BVerfG entscheidet zu Polizeikosten bei Fußballspielen: Müssen Pri­vate für staat­liche Gefah­ren­ab­wehr zahlen?

von Dr. Gerrit Müller-Eiselt

10.01.2025

Muss sich die DFL als Veranstalter an den Kosten für Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen beteiligen? Wenn das BVerfG am 14. Januar sein Urteil verkündet, geht es mehr als nur um Fußball und ein Landesgesetz, meint Gerrit Müller-Eiselt.

Seit nunmehr über zehn Jahren will die Freie Hansestadt Bremen eine Gebühr von Veranstaltern einer gewinnorientierten Veranstaltung mit mehr als 5.000 Teilnehmern erheben, wenn "wegen erfahrungsgemäß zu erwartender Gewalthandlungen vor, während oder nach der Veranstaltung am Veranstaltungsort, an den Zugangs- oder Abgangswegen oder sonst im räumlichen Umfeld der Einsatz von zusätzlichen Polizeikräften vorhersehbar erforderlich wird". Der Höhe nach ist die Gebühr "nach dem Mehraufwand zu bemessen, der aufgrund der zusätzlichen Bereitstellung von Polizeikräften entsteht". Über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des § 4 Abs. 4 Bremisches Gebühren- und Beitragsgesetz wird seitdem erbittert vor Gericht gestritten.  

Als Musterverfahren dient eine Begegnung des SV Werder Bremen gegen den Hamburger SV aus dem Jahr 2015: Die Stadt Bremen sandte einen Gebührenbescheid in Höhe von zunächst circa 425.000 Euro an die Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL) als "Veranstalterin" des Spiels im Sinne der Gebührennorm – nicht etwa an den Heimverein Werder Bremen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) befand im März 2019, dass der Gebührenbescheid dem Grunde nach rechtmäßig sei, bemängelte aber in manchen Einzelheiten die Berechnung der Gebührenhöhe. Den daraufhin geänderten Bescheid in reduzierter Höhe von zuletzt ca. 385.000 Euro sah das BVerwG schließlich Ende 2021 als im Einklang mit Bundesrecht. Hierzu obliegt dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nunmehr das letzte Wort.  

Populäre Forderung: "Den reichen Fußball zur Kasse bitten"

Ginge es nach der öffentlichen Meinung, wäre das Ergebnis eindeutig: der "reiche Fußball" solle für Polizeieinsätze bei Fußballspielen stärker zur Kasse gebeten werden. Die Forderung ist gewiss populär, womöglich gar ein Wahlkampfschlager. Übersehen wird allerdings, dass vorliegend die Grundlagen der Finanzierung unserer Sicherheitsarchitektur zur Disposition stehen.  

Im Ausgangspunkt sind zwei Aspekte wichtig: Erstens geht es bei der Bremer Gebühr nicht nur um Kosten für unmittelbaren Veranstaltungsschutz im Stadion oder an den Zufahrtswegen. Es geht vor allem um Kosten für allgemeine Gefahrenabwehr im öffentlichen Raum: An Bahnhöfen, in Innenstädten, bisweilen lange vor und nach dem Spiel.

Zweitens geschehen die Gewalttätigkeiten überwiegend nicht auf Grund des Fußballspiels oder auf Grund der beteiligten Vereine. Das Spiel ist ein bloßer, manchmal sogar ein beliebiger Anlass für gewaltaffine Gruppen, mal "ordentlich Dampf abzulassen".  

Bremer Gebühr als Ausreißer unserer Sicherheitsarchitektur

Wenn man diese beiden Aspekte zusammenführt, sieht man, dass die Bremer Gebühr in unserer Sicherheitsarchitektur ein Ausreißer ist. Nach der Finanzverfassung gilt das Steuerstaatsprinzip: Steuern als primäre Einnahmequelle des Staates werden voraussetzungslos von jedermann erhoben, der den Tatbestand eines Steuergesetzes erfüllt. Der Staat hat zur Finanzierung seiner Aufgaben ein Steuererfindungsrecht.  

Jede andere Form der Abgabe bedarf dagegen einer besonderen Rechtfertigung. Diese liegt bei einer Gebühr darin, dass der Gebührenschuldner eine besondere öffentliche Leistung in Anspruch nimmt, die ihm individuell zurechenbar ist, sei es, weil er diese veranlasst hat oder weil er besonders und in Abgrenzung zur Allgemeinheit von ihr profitiert. Demnach wird Gefahrenabwehr für die Allgemeinheit grundsätzlich auch durch die Allgemeinheit finanziert, also über Steuern.  

Vorliegend aber wird im Wege einer Gebühr die DFL als Nichtstörer in Anspruch genommen. Der Ligaverband tut nichts weiter, als ein Fußballspiel zu veranstalten. Damit steht eine grundsätzliche Frage zur Entscheidung an: Inwieweit kann Gefahrenabwehr gebührenfähig zu Lasten einer Person sein, die schlicht nur ihre Grundrechte ausübt?

Wirtschaftlicher Sondervorteil durch Risikominimierung?

Das BVerwG hat diese Frage mit Blick auf die Bremer Gebühr bejaht. Der Veranstalter eines Fußballspiels habe die Gewalt zwar nicht veranlasst und hafte daher nicht als sogenannter Zweckveranlasser. Gleichwohl profitiere er in besonderer Weise von der Gewährleistung der Sicherheit und erlange insofern nicht nur einen ideellen, sondern auch einen wirtschaftlichen Sondervorteil, der über eine Gebühr abschöpfungsfähig sei.  

Die Begründung, die das BVerwG für diese Behauptung liefert, ist allerdings denkbar dünn und beruht im Wesentlichen auf einer nicht näher belegten Hypothese: Der Veranstalter ziehe aus der zusätzlichen Polizeipräsenz einen Sicherheitsvorteil durch Risikominimierung, weil sein wirtschaftlicher Erfolg auch auf der Sicherheit der Veranstaltung beruhe. Soweit Gewalthandlungen im Zusammenhang mit Fußballspielen zu Schäden an der Gesundheit oder am Eigentum Dritter führen, fielen diese "letztlich auf den Veranstalter zurück und würden sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabsetzen".  

Das Argument des Sicherheitsgewinns durch Risikominimierung leuchtet ein, soweit es um den unmittelbaren Veranstaltungsschutz in Stadion und auf den An- und Abfahrtswegen geht. Wäre insofern die Sicherheit nicht gewährleistet, könnten tatsächlich Zuschauer abgeschreckt sein und vom Besuch des Spiels Abstand nehmen.  

Randale in der Innenstadt dem Veranstalter zurechnen?    

Werden allerdings weit vor oder nach dem Spiel etwa in den Innenstädten Ausschreitungen verhindert, hat dies mit der Gewährleistung der Sicherheit des Spiels selbst und seiner Zuschauer nichts mehr zu tun. Die Bremer Gebühr bezieht sich indes nicht nur auf den Veranstaltungsschutz. Im Normtext wird zwar auf das "räumliche Umfeld" der Veranstaltung Bezug genommen.  

Erfasst sind nach dem Willen des Normgebers und der die Bundesgerichte bindenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bremen allerdings sämtliche Örtlichkeiten im Bereich der Stadtgemeinden, an denen erfahrungsgemäß im Zusammenhang mit der Veranstaltung Gewalthandlungen zu erwarten sind. Die Gebühr bezieht sich also nicht nur auf das unmittelbare Umfeld des Stadions und damit auf den Geltungsbereich des Hausrechts der Vereine, in dem polizeiliche Gefahrenabwehr Verkehrssicherungspflichten zumindest teilweise substituiert und den Vereinen insoweit tatsächlich einen Sondervorteil verschafft.  

Schließlich ist auch die These des BVerwG, die Gewalthandlungen würden das Ansehen des Veranstalters in der Öffentlichkeit herabsetzen, nicht belegt. Sie klingt ebenfalls nur schlüssig, soweit es um Gefahrenabwehr im Stadion selbst geht. Außerhalb des Stadions mangelt es den Veranstaltern schlicht an Befugnissen. Werden gewalttätige Auseinandersetzungen etwa in den Innenstädten nicht verhindert und kommt es zu Schädigungen, gar zu Toten, wird sich nicht der Fußballfunktionär, sondern der Polizeipräsident oder gar der Innenminister der Öffentlichkeit erklären müssen.  

Ein gefährlicher Dammbruch?

Die Bremer Gebühr beschränkt sich wie gesehen nicht auf eine Kostenbeteiligung des Veranstalters für Polizeieinsätze zum Veranstaltungsschutz. Nachvollziehbar ist das, denn eine solche Gebühr wäre zwar rechtlich weniger problematisch, aber eben auch deutlich weniger lukrativ.  Diese fehlende Selbstbeschränkung nimmt aber in Kauf, dass die grundsätzliche Frage der Finanzierung von Sicherheit berührt wird.  

Öffnet die Bremer Gebühr Tür und Tor für die Kostenpflichtigkeit der polizeilichen Tätigkeit als solcher? Das BVerwG sieht diese Implikationen durchaus, meint allerdings, dass die Dammbruchkritik die begrenzenden Wirkungen der Gewährleistungen des Verfassungsrechts, der Grundrechte und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterschätze.  

Werden Weihnachtsmarkt-Betreiber als nächstes zur Kasse gebeten?  

Mir scheint das Gericht an dieser Stelle allzu optimistisch. Es unterschätzt wohl auch den Einfallsreichtum des Normgebers bei der Generierung von Einnahmequellen in Zeiten knapper Haushalte. Bejaht man die grundsätzliche Frage, ob Gefahrenabwehr gebührenfähig zu Lasten einer Person sein kann, die schlicht nur ihre Grundrechte ausübt, wird bald der Betreiber eines profitorientierten Weihnachtsmarktes für die leider ja notwendige Polizeipräsenz einen Preis zahlen müssen.  

Man wird diskutieren, ob die zusätzlichen Kosten für die Bestreifung einer besonders einbruchsgefährdeten Wohnsiedlung zumindest auf die gewinnorientierten – also vermietenden – Anrainer umgelegt werden können. Und schließlich steht bei sich ändernden politischen Mehrheiten in einem Bundesland die Frage im Raum, ob auch eine Versammlung oder gar eine Synagoge für den Polizeischutz eine Gebühr zu entrichten hat.  

Gewiss, bei letzteren Beispielen fehlt es an der Gewinnerzielungsabsicht des möglichen Gebührenschuldners. Das Merkmal der Profitorientierung ist allerdings ohnehin für eine Gebühr wesensfremd. Gewinn wird nach unserer Finanzverfassung besteuert. Der Weg, bei der nächsten Gebühr für übermäßige Inanspruchnahme der Sicherheitsorgane durch einen Nichtstörer auf das Merkmal der Gewinnorientierung zu verzichten, wäre daher nicht allzu weit.  

Spannend wird vor diesem Hintergrund nicht nur das Ergebnis der Entscheidung des BVerfG, sondern auch, ob und gegebenenfalls welche grundsätzlichen Schranken das Gericht für die Finanzierung von Sicherheit über Gebühren zieht.

"Gläserne Einsatztaktik" jedenfalls kein Sicherheitsgewinn

Gewiss ist jedenfalls, dass nicht zur Entscheidung ansteht, auf welche Weise Polizei und Vereine Gefahren bestmöglich vorbeugen und Präventionsarbeit effektivieren können. Es geht alleine darum, wer für die bereits abgewehrten Gefahren zu bezahlen hat. Nicht einmal die Befürworter der Regelung dürften daher behaupten, dass die Sicherheitslage durch die Bremer Gebühr verbessert oder gar die Einsatzstunden der Beamtinnen und Beamten der Polizei reduziert werden.  

Zu befürchten wäre bei einer flächendeckenden Umsetzung der Gebühr eher sogar das Gegenteil. In jedem Einzelfall müsste aus Verhältnismäßigkeitsgründen aufgeschlüsselt werden, welche konkrete Einsatzstunde und welches konkrete Einsatzmittel aufgrund welcher konkreten Lageprognose konkret erforderlich gewesen ist. Die Kosten, die der Hoheitsträger bereits durch Inanspruchnahme der individuellen Störer regressieren kann, müssten abgezogen werden, nachdem das BVerwG in seiner ersten Entscheidung die Möglichkeit einer Doppelabrechnung derselben Leistung beanstandet hatte und der Rechtsstreit so nochmals eine Ehrenrunde zurück zum OVG Bremen nehmen musste.  

Die Bremer Gebühr ist damit nicht nur ein ziemliches Bürokratiemonster. Mit ihr läuft die Polizei auch Gefahr, in ihrer Einsatztaktik gläsern zu werden, wenn die hinter dem Einsatzkonzept stehende Kalkulation offengelegt werden muss. Vereine, Verbände und Polizei sollten Partner sein in einer wirksamen "Stadionallianz", die der Sicherheit zuträglich ist und Einsatzstunden der Polizeikräfte tatsächlich deutlich reduziert.  

Macht das Bremer Modell Schule, so werden Vereine und Polizei zu Gebührengläubiger und -schuldner mit gänzlich divergierenden wirtschaftlichen Interessen, ja sogar zu Gegnern vor Gericht. Es gibt neben der Rechtsunsicherheit und der grundsätzlichen Frage der Zulässigkeit der Finanzierung von Sicherheit über Gebühren daher gute Gründe, wieso bisher alle anderen Bundesländer auf eine derartige Gebühr verzichtet haben.  

Dr. Gerrit Müller-Eiselt ist Rechtsanwalt und Partner bei EQZ Rechtsanwälte in München. Neben der alltäglichen Mandatsbetreuung im Arbeitsrecht und Öffentlichen Recht beschäftigt er sich seit seiner Dissertation zur Gewährleistung der Sicherheit bei Fußballspielen mit Rechtsfragen im Sportrecht.

Zitiervorschlag

BVerfG entscheidet zu Polizeikosten bei Fußballspielen: . In: Legal Tribune Online, 10.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56303 (abgerufen am: 15.01.2025 )

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