Die Berliner Verwaltung fährt eine harte Linie gegen religiöse Symbole. In einer mit Spannung erwarteten Entscheidung über die Einstellung einer muslimischen Rechtsreferendarin hat das Bezirksamt Neukölln nun eine salomonische Lösung gewählt.
Wohl nie zuvor hat eine Personalentscheidung des Bezirksamts Neukölln so viel Aufmerksamkeit erregt wie diese. Die muslimische Rechtsreferendarin Betül Ulusoy darf ihre Verwaltungsstation dort mit Kopftuch antreten, erklärte das Amt am Dienstag auf seine Webseite. Allerdings darf sie dort nur solche Aufgaben wahrnehmen, bei denen sie den Bürgern nicht in hoheitlicher Funktion gegenübertritt. Dadurch werde eine angemessene Balance zwischen der individuellen Religionsfreiheit und der staatlichen Verpflichtung zu religiös-weltanschaulicher Neutralität gewahrt. Der Entscheidung war eine intensive mediale Berichterstattung vorangegangen, die eine vollständige Ablehnung Ulusoys unweigerlich dem öffentlichen Aufschrei preisgegeben hätte.
Eine knappe Woche zuvor hatte die Berliner Referendarin auf Facebook und Twitter gepostet, dass das Bezirksamt Neukölln ihre telefonisch bereits zugesagte Einstellung für die Verwaltungsstation nach ihrem persönlichen Erscheinen erneut überprüfen wolle, da man eine "ganz klare Linie" im Umgang mit religiösen Symbolen habe und aus diesem Grund in der Vergangenheit sogar schon bloße Praktikanten abgelehnt worden seien. Falls "morgen die Linie des Bezirksamts Neukölln immer noch ganz klar" sei, dürften befreundete Journalisten sich sehr gern bei ihr melden, schrieb Ulusoy.
Das taten sie wohl – und noch bevor das Bezirksamt seine Prüfung abgeschlossen hatte, widmeten große Medien wie der Tagesspiegel oder die Zeit dem Vorgang seitenfüllende Artikel. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn im Falle Ulusoys prallen gesetzlich verordneter Laizismus und selbstbewusst zur Schau gestellte Religiosität in geradezu idealtypischer, und allemal publikumswirksamer Weise aufeinander.
Laizismus kontra Religionsfreiheit
Hier das Berliner Neutralitätsgesetz, das strengste in ganz Deutschland, das nicht nur Lehrern, sondern auch "Beamtinnen und Beamten, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei beschäftigt sind" das Tragen sichtbarer religiöser Symbole verbietet, dort eine junge Muslima, die das Kopftuch als Zeichen der Emanzipation begreift und sich nicht erst seit letzter Woche öffentlich und meinungsstark zum Platz des Islam in Deutschland äußert.
Das Berliner Gesetz wurde 2005 verabschiedet – zwei Jahre, nachdem das Bundesverfassungsgericht ein Kopftuchverbot für Lehrkräfte in das Ermessen der Länder gestellt hatte (Urt. v. 24.09.2003, Az. 2 BvR 1436/02). Zwar sieht es in § 4 vor, dass für "Beamtinnen und Beamte im Vorbereitungsdienst und andere in der Ausbildung befindliche Personen" Ausnahmen gemacht werden können. Solche nimmt Berlin aber typischerweise nur für Lehramtsreferendarinnen vor.
Für Rechtsreferendare hat das Berliner Kammergericht bislang vertreten, dass das Tragen religiöser Symbole nur insoweit gestattet sei, als die Referendare den Bürgern nicht in Ausübung staatlicher Funktion gegenübertreten. Problematisch wird dies zumeist bei den gerichtlichen Sitzungsvertretungen, die eigentlich zur Station bei der Staatsanwaltschaft gehören. Wer sein Kopftuch oder sonstige religiöse Gewandung dafür nicht ablegen will, kann beim Kammergericht eine Befreiung vom Sitzungsdienst beantragen. Diese werde jährlich auch für etwa zwei Frauen erteilt, so das Gericht in einer Auskunft von vergangenem Jahr.
Sind die Tage des Neutralitätsgesetzes gezählt?
Angesichts der rigiden und medial vielfach – auch bereits auf der LTO – thematisierten Berliner Praxis, kann es für Ulusoy kaum eine Überraschung gewesen sein, dass ihre zunächst erteilte Zusage nach ihrem persönlichen Erscheinen beim Bezirksamt ins Wanken geriet. Ob sie es sogar darauf angelegt hat, ist nicht bekannt, für ein Gespräch war sie seit Montagmittag nicht zu erreichen.
Der Zeitpunkt jedenfalls ist denkbar treffend gewählt: Erst vor wenigen Monaten hat das Bundesverfassungsgericht seine 2003 ergangene Entscheidung gekippt und ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen für verfassungswidrig erklärt (Beschl. v. 27.01.2015, Az. 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10). Danach soll nun stets im Einzelfall zu prüfen sein, ob durch die religiöse Kleidung eine Gefahr für den Schulfrieden entsteht.
Eine salomonische Lösung
Ob das Berliner Neutralitätsgesetz, das Kritiker bereits zuvor als zu absolut und undifferenziert bezeichnet hatten, im Lichte dieser neuen Entscheidung noch haltbar sein wird, ist alles andere als sicher. Das Land Berlin "prüft" derzeit – und offenbar seit bald drei Monaten – ob und welche Änderungen des Gesetzes bzw. seiner praktischen Anwendung infolge der neuen Rechtsprechungslinie notwendig werden.
Als eine Vorabentscheidung dieser Frage kann man die Entscheidung des Bezirksamtes allerdings kaum bezeichnen, denn sie setzt letztlich nur jenen Kompromiss um, der bereits bislang für Rechtsreferendare galt. Bis auf Weiteres werden die Berliner Behörden zwar möglicherweise nach Innen hinten hin offener mit religiösen Bekenntnissen umgehen - aber nicht nach Außen.
Constantin Baron van Lijnden, Das Berliner Neutralitätsgesetz und die Religionsfreiheit: . In: Legal Tribune Online, 09.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15781 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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