Viele geflüchtete Menschen erhalten künftig kaum mehr Bargeld. Angeblichen Pull-Faktoren und Geldüberweisungen in die Heimat soll so entgegengetreten werden. Matthias Eichfeld hat sich das (datenschutz-)rechtlich angeschaut.
In Hamburg wird seit Mitte Februar die sog. Bezahlkarte an Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ausgegeben. Parallel findet auf Bund-Länder-Ebene die Gestaltung eines bundesweiten Modells statt, das spätestens Ende 2024 umgesetzt werden soll. Die Idee der Einführung der Bezahlkarte ist es, angebliche Pull-Faktoren zu reduzieren, Zahlungen an Schlepper auszuschließen und Geldüberweisungen in die Heimatländer zu verhindern. Wegen der neuartigen technischen Möglichkeiten auf Seiten der Behörden stellen sich zahlreiche rechtliche Fragen, darunter solche des Datenschutzrechts.
Die Bezahlkarte ist eine guthabenbasierte Karte mit Debit-Funktion, die ohne Verknüpfung mit einem herkömmlichen Konto auskommt. Sie kann auf zwei Weisen eingesetzt werden: als physische Karte sowie per App-Einbindung über die Bezahlfunktion eines Smartphones. Überweisungen sind gänzlich ausgeschlossen.
Eingeführt werden soll die Karte ausschließlich für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG. Das sind in erster Linie Menschen, über deren Asylgesuch noch nicht entschieden wurde oder die eine Duldung besitzen, also aus anerkannten Gründen nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können. Menschen mit Asylberechtigung, anerkanntem Flüchtlingsstatus oder subsidiärem Schutz erhalten die Bezahlkarte hingegen (erst einmal) nicht. Für diese Personengruppe wird weiterhin ein Anspruch auf Sozialleistungen bestehen, der sich nach den Sozialgesetzbüchern richtet.
Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG bekommen bislang in weiten Teilen Geldleistungen zur existenzsichernden Bedarfsdeckung, siehe § 3 AsylbLG. Nur in Aufnahmeeinrichtungen untergebrachte Menschen erhalten einen Teil des Bedarfs zwingend als Sachleistungen, § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG. Diese Situation möchte der Gesetzgeber nun ändern und künftig möglichst viele Leistungen nach dem AsylbLG flächendeckend mittels einer Bezahlkarte erbringen, wie aus dem Papier der bundeseinheitlichen Mindeststandards hervorgeht.
Neben den politischen Zielen soll die Bezahlkarte vor allem die Ausländerbehörden entlasten: Mit der Digitalisierung des Auszahlungsprozesses entfallen monatliche Bargeldauszahlungen gegenüber den Leistungsberechtigten, die stets mit einer für beide Seiten zeitaufwändigen Legitimationsprüfung in der Ausländerbehörde verbunden sind.
Bargeldabhebungen in der Höhe beschränkt
Deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommt gegenwärtig allerdings ein anderer Aspekt: Je nach Festlegung des jeweiligen Bundeslandes können Bargeldabhebungen eingeschränkt werden. Das Hamburger Modell sieht hier einen Betrag von 50 Euro pro Monat vor, der je Kind um 10 Euro angehoben wird. Mit Blick auf die künftige bundesweite Umsetzung ist davon auszugehen, dass die meisten Länder wohl ähnliche Beträge ansetzen werden. Die daraus resultierenden praktischen Nachteile für Leistungsberechtigte liegen auf der Hand: Nicht alle Einzelhändler ermöglichen eine Kartenzahlung, teilweise sind Mindestumsätze erforderlich. Auch können zusätzliche Entgelte bei Verwendung der Karte anfallen. Nicht zuletzt ist der Erwerb gebrauchter und damit günstigerer Produkte nur insoweit denkbar, wie dafür Bargeld vorhanden ist. Problematisch ist ebenso, wie Leistungsberechtigte künftig Anwaltskosten begleichen sollen.
Losgelöst von der Bargeldbeschränkung bietet die Bezahlkarte der Verwaltung zudem eine ganze Reihe von weiteren neuartigen Handlungsoptionen. Dazu zählt die technische Möglichkeit, laufend Einsicht in den aktuellen Guthabenstand zu nehmen sowie eine sofortige Kartensperrung zu erwirken. Darüber hinaus lässt sich der Einsatzbereich der Karte einschränken. Dies kann mittels Bindung der Karte an ein ausgewähltes Postleitzahlengebiet oder auch durch den Ausschluss bestimmter Händlergruppen über sog. Merchant Category Codes erfolgen.
Bei der bereits umgesetzten Hamburger Bezahlkarte werden diese technischen Möglichkeiten gegenwärtig zwar nicht ausgeschöpft, sie stehen jedoch im o.g. Papier der bundeseinheitlichen Mindeststandards für die künftige Kartenlösung.
Datenschutz nur über Generalklausel
Der Einstieg in die rechtliche Auseinandersetzung soll hier über die Frage erfolgen, ob es eine Bezahlkarte datenschutzrechtlich überhaupt geben darf. Dabei wird zunächst einmal die Karte nur in ihrer Funktion als schlichtes Auszahlungsinstrument beleuchtet.
Das Datenschutzrecht findet hier Anwendung, weil die digitale Leistungsabwicklung im Wege der Bezahlkarte zwangsläufig mit einer automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten verbunden ist. Gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 6 Abs. 1 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bedarf es hierfür einer hinreichenden Rechtsgrundlage. Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) hilft hier nicht weiter, denn es enthält selbst keine derartige Regelung und bietet auch keine passende Verweisungsnorm an.
Aufgrund dieser Ausgangslage kommt allein ein Rückgriff auf die Generalklausel des jeweiligen Landesdatenschutzgesetzes in Betracht. In Hamburg ist das § 4 Hamburgisches Datenschutzgesetz (HmbDSG). Danach dürfen die zuständigen Behörden personenbezogene Daten verarbeiten, soweit dies zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Da es sich hierbei um einen Auffangtatbestand handelt, dürfen darauf nur solche Datenverarbeitungen gestützt werden, die keinen intensiven Eingriff in das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten darstellen. Die Regelung soll alltägliches Verwaltungshandeln, das zwangsläufig mit einer Verarbeitung von personenbezogenen Daten einhergeht, datenschutzrechtlich legitimieren.
Grundsätzlich ist die Ausschüttung von Leistungen nach dem AsylbLG ein solch alltägliches Verwaltungshandeln. Dass bei einer Bezahlkarte private Unternehmen für die notwendigen Bankleistungen eingebunden werden müssen, steht dem nicht entgegen. Denn es ist anerkannt, dass die Generalklausel auch für Datenübermittlungen an nicht-öffentliche Stellen fruchtbar gemacht werden kann. Vor diesem Hintergrund kann nicht festgestellt werden, dass eine Bezahlkarte per se wesentlich intensiver in das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten eingreift als die vormalig analoge Leistungserbringung. Der Weg über die Generalklausel ist daher grundsätzlich eröffnet.
Anwendungsbegrenzend ist aber zu beachten, dass die landesdatenschutzrechtliche Generalklausel eine enge Verzahnung mit der konkreten staatlichen Aufgabenerfüllung verlangt. Nur die zur Aufgabenerfüllung zwingend erforderlichen Datenverarbeitungen werden abgedeckt. Es kommt für die datenschutzrechtliche Bewertung somit entscheidend darauf an, inwieweit sich eine Bezahlkarte in die nach dem AsylbLG vorgesehenen behördlichen Aufgaben einfügt.
Im AsylbLG wird den Ausländerbehörden oftmals ein weitgehendes Ermessen hinsichtlich der Art und Weise der Leistungen eingeräumt. Soweit dabei Geldleistungen und unbare Abrechnungen als mögliche Formen genannt werden, ergibt sich ein Raum für eine Kartenlösung. Wenn also zur schlichten Leistungserbringung mittels Bezahlkarte personenbezogene Daten verarbeitet werden müssen, ist es vertretbar, dies auf die Generalklauseln der Landesdatenschutzgesetze zu stützen.
Guthabenstand, Kartensperrung, Rückforderung
Als rechtlich brisanter erweisen sich dagegen die oben aufgezeigten Überwachungs- und Steuerungspotentiale der Karte, die zum Teil deutlich über die bisherigen Handlungsmöglichkeiten der Verwaltung im Rahmen der analogen Leistungserbringung hinausgehen. Es gilt dabei zu differenzieren:
Die behördliche Möglichkeit zur Einsichtnahme in den Guthabenstand stellt offenkundig einen intensiven Eingriff in das Recht auf Schutz personenbezogener Daten dar, der über die bloße Aufgabenerfüllung nach dem AsylbLG hinausgeht. Schon deswegen kann hier nicht auf die Generalklausel des Landesdatenschutzrechts zurückgegriffen werden. Es bedürfte einer hinreichend spezifischen und insgesamt verhältnismäßigen Rechtsgrundlage, wobei auch begrenzende technisch-organisatorische Maßnahmen einbezogen werden müssten. Der im o.g. Papier über die einheitlichen Mindeststandards enthaltene Hinweis auf Fälle der Guthabenübertragung kann daher allenfalls einen ersten Ansatz darstellen. Insgesamt bestehen hier tiefgreifende verfassungsrechtliche Bedenken, an denen eine solche Regelung zu messen wäre.
Im Hinblick auf den Aspekt der direkten Kartensperrung ist zu fragen, ob mit dem AsylbLG eine derartige behördliche Befugnis überhaupt begründet werden kann. Die Antwort hängt davon ab, ob man die Bezahlkarte als Geldleistung oder unbare Abrechnung begreift. Durch eine Einstufung als unbare Abrechnung könnte der Auszahlungszeitpunkt denkbar weit nach hinten verlagert werden, nämlich auf den Moment des tatsächlichen Guthabenabrufs durch Leistungsberechtigte, also den Bezahlvorgang an der Kasse. Damit würde sich die Verwaltung bis zur konkreten Verwendung des Geldes den direkten Zugriff vorbehalten, ein Rückforderungsbescheid wäre überflüssig. Es verwundert nicht, dass der Gesetzgeber diese Lösung laut Darstellung in den bundeseinheitlichen Mindeststandards in Gesetzesform gießen möchte.
Selbst wenn man mit dieser Vorgehensweise eine Befugnis zur Kartensperrung konstruieren könnte, verbleiben doch auf der Ebene des Datenschutzrechts erhebliche Zweifel, ob angesichts der zusätzlichen Datenverarbeitungen die Generalklausel als Rechtsgrundlage genügt.
Regionale Begrenzung der Bezahlkarte möglich
Hinsichtlich der Einsatzbeschränkungen der Karte ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber diese allein mit dem im AsylbLG angelegten Ermessen abzubilden gedenkt. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die angesprochene Postleitzahlbindung der Karte an der räumlichen Beschränkung der jeweiligen Aufenthaltsgestattung der Leistungsberechtigten orientieren wird (§ 56 AsylG/§ 61 AufenthaltsG). Im Rahmen dieser sog. Residenzpflicht müssen unter die Vorschriften fallende Personen sich im Bezirk der ihnen zugewiesenen Ausländerbehörde aufhalten, andernfalls drohen strafrechtliche Sanktionen.
Darin liegt keine Verletzung von Art. 11 Grundgesetz (GG), weil dieser nur für deutsche Staatsangehörige gilt. Allerdings wird ausländischen natürlichen Personen Freizügigkeitsschutz nach dem Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG gewährt. Ob eine Postleitzahlbindung der Karte hiergegen eindeutig verstößt, erscheint dennoch fraglich: Soweit Leistungsberechtigte ohnehin aufgrund migrationsrechtlicher Bestimmungen zum Aufenthalt in bestimmten Bezirken verpflichtet sind, resultiert aus der mittelbar wirkenden Begrenzung der Bezahlkarte wohl nicht zwangsläufig ein überbordender Einschnitt. Gleichwohl muss die Bezahlkarte in der geplanten Ausgestaltung als einschneidendes Disziplinierungsinstrument bewertet werden, das unverhohlen darauf abzielt, den eigenen Entscheidungsspielraum von Leistungsberechtigten drastisch zu reduzieren. Ob mit Blick auf die Menschenwürde die verfassungsrechtlichen Untergrenzen dabei nicht längst erreicht sind, sollte dringend breiter erörtert werden.
Der Autor Dr. Matthias Eichfeld ist Referent beim Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Der Beitrag wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst und gibt ausschließlich persönliche Auffassungen des Autors wieder.
Bezahlkarte für Geflüchtete: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53989 (abgerufen am: 02.10.2024 )
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