Auch sechs Jahre nach der "Caroline-Entscheidung" des EGMR in Straßburg sind die Kriterien, wann und wie über Personen in den Medien berichtet werden darf, immer noch nicht genau definiert. Das Bundesverfassungsgericht hat nun neue wichtige Pflöcke eingeschlagen und unterscheidet dabei deutlich zwischen Wort- und Bildberichterstattung.
Immer wieder Caroline von Hannover und ihre Familie - man kann es schon nicht mehr lesen und hören", möchte man sagen, wenn man den gerade veröffentlichten Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. September 2010 (BVerfG, Az. 1 BvR 1842/08, 2538/08 und 6/09) liest. Doch die Auseinandersetzungen zwischen den Adeligen aus Monaco und der deutschen Boulevardpresse sind auch für die Medien in Deutschland viel bedeutender, als es auf den ersten Blick vielleicht den Anschein hat.
In dem Beschluss vom 14. September ging es um die Frage, unter welchen Umständen die deutschen Medien über die Caroline-Tochter Charlotte berichten dürfen. Im Jahr 2007 waren in der "Neuen Post" und der "Bunten" Artikel über Auftritte von Charlotte bei der Öffentlichkeitsarbeit, unter anderem bei einer Aids-Gala, erschienen.
Die Artikel bestanden meist aus einer Kombination von Bild- und Wortberichterstattung. Beides hielt die mittlerweile volljährige Tochter für verboten und klagte auf Unterlassung, diesmal bei den Berliner Gerichten. Und sie gewann sowohl beim LG Berlin als auch beim Kammergericht weitgehend. Doch die Medienverlage wollten dies nicht akzeptieren und riefen das Bundesverfassungsgericht an.
In aller Kürze: Was für Worte gilt, gilt für Bilder noch lange nicht
Die 1. Kammer des Ersten Senats unter Vorsitz des BVerfG-Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof verdeutlicht in dem Kammerbeschluss ihre Ansicht zu einer zulässigen Berichterstattung über Ereignisse der Zeitgeschichte in Bild und Wort.
Sie vertritt dabei die Auffassung, dass sie im Beschlusswege entscheiden kann, weil der Erste Senat in seiner Leitentscheidung vom 26. Februar 2008 (1 BvR 1602/07) die entsprechenden Grundsätze schon herausgearbeitet habe und es jetzt um die Anwendung im Einzelfall gehe.
Die Verfassungsbeschwerde der Verlage gegen die Verbote aus den Instanzen hatte zum Teil Erfolg, besonders was die Wortberichterstattung betraf. Die Medienunternehmen unterlagen hingegen bei der anlasslosen Verwendung von Bildern. In einer ausführlichen Begründung, die für eine Kammerentscheidung eigentlich nicht erforderlich ist, trennt das BVerfG sehr sorgfältig zwischen Wort- und Bildberichterstattung.
Grundsätze für die Bildberichterstattung
Zur Entscheidung über die Frage, ob ein Foto einer Person ohne deren Zustimmung (§ 23 Kunsturhebergesetz) veröffentlicht werden darf, stellt das Gericht darauf ab, ob die Abbildung ein "zeitgeschichtliches Ereignis" zeigt. Damit liegt die Kammer auf einer Linie mit den Entscheidungen des höchsten deutschen Gerichts seit dem Jahr 2008. Damit dürfte übrigens die Abkehr von der Einstufung als absolute und relative Person der Zeitgeschichte endgültig vollzogen sein, auch wenn dies bei so manchem noch immer nicht angekommen ist.
Bei der Wertung als "Ereignis der Zeitgeschichte", so die Richter, kommt es auf eine Gesamtwürdigung an. Dabei spielt auch eine Rolle, in welchem Zusammenhang das Bild aufgenommen wurde und in welchem es veröffentlicht wird.
Bei der Würdigung stellt das Gericht auf die Sphären ab, in denen sich eine Person bewegt. Es wird unterschieden zwischen der Intim-, der Privat- und der Sozialsphäre. Nahezu tabu ist eine Bildberichterstattung aus der Intimsphäre. Über die Privatsphäre, grob gesagt also das Alltagsleben, darf zwar berichtet werden, aber nur dann, wenn es sich um ein Ereignis der Zeitgeschichte handelt. Viel weitgehender darf berichtet werden aus der Sozialsphäre, also aus dem beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld. Abzuwägen sind hier immer die Persönlichkeitsrechte des Fotografierten aus Art. 2 Grundgesetz (GG) und das Recht der Presse aus Art. 5 GG.
Bilder vom Ereignis nur bei Berichterstattung über das Ereignis
Das BVerfG beanstandet in diesem Zusammenhang nicht, dass das Kammergericht die Auffassung vertreten hat, dass, wenn ein in der Sozialsphäre aufgenommenes Bild veröffentlicht wird, die Berichterstattung auch mit dem Ereignis in Zusammenhang stehen muss, bei dem das Foto gemacht wurde.
Daher bestätigt die Kammer das Verbot zukünftiger Veröffentlichungen der Bilder, wenn die Berichterstattung keinen Bezug zu dem auf dem Foto gezeigten Anlass herstellt. Im Zusammenhang mit einer Aids-Gala aufgenommene Bilder von Charlotte dürfen also nicht veröffentlicht werden, wenn der Bericht sich nur mit dem Lebenswandel der Adligen befasst.
Zulässig wäre die Bildveröffentlichung hingegen gewesen, so kann man aus der Begründung der Verfassungsrichter schlussfolgern, wenn es sich um einen Bericht über die Aids-Gala gehandelt hätte.
Grundsätze für die Wortberichterstattung
Deutlich geringer sind die Anforderungen, die das BVerfG an die Zulässigkeit einer Wortberichterstattung stellt. Hier legt das Verfassungsgericht einen anderen Wertungsmaßstab an.
Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts reicht bei personenbezogenen Wortberichten nicht so weit, dass man sich gegen jede Wortberichterstattung wehren kann. Das Persönlichkeitsrecht schütze nicht davor, überhaupt in einem Bericht individualisierend genannt zu werden.
Grenzen der Berichterstattung liegen bei Themen aus der Privat- oder Intimsphäre oder bei einer Schmähkritik. Dies ergibt sich auch schon aus den strafrechtlichen Normen, die den Schutzbereich (§ 201 Strafgesetzbuch usw.) sehr eng ziehen. Im Hinblick auf die Pressefreiheit kann der einzelne, auch nicht über das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht bestimmen, was über ihn berichtet werden soll.
Die Geister, die ich rief: Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, ist öffentlich
Zulässig ist die Berichterstattung gerade dann, wenn es sich um Ereignisse aus der Sozialsphäre handelt. Das BVerfG liegt damit voll auf der Linie des VI. Senats des Bundesgerichtshofs, die dieser in den vergangenen Jahren entwickelt hat (s. zuletzt BGH, Urt. v. 13.4.2010, Az. VI ZR 125/08).
Denn wer sich – wie hier die Tochter von Caroline – in die Öffentlichkeit begibt, muss damit rechnen, dass darüber berichtet wird. Denn eine umfassende Verfügungsbefugnis über die Darstellung der eigenen Person in dem Sinne, dass der Grundrechtsträger die ausschließliche Herrschaft auch über den Umgang der Öffentlichkeit mit denjenigen Aussagen oder Verhaltensweisen hätte, derer er sich öffentlich entäußert hat, gewährleistet die Verfassung nicht.
Die Wortberichterstattung, die das Kammergericht weitgehend untersagt hatte, erklärte das BVerfG also für zulässig. Insoweit hatten die Verfassungsbeschwerden der Verlage Erfolg.
Mit der Entscheidung des BVerfG sind für die Medien und auch die Betroffenen die Maßstäbe für eine Veröffentlichung deutlicher geworden. Auch wenn es noch weitere Verfahren in Straßburg und beim BGH in Karlsruhe gibt, hat das BVerfG sein neues Verständnis für die Wort- und Bildberichterstattung dargelegt. Es ist eine Hilfe für die Verlage und die Medienanwälte. Beide Seiten können mit den Leitlinien sicherlich leben.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen sowie Lehrbeauftragter für Medienrecht an der Fachhochschule Köln.
Martin W. Huff, Berichterstattung über Prominente: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1767 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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