Lange stand Deutschland in der Kritik, weil die Bestechung von Abgeordneten nur unzulänglich geregelt war. Die UN-Konvention gegen Korruption wurde unterzeichnet, aber nicht in nationales Recht umgesetzt. Nun liegt ein Entwurf der großen Koalition vor, der am Mittwoch im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz einstimmig angenommen wurde. Warum dieser nicht perfekt, aber doch ein deutlicher Fortschritt ist, erläutert Sebastian Wolf.
Seit vielen Jahren hat der Bundestag Antikorruptionsübereinkommen des Europarats und der Vereinten Nationen nicht ratifiziert, weil sich keine parlamentarische Mehrheit für eine Verschärfung des Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung aus § 108e Strafgesetzbuch (StGB) finden ließ. Einschlägigen Gesetzentwürfen jeweils oppositioneller Fraktionen war regelmäßig kein Erfolg beschieden. Nun rückt die von so unterschiedlichen Akteuren wie Nichtregierungsorganisationen, Oppositionsparteien, dem Bundesgerichtshof, internationalen Beobachtern und sogar Unternehmensvertretern geforderte Neuregelung in greifbare Nähe.
Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD noch recht vage vereinbart: "Wir werden die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung neu regeln." Jetzt haben die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD gemeinsam in verhältnismäßig kurzer Zeit einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt (Bundestags-Drucksache 18/476). Die Initiative trägt erkennbar die Handschrift der SPD: Sie ähnelt in zentralen Elementen einem Entwurf der Sozialdemokraten aus der letzten Legislaturperiode, der noch 2013 von Union und FDP entschieden abgelehnt wurde.
Korruptive Handlungen "im Auftrag oder auf Weisung"?
Das geltende Strafrecht erstreckt sich lediglich auf den Stimmenkauf und -verkauf bei Abstimmungen und Wahlen im Plenum und den Ausschüssen. Künftig sollen alle Handlungen bei der Wahrnehmung des Mandats erfasst werden. Die vorgeschlagene Regelung zielt auf korruptiv beeinflusste Handlungen oder Unterlassungen des Abgeordneten "im Auftrag oder auf Weisung". Diese auffällige Formulierung ist wohl ein Versuch, in Bezug auf Parlamentarier mit ihrem freien Mandat ein terminologisches Äquivalent für die Dienstpflichtenverletzung in den Straftatbeständen für Amtsträgerbestechung (§§ 332, 334 StGB) zu finden.
Abgeordnete haben bekanntermaßen keine Dienstpflichten, sie sind "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden", Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz. Allerdings lässt sich fragen, ob eine Unrechtsvereinbarung zwischen einem Vorteilsgeber oder -anbieter und einem Abgeordneten dazu führt, dass letzterer im Auftrag oder auf Weisung handelt – es besteht in solchen Fällen ja eher ein illegitimes Tauschverhältnis auf gleicher Augenhöhe als ein klar hierarchisches Auftrags- oder Weisungsverhältnis. Möglicherweise klärt die Rechtsprechung später diese wohl nicht ganz unproblematische, zumindest aber etwas sperrige Formulierung mit Blick auf das an sich deutlich erkennbare Regelungsziel. Zu diesem heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs: "Die freie Willensbildung und -betätigung in den Parlamenten soll vor unzulässiger Einflussnahme geschützt werden."
Eine ambitionierte Neuregelung
Der Gesetzentwurf erfasst zudem im Unterschied zur geltenden Fassung von § 108e StGB materielle und immaterielle Vorteile des Vorteilsgebers an den Abgeordneten oder einen Dritten. Die Neuregelung soll sich auf Mitglieder von Parlamenten auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene erstrecken und bezieht auch die Bundesversammlung, das Europäische Parlament, parlamentarische Versammlungen internationaler Organisationen und Gesetzgebungsorgane ausländischer Staaten mit ein. Der vorgeschlagene Strafrahmen – Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, in schweren Fällen Einschränkungen des aktiven und/oder passiven Wahlrechts – entspricht der bisherigen Regelung.
Die Formen der Bestechlichkeit und der Bestechung werden in der Vorlage beträchtlich ausgeweitet: Strafbar macht sich künftig, wer ungerechtfertigte Vorteile fordert, sich versprechen lässt oder annimmt bzw. wer derartige Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt. Diese Formulierungen finden sich auch in den Normen zur Amtsträgerkorruption, die überdies für gewisse Konstellationen eine Versuchsstrafbarkeit vorsehen. Der Gesetzentwurf kriminalisiert die verschiedenen Varianten versuchter Abgeordnetenbestechung bewusst nicht, da laut Begründung "mit den Tatbestandsvarianten des Forderns, Sich-Versprechen-Lassens, Anbietens und Versprechens die Strafbarkeit weit vorverlagert wird". Dem ist grundsätzlich zuzustimmen.
Die Initiative erfasst allerdings nicht in der Vergangenheit liegende Handlungen, also nachträgliche Vorteilsflüsse für Gefälligkeiten wie etwa "Dankeschön-Spenden". Ein Abgeordneter könnte auch nach der Neufassung straflos eine üppige Summe von einer Person annehmen, deren Interessen er implizit bei der Ausübung seines Mandats vertreten hat, ohne dass dies vorher so vereinbart war. Auch hier bleibt der Entwurf hinter den Regelungen zur Amtsträgerbestechung bzw. -bestechlichkeit zurück.
2/2: Unklare Ausnahmebestimmungen könnten Anwendbarkeit schwächen
Nach der vorgeschlagenen Neuregelung liegt ein ungerechtfertigter Vorteil "insbesondere nicht vor", wenn seine Annahme abgeordnetenrechtlich erlaubt ist oder es sich um ein politisches Mandat, eine politische Funktion oder eine zulässige Spende handelt. Der Entwurfsbegründung ist zu entnehmen, es sei auch dann nicht von einem ungerechtfertigten Vorteil auszugehen, wenn die fragliche Zuwendung "anerkannten parlamentarischen Gepflogenheiten" entspreche. Das ist freilich eine relativ vage Ausnahmeregelung. Im Falle fehlender einschlägiger Vorschriften werden letztlich die Gerichte entscheiden müssen, welche Vorteile im parlamentarischen Betrieb als sozialadäquat angesehen werden müssen.
Verkompliziert wird dieser Umstand noch dadurch, dass sich die neue Strafnorm auch auf subnationale, ausländische und internationale Volksvertretungen erstreckt. Die betreffenden Parlamentarier, potentielle Vorteilsgeber, Strafverfolgungsbehörden und Gerichte haben letztlich die jeweils geltenden abgeordneten- und parteienrechtlichen Bestimmungen sowie möglicherweise von Institution zu Institution unterschiedlichen parlamentarischen Gepflogenheiten zu berücksichtigen. Dies könnte die Anwendbarkeit des künftigen § 108e StGB beeinträchtigen.
"Internationale Bestechung: Sonderregelung bleibt"
Der Gesetzentwurf tastet § 2 des Internationalen Bestechungsgesetzes (IntBestG), der die Bestechung ausländischer Abgeordneter im geschäftlichen Verkehr regelt, nicht an. In der Begründung heißt es, die Beibehaltung dieser Spezialvorschrift sei "im Hinblick auf die Besonderheiten der Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr […] und das Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr […] angebracht".
Vermutlich trifft nur der letzte Punkt zu: Würde diese Sonderregelung vor dem Hintergrund des neugefassten Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung aufgehoben, würde Deutschland nicht mehr die strengen Vorgaben des OECD-Bestechungsübereinkommens erfüllen. Diese entsprechen übrigens in weiten Teilen den einschlägigen Bestimmungen der UN-Konvention gegen Korruption. Eine Reform von § 108e StGB auf der Grundlage von § 2 IntBestG ginge den Abgeordneten von Union und SPD wohl zu weit.
Weitere Maßnahmen wünschenswert
Trotz der vorgenannten Kritikpunkte ist der Gesetzentwurf kriminal- und rechtspolitsch eindeutig zu begrüßen. Er reicht über den bislang geltenden, eher symbolischen Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung weit hinaus. In Verbindung mit der ebenfalls vorgesehenen Aufnahme von § 108e StGB in den Vortatenkatalog des Straftatbestands der Geldwäsche (§ 261 StGB) würde endlich die Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korruption ermöglicht werden.
Wünschenswert erscheinen in diesem Zusammenhang nun noch folgende Punkte: Erstens sollte die Bundesrepublik möglichst schnell dem Monitoringmechanismus der UN-Konvention gegen Korruption beitreten (das ist und war auch schon ohne die Ratifizierung des Übereinkommens möglich). Zweitens sollte die schwarz-rote Bundesregierung ihren Antikorruptions-Gesetzentwurf aus dem Jahr 2007 neu in den Bundestag einbringen (Bundestagsdrucksache 16/6558). Die seinerzeit nicht verabschiedete Initiative sah eine Harmonisierung der Straftatbestände betreffend die Bestechung ausländischer und internationaler Amtsträger vor, außerdem eine Reform der Regelung der Bestechung im privaten Sektor und eine Aufnahme der betreffenden Vorschrift (§ 299 StGB) in den Vortatenkatalog des Geldwäscheparagraphen. Gelingen der Großen Koalition diese Projekte, so hätte sie die weitreichendsten strafrechtlichen Antikorruptionsmaßnahmen seit den 1990er Jahren durchgesetzt.
Der Autor Dr. Sebastian Wolf ist Privatdozent an der Universität Konstanz und Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut in Bendern (Liechtenstein). Korruptionsbekämpfung ist einer seiner Forschungsschwerpunkte. Von 2007 bis 2010 war er Mitglied des Vorstands von Transparency International Deutschland, seitdem ist er Co-Koordinator des wissenschaftlichen Arbeitskreises dieser Nichtregierungsorganisation. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.
Dr. Sebastian Wolf, Reform der Abgeordnetenbestechung: Spät kommt sie, aber sie kommt . In: Legal Tribune Online, 20.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11108/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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