BFH zur Höhe von Zinsen: Im Steu­er­recht gibt es keine Nie­d­rig­zins­phase

Gastkommentar von Prof. Dr. Dennis Klein

02.03.2018

Forderungen von sechs Prozent Zinsen für Steuernachzahlungen sind auch in einer Niedrigzinsphase verfassungskonform, urteilt der BFH. Dennis Klein überzeugt die Entscheidung nicht.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer lange erwarteten Entscheidung den seit Jahrzehnten bestehenden steuerlichen Zinssatz von sechs Prozent pro Jahr bestätigt (Urt. v. 09.11.2017, Az. III R 10/16). Das höchste deutsche Finanzgericht sieht in den sechs Prozent Zinsen weder einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz noch gegen die Verhältnismäßigkeit - sehr zur Überraschung vieler Beobachter. Denn angesichts der seit Jahren bestehenden Niedrigzinsphase scheint das Festhalten an diesem Zinssatz weit entfernt von der Realität.

Die Verzinsung dient der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Während der Entstehungszeitpunkt von Steuern für alle Steuerpflichtigen gleich ist, unterscheiden sich die Fälligkeitszeitpunkte mitunter erheblich. Bis zur endgültigen Festsetzung von Steuern können in Einzelfällen Jahre vergehen. Die Ursachen sind vielfältig. Sie liegen zum Teil bei den Steuerpflichtigen selbst, die etwa ihre Steuererklärungen erst verzögert abgeben. Oder die Finanzverwaltung kommt wegen Personalengpässen mit der zeitnahen Steuerveranlagung nicht hinterher. Manchmal ziehen sich Rechtsbehelfsverfahren über Monate oder Jahre hin oder Betriebsprüfungen führen rückwirkend nach etlichen Jahren zur rückwirkenden (geänderten) Steuerfestsetzung.

In all diesen Fällen soll die Verzinsung die sich hierdurch ergebenden Vor- oder Nachteile ausgleichen. Es soll grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob ein Steuerpflichtiger die Steuernachzahlung früh oder spät erbringt. Wer einen Steuerbescheid erst Jahre nach der Steuerentstehung erhält, konnte den Nachzahlungsbetrag in der Zwischenzeit gewinnbringend anlegen. Diesen Liquiditätsvorteil soll die Verzinsung ausgleichen. Dies gilt im Übrigen genauso umgekehrt, wenn der Fiskus also im Nachhinein eine Steuererstattung zu leisten hat.

Sechs Prozent nicht realitätsgerecht

Prinzipiell ist gegen dieses Prinzip nichts einzuwenden. Problematisch ist aber die Höhe der Zinsen. § 238 der Abgabenordnung (AO) sieht nämlich für jeden vollen Monat 0,5 Prozent Zinsen vor. Auf das Jahr bezogen macht dies 6 Prozent Zinsen aus. Angesichts der seit Jahren zu beobachtenden Niedrigzinsphase stellt sich die Frage, ob diese Verzinsung noch realitätsgerecht ist. Sinn und Zweck der Verzinsung ist eben nur der Ausgleich von Vor- und Nachteilen der zwischenzeitlichen gewinnbringenden Kapitalanlage. Wenn indes in der fraglichen Zeit am Markt gar keine entsprechenden Renditen zu erzielen sind, gibt es eigentlich gar keine auszugleichenden Vorteile, jedenfalls nicht in der Höhe.

Die Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen dient auch nicht der Sanktionierung, wie dies etwa die zivilrechtlichen Verzugszinsen bei verspäteter Zahlung (mit)bezwecken. Für derartige Verzögerungen sieht das Steuerrecht gesonderte Instrumente vor, etwa den Verspätungszuschlag für verspätete Steuererklärungen oder Säumniszuschläge für verspätete Steuerzahlungen. 

Der pauschale steuerliche Zinssatz von sechs jährlich gilt unverändert seit 1961. Lange Zeit stieß sich niemand daran, weil auch an den Märkten vergleichbare Zinsen zu beobachten waren. Seit der Finanzkrise und der Niedrigzinsphase hat sich dies aber geändert. Die Entscheidung des BFH betraf einen Streitfall aus dem Jahr 2013. Zur Überraschung und Enttäuschung vieler Beobachter hat das höchste deutsche Finanzgericht keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das gesetzliche Zinsniveau. Es liege weder ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor noch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Vielmehr bewege sich der Gesetzgeber mit dem typisierten Zinssatz noch im Rahmen seiner Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis.

BFH macht es sich zu einfach

Zur Begründung zieht der BFH auch den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom März 2014 für den Zinszeitraum 2013 heran. Für verschiedene kurz- und langfristige Einlagen und Kredite listet dieser Monatsbericht diverse Spannbreiten von Zinssatzhöhen auf. Aus diesen Daten ergibt sich eine Bandbreite von 0,15 bis 14,70 Prozent pro Jahr. Die Schlussfolgerung des BFH: Sechs Zinsen liegen innerhalb dieser Bandbreite, daher sei alles in Ordnung.

Mit dieser Feststellung macht es sich der BFH freilich zu einfach. Das fängt schon damit an, dass 14,70 Prozent ein extremer Ausreißer nach oben ist, nämlich für Kreditkartenkredite an private Haushalte. Andere Einlagen oder Kreditformen liefern ein ganz anderes Bild, dort liegen die Spannbreiten eher zwischen 0,15 und 1,8 Prozent pro Jahr für Einlagen oder 2 bis 8 Prozent für Konsumentenkredite. Wer sich nur an den Extremrändern orientiert, wird immer irgendwelche Ausreißer finden. Überspitzt gesagt ließe sich so jegliche Willkürentscheidung des Gesetzgebers rechtfertigen.

Eine realitätsgerechte Typisierung und Pauschalierung sollte stattdessen auch berücksichtigen, wie sich die zu beobachtenden Zinssätze pro Kopf und vom Volumen her tatsächlich verteilen. Wie hoch ist der gewichtete, durchschnittlich zu beobachtende Zinssatz? Nur dieser liefert ein einigermaßen belastbares realitätsgerechtes Bild davon, welche Zinsen tatsächlich erzielt werden. Auch die Monatsberichte der Deutschen Bundesbank liefern hierfür Anhaltspunkte. Aber die Mühe einer gewissen empirischen Untermauerung macht sich der BFH nicht.

Fiskus nimmt viel mehr ein als er ausgibt

Der gleiche Vorwurf ist im Übrigen auch dem Gesetzgeber selbst zu machen. Als er 1961 den nach wie vor geltenden Zinssatz von 6 Prozent jährlich festlegte, verlor er kein Wort der Begründung darüber, wie er auf den Betrag gekommen ist. Zur Begründung reichte ihm der pauschale Verweis auf Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung. Insbesondere legte der Gesetzgeber Wert darauf, nicht den tatsächlichen Zinsvorteil der Steuerpflichtigen oder im Zeitverlauf schwankende Zinssätze berücksichtigen zu müssen. Denn solche Berechnungen würden die Finanzverwaltung überfordern.

Mittlerweile schreiben wir aber das Jahr 2018. Das Argument der Verwaltungsvereinfachung erscheint anachronistisch. Ganz so, als sei die Finanzverwaltung im Vor-EDV-Zeitalter des Jahres 1961 stehengeblieben. Bezugnahme auf den Basiszins und wechselnde Zinshöhen sind andernorts tägliches Geschäft, etwa bei zivilrechtlichen Verzugszinsen. Warum dies ausgerechnet im Steuerrecht nicht funktionieren sollte, wo es dort tagaus und tagein noch viel ausgeprägter um Rechenvorgänge geht, ist nicht nachvollziehbar.

Zur Rechtfertigung wird auch immer wieder angeführt, dass Steuerpflichtige in Erstattungsfällen umgekehrt von den hohen Zinssätzen profitieren würden. Einmal davon abgesehen, ob dies allein eine willkürliche Festlegung rechtfertigen kann, zeigt die Realität auch wieder ein anderes Bild. Tatsächlich nimmt der Fiskus nämlich durch Nachzahlungszinsen sehr viel mehr ein als er umgekehrt durch Erstattungszinsen aufwenden muss. Allein für die steuerlich wichtigen Betriebsprüfungen haben sich 2014 für den Staat 2,7 Milliarden Euro Einnahmen durch Nachzahlungszinsen ergeben. Wenig wunder, dass der Fiskus am status quo festhalten will.

BFH vertut Chance

Der BFH hat die Chance vertan, durch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht Bewegung in die Problematik zu bringen. Die Urteilsbegründung nimmt stur ausschließlich das Zinsniveau 2013 in den Blick. Formal ist dies wegen des Klagegegenstandes zwar korrekt. Von den sonst so gerne praktizierten obiter dicta aber kein Spur, kein Hinweis auf die grundsätzliche Behandlung oder Tendenzen für die weiteren Jahre. Denn immerhin hat sich die Niedrigzinsphase in den Folgejahren von 2014 bis heute verstetigt. Der aktuelle Monatsbericht der Deutschen Bundesbank von Februar 2018 weist gegenüber dem zitierten an vielen Stellen nochmals gesunkene Zinsspannbreiten aus.

Die entscheidende Frage ist, wie realitätsgerecht der Gesetzgeber bei Typisierungen und Pauschalierungen vorgehen muss. Sicherlich wird man nicht jeglichen individuellen Zinsvorteil im Einzelfall zum Maßstab machen müssen. Und selbstverständlich hat der Gesetzgeber einen gewissen Spielraum. Das ist aber kein Freibrief für Willkür. Bei Pauschalierungen und Typisierungen ist zumindest eine empirisch belegte Orientierung am Durchschnittsfall angezeigt. Zu starke Realitätsferne führt nämlich zur Zweckverfehlung der Verzinsung, die ja lediglich einen Vor- und Nachteilsausgleich schaffen soll.

Bedauerlich: Die wenig überzeugende BFH-Entscheidung klärt die Grundproblematik nicht. Für jedes nachfolgende Steuerjahr hat sich die Niedrigzinsphase verstetigt und damit die bestehenden Zweifel noch verstärkt. Daher ist es nur eine Frage der Zeit, bis neue Fälle die Gerichte erreichen. Einstweilen dürfte dem im konkreten Fall unterlegenen Steuerpflichtigen nur die Verfassungsbeschwerde bleiben. Parallel ist natürlich der Gesetzgeber aufgerufen, dessen Motivation freilich gering sein dürfte.

Der Autor Prof. Dr. Dennis Klein ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Rechnungslegung an der Leibniz-Fachhochschule in Hannover und zugleich Steuerberater, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in Toppenstedt bei Hamburg.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Dennis Klein, BFH zur Höhe von Zinsen: Im Steuerrecht gibt es keine Niedrigzinsphase . In: Legal Tribune Online, 02.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27315/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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