielleicht enthalten die Urteilsgründe auf dogmatischer Ebene mehr Auseinandersetzung mit § 30 StGB, seiner schwachen Legitimationsbasis und der Notwendigkeit der Restriktion in der Anwendung. Aber vielleicht ist es auch einer dieser Grenzfälle, in denen auch so mancher Dogmatiker über ein leichtes Unwohlsein hinweg sehen kann, weil ein anderes Ergebnis schlicht undenkbar gewesen wäre.
Pia Lorenz, BGH bestätigt Sich-Bereiterklären zum Mord: . In: Legal Tribune Online, 04.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29561 (abgerufen am: 04.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag