Seit der Einführung von "E10" verschwindet herkömmliches Super-Benzin mit 95 Oktan immer mehr von den Tankstellen. Autofahrer, die nicht E10 tanken, müssen auf 98 Oktan-Benzin zurückgreifen. Dieses ist teurer und wird laut dem ADAC an Tankstellen nun offenbar nicht mehr als "Super Plus", sondern als "Super" angeboten – durchaus eine Anzeige wert, meint Alfred Scheidler.
Seit einigen Wochen wird an deutschen Tankstellen neben den herkömmlichen Benzinsorten das neue Bio-Benzin E10 angeboten, also Benzin, das bis zu 10 Prozent Bioethanol enthalten darf. Die neue Sorte entpuppte sich schon bald als Ladenhüter: Lange Zeit herrschte Verunsicherung, welche Autos den neuen Kraftstoff überhaupt vertragen. Obwohl es inzwischen klare Aussagen dazu gibt, greifen die Autofahrer nach wie vor bevorzugt zu den herkömmlichen Sorten.
Die Mineralölkonzerne haben nun nach Angaben des ADAC die herkömmlichen Kraftstoffe faktisch verteuert, ohne das kenntlich zu machen. Der Automobilclub hat Anzeige erstattet – bekommt er Recht, müssten die Kraftstoffanbieter nicht nur ein Bußgeld zahlen, sondern vor allem zukünftig die herkömmlichen Sorten wieder zu günstigeren Konditionen anbieten. Und schon der Wortlaut des Gesetzes spricht für die Meinung des ADAC.
Rein marktwirtschaftlich betrachtet läge es, wenn das Produkt E10 nicht angenommen wird, nahe, den unbeliebten Kraftstoff einfach wieder vom Markt zu nehmen. Doch das ist rechtlich nicht ohne Weiteres möglich: Seit 2007 verpflichten §§ 37a ff. des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), die Mineralölwirtschaft zur Einhaltung einer jährlich ansteigenden Biokraftstoffquote. Die Vorschriften setzen europarechtliche Vorgaben aus der Richtlinie 2003/30/EG um.
Allein mit einem Bioethanolanteil im Benzin von maximal 5 Prozent, wie er auch bisher schon möglich war, ist diese Quote nicht erfüllbar. Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat daher zum 14. Dezember 2010 die "Zehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Kraftstoffqualitätsverordnung, 10. BImSchV)" so geändert, so dass nun auch Bio-Benzin E10 zulässig ist. Auch damit wurden wiederum europarechtliche Vorgaben aus den Richtlinien 2009/30/EG und 98/70/EG umgesetzt.
Bestandsschutzsorte für E5-Ottokraftstoff : In Deutschland unbefristet
Dass vor allem ältere Autos kein E10 vertragen, ist jedoch nicht erst seit der Einführung des Bio-Benzins bekannt. In Brüssel war man sich dessen vielmehr durchaus bewusst. Schon die Richtlinie 2009/30/EG sieht daher eine Bestandsschutzsortenregelung vor, derzufolge die Mitgliedstaaten die Kraftstoffanbieter verpflichten müssen, bis mindestens 2013 den bisherigen (unkritischen) E5-Ottokraftstoff weiter anzubieten.
Deutschland hat diese europäische Vorgabe in § 3 Abs. 2 und 3 der 10. BImSchV umgesetzt. Die Bestandsschutzgarantie hat die Bundesregierung dabei aber nicht bis 2013 befristet, sondern sie schreibt den Kraftstoffanbietern ohne zeitliche Begrenzung vor, dass sie weiterhin den altbekannten E5-Ottokraftstoff anbieten müssen. Der deutsche Gesetzgeber ist also zugunsten der deutschen Kraftfahrer über die befristete europäische Vorgabe hinaus gegangen.
Wer Ottokraftstoffe der Qualität "Normal" oder "Super" mit mehr als 5 Prozent Ethanol (also E10) anbietet, muss an derselben Abgabestelle auch Ottokraftstoffe der Qualität "Super" mit einem Anteil von maximal 5 Prozent Ethanol (also herkömmliches "Super") anbieten. Entsprechendes gilt für "Super Plus": Wer "Super Plus E10" anbietet, muss auch das herkömmliche "Super Plus" anbieten.
Den Mineralölkonzernen drohen Bußgelder bis zu 50.000 Euro
Der ADAC wirft den Mineralölkonzernen Aral, BP, Jet, OMV und Shell vor, gegen diese Vorgaben zu verstoßen. Stichproben in München hätten ergeben, dass unter der Bezeichnung "Super" als Bestandsschutzsorte ein Kraftstoff der Qualität "Super Plus" mit mindestens 98 Oktan abgegeben werde. Entsprechend koste dieser mindestens acht Cent pro Liter mehr als das angebotene Super E10.
Der Automobilclub hat daher Anzeige in München erstattet, weil er diesen Verstoß als Ordnungswidrigkeit gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 der 10. BImSchV ansieht. Und eine solche kann nach § 62 Abs. 3 BImSchG mit einer Geldbuße bis zu 50.000 Euro belegt werden.
Die Mineralölgesellschaften bestreiten einen Verstoß: Die Bestandsschutzsortenregelung in § 3 der 10. BImSchV sehe lediglich vor, dass herkömmliches Benzin mit maximal 5 Prozent Bioethanolanteil angeboten werden müsse. Die Verordnung schreibe hingegen nicht vor, dass die Bestandsschutzsorte maximal nur 95 Oktan haben dürfe. Als Bestandsschutzsorte dürfe daher auch das teurere Benzin mit 98 Oktan angeboten werden.
Dieser Argumentation dürfte jedoch schon dem Wortlaut von § 3 Abs. 2 und 3 der 10. BImSchV widersprechen, der eher für die Auffassung des ADAC spricht. Nach den Regelungen sind die Mineralölkonzerne, die E10 mit 95 Oktan anbieten, dazu verpflichtet, auch einen herkömmlichen Kraftstoff genau dieser Qualität anzubieten. Der Gesetzgeber geht also ersichtlich davon aus, dass neben jeder angebotenen Biokraftstoffsorte die entsprechende herkömmliche Kraftstoffsorte mit derselben Oktanzahl angeboten werden muss.
Nun hat die zuständige Behörde zu entscheiden, welchen rechtlichen Standpunkt sie einnimmt. Die Anzeige des ADAC ging beim Referat für Gesundheit und Umwelt der Stadt München ein, von wo aus sie an das Landesamt für Umwelt weitergeleitet wurde. Sollte dieses der Auffassung des ADAC folgen und einen Rechtsverstoß der Mineralölgesellschaften bejahen, dürfte das jeweilige Bußgeld noch die kleinste Sorge der Kraftstoffanbieter sein, die mit sicherlich heftigen Verlusten zu rechnen hätten.
Der Autor Dr. Alfred Scheidler ist Oberregierungsrat in Neustadt an der Waldnaab und Autor zahlreicher Publikationen zum öffentlichen Recht
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Alfred Scheidler, Benzinstreit: ADAC zeigt Mineralölkonzerne an: . In: Legal Tribune Online, 07.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2976 (abgerufen am: 12.10.2024 )
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