Beschlagnahme bei Ermittlungen gegen Wulff: Das Tagebuch der Vera Glaeseker

von Kai Peters

10.08.2012

Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter gegen Olaf Glaeseker. In der Asservatenkammer liegt nun auch das mit Urlaubsfotos bestückte Tagebuch seiner Frau. Die entzückte der Gedanke wenig, dass nun Polizisten in ihren intimsten Notizen blättern werden. Vor dem LG Hannover blieb sie mit ihrer Beschwerde erfolglos. Weshalb selbst private Details vor staatlichen Zugriffen nicht sicher sind, erläutert Kai Peters.

Im Januar dieses Jahres stand plötzlich die Polizei im Wohnzimmer der Glaesekers. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt wegen des Verdachts der Bestechlichkeit gegen den ehemaligen Staatssekretär und Sprecher von Ex-Bundespräsident Christian Wulff. Auf Kosten des Eventmanagers Manfred Schmidt soll das Ehepaar mehrfach Urlaub in Spanien und Frankreich gemacht haben. Im Gegenzug soll sich Olaf Glaeseker massiv für den von Schmidt veranstalteten Nord-Süd-Dialog eingesetzt und diesen "gefällig gefördert" haben.

Obwohl Vera Glaeseker in dem Verfahren nicht Beschuldigte, sondern lediglich Zeugin ist, wurden bei der Durchsuchung ihre privaten Tagebücher beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft hält diese für beweisrelevant, weil sich darin Fotos von den gemeinsamen Urlauben mit Schmidt und diesbezügliche Notizen befinden sollen.

Das Landgericht (LG) Hannover hat nach Angaben des dortigen Pressesprechers die Beschlagnahme bestätigt. Die Tagebücher bleiben damit in amtlicher Verwahrung, die Ermittler dürfen sie auswerten.

Die Grenze ist der Kernbereich

Die Entscheidung ist auf den ersten Blick überraschend. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat wiederholt entschieden, dass ein letztes unantastbares Stück privater Lebensgestaltung, der so genannte Kernbereich, unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht und der staatlichen Gewalt entzogen ist. Dies gilt für Zeugen und Beschuldigte eines Strafverfahrens gleichermaßen.

Da Aufzeichnungen in Tagebüchern üblicherweise die innere Gefühlswelt des Verfassers widerspiegeln und nicht für die Augen Dritter bestimmt sind, liegt es nicht fern, solche Notizen dem unantastbaren Kernbereich zuzuordnen. Das BVerfG macht dabei allerdings eine wichtige Ausnahme: Einträge, die in unmittelbarem Bezug zu schweren Straftaten stehen, sind vom Kernbereich ausgenommen, weil sie über die subjektive Sphäre des Tagebuchschreibers hinausgehen. Notizen über schwere Straftaten sind also im Strafverfahren verwertbar.

Außerhalb des Kernbereichs ist zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem legitimen Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung abzuwägen. Dabei bildet die Schwere des Delikts ein wichtiges, aber nicht das einzige Kriterium. Für die Verwertbarkeit des privaten Materials kann zum Beispiel auch die Möglichkeit sprechen, damit den Beschuldigten oder einen Dritten zu entlasten.

Urlaubsfotos nicht intim genug

Die Kernbereichsrechtsprechung des BVerfG ist viel kritisiert worden. Man mag davon halten, was man will. Unstreitig ist jedenfalls, dass eine Aufzeichnung nicht schon deshalb in den Kernbereich des Privatlebens fällt, weil sie in ein Tagebuch aufgenommen worden ist. Halten die Notizen lediglich äußere Ereignisse fest, sind sie nach Auffassung des Karlsruher Gerichts verwertbar, sofern das staatliche Aufklärungsinteresse das allgemeine Persönlichkeitsrecht überwiegt. Gewöhnliche Urlaubsbilder dürften also nicht in den Kernbereich fallen, der vor allem staatlichen Zugriff geschützt ist. Es kann dabei auch keinen Unterschied machen, ob die Bilder in ein Fotoalbum oder in ein Tagebuch eingeklebt sind.

In einer Entscheidung vom 17. November 2007 (Az. 2 BvR 518/07) haben die Verfassungsrichter klargestellt, dass die Beschlagnahme eines Tagebuchs vor diesem Hintergrund nur dann verfassungswidrig ist, wenn von vornherein klar ist, dass die gesamten Aufzeichnungen im Strafverfahren nicht verwertbar sind. Die Beschlagnahme erfolge im Vorfeld und diene lediglich der Beweisgewinnung. Die Entscheidung darüber, welche Informationen später im Prozess verwertet werden können, nehme sie nicht vorweg.

Auf diesen Gesichtspunkt dürfte auch das LG Hannover in seiner Entscheidung über die Tagebücher von Frau Glaessker abgestellt haben. Nicht befriedigend gelöst ist allerdings das Problem, dass bereits die Kenntnisnahme der Ermittler von privaten Details das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Tagebuchschreibers verletzt. Durch die spätere Verwertung im Prozess wird dieser Eingriff (nur) weiter vertieft. Dass die Beamten bei der Durchsicht mit "größtmöglicher Zurückhaltung" vorzugehen haben, wie es das BVerfG postuliert, wird für Vera Glaeseker wenig tröstlich sein.

Der Autor Kai Peters ist Rechtsanwalt und Partner der Strafrechtskanzlei Ignor & Partner in Berlin.

Zitiervorschlag

Kai Peters, Beschlagnahme bei Ermittlungen gegen Wulff: Das Tagebuch der Vera Glaeseker . In: Legal Tribune Online, 10.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6817/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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