Für Hinweise zur Identität des Anrufers, der einen Amoklauf bei Examensprüfungen in Passau ankündigte, verspricht Strafrechtsprofessor Holm Putzke 3.000 Euro. Skurril: Zuvor war er Verteidiger des früheren Angeklagten. Was treibt ihn an?
Im September 2020 kündigte ein unbekannter Täter per Telefon einen Amoklauf für eine Prüfung des ersten Juristischen Staatsexamen an der Universität Passau an. Per Notruf informierte der Anrufer in den frühen Morgenstunden die Polizei darüber, dass ein Bekannter, der durch die Prüfung gefallen sei, ihm gegenüber ankündigt habe, eine Gewalttat in der Dreiländerhalle verüben zu wollen. Der Freund habe ihm einen Brief geschrieben und seine Pistole fehle im Schrank.
Zu dem angekündigten Verbrechen kam es damals glücklicherweise nicht. Die Prüfungen fanden unter erheblicher polizeilicher Begleitung, verbunden mit umfangreichen Personenkontrollen statt. Die Polizei war an allen fünf Tagen vor Ort und ergriff notwendige Sicherheitsmaßnahmen, wie etwa Taschenkontrollen.
Seitdem suchen die Passauer Ermittlungsbehörden nach dem Täter. Das wichtigste Beweismittel: Die Audiodatei mit der Stimme des Anrufers, die die Polizei veröffentlicht hat, ist weiter abrufbar.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhen einer Straftat (§ 126 StGB) sowie Vortäuschens einer Straftat (§ 145d StGB). Beide Delikte sehen einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vor.
Früherer Angeklagter freigesprochen
Tatsächlich meldeten sich nach der Veröffentlichung des Sprachschnipsels durch die Polizei zwei Personen, die meinten den Täter anhand der Sprachaufnahme erkannt zu haben. Nachdem die Polizei den vermeintlichen Anrufer ermittelt hatte und das Amtsgericht Passau die Hauptverhandlung durchführte, wurde der damalige Angeklagte nach knapp zwei Jahren nun im November freigesprochen. Zwar zeigte das phonetische Gutachten des Landeskriminalamtes Aspekte stimmlicher Übereinstimmung auf, ebenso wurden jedoch eindeutige Abweichungen festgestellt. Im Ergebnis war dem Angeklagten die Tat nicht nachzuweisen.
Verteidigt wurde der damalige Angeklagte durch den Passauer Professor und Strafverteidiger Dr. Holm Putzke, der den Examenskandidaten kannte und von seiner Unschuld überzeugt war. Putzke möchte die Sache trotz des Freispruches nicht auf sich beruhen lassen und versucht, den aus seiner Sicht wahren Täter zu ermitteln - und das mit einer interessanten Methode.
3.000 Euro Belohnung ausgelobt
Weil ihn die Fehlersuche im Strafprozess antreibt und er die Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft für unzureichend hält, möchte Putzke die Ermittlungen nun selbst beschleunigen und stellte dazu via LinkedIn unter der Überschrift "Catch me if you can" eine Belohnung von 3.000 Euro in Aussicht.
Voraussetzung für den Erhalt der Belohnung ist ein Zeugenhinweis bis zum 31.01.2023 der dazu beiträgt, den Täter zu ermitteln. Ausgezahlt würde der Betrag dann nach rechtskräftiger Verurteilung des Täters.
Der Aufruf richtet sich allerdings nicht nur an Zeugen, denen Putzke Zeugenbeistand und Vertraulichkeit garantiert, sondern auch an den Täter selbst. Sollte der Anrufer sich bis zum 31.01.2023 selbst bei ihm melden, erhalte er ebenso 3.000 Euro. Auch dem Täter sichert Putzke Vertraulichkeit zu. Sollte es dennoch zu einem Prozess gegen den Anrufer kommen, stünde er als Verteidiger bereit.
Wenn der Täter sich meldet, soll dieser eine Stimmprobe abgeben und anschließend an einer phonetischen Untersuchung teilnehmen, für die Putzke einen Sachverständigen beauftragt. Sollte das Ergebnis mit der polizeilichen Telefonaufzeichnung übereinstimmen, gäbe es die Belohnung. Um die strafrechtliche Verfolgung des Täters gehe es ihm nicht, so der Professor.
Was Putzke antreibt
Viele stellen sich in den sozialen Medien die Frage, was einen Professor und Strafverteidiger dazu bringt, einen solchen Betrag für die Erforschung der Wahrheit zu zahlen. Für Putzke gibt es dafür mehrere Gründe. Zunächst gehe es ihm um eine Herzensangelegenheit: Die Erforschung von Fehlerquellen im Strafprozess.
"Mein damaliger Mandant ist knapp an der Verurteilung vorbeigeschrammt. Nur weil zwei Zeugen dachten, seine Stimme erkannt zu haben und das Gutachten teilweise Übereinstimmungen aufzeigte, fand er sich auf einmal in einem Strafverfahren wieder", erzählt Putzke gegenüber LTO. Die Bedeutung von phonetischen Gutachten in einem Strafprozess sei erheblich und nicht zu unterschätzen. Soweit eine Übereinstimmung vorliege, sei das Gutachten als Beweismittel in der Regel ausreichend.
"Deshalb wäre es spannend, die echte Stimme des Anrufers gutachterlich mit der meines damaligen Mandanten zu vergleichen", meint Putzke. Mit den Ergebnissen könne auf Fehlerquellen im Strafprozess aufmerksam gemacht und Fehlurteile künftig vermieden werden. Ziel des Aufrufs sei also nicht die Verurteilung des Täters, sondern eine wissenschaftliche Auswertung der verschiedenen Stimmproben. Zum anderen hätten die Ermittlungsbehörden längst nicht alle Ermittlungsansätze ausgeschöpft, so Putzke.
Obwohl es dem Passauer Professor bei der Suche nach dem Täter ausschließlich um den Gewinn wissenschaftlich relevanter Erkenntnisse geht, bleibt doch ein seltsames Gefühl zurück. Den Täter einer angekündigten grausamen Straftat in dieser Form über ein soziales Netzwerk zu suchen und ihm anschließend eine Belohnung auszuzahlen, irritiert zunächst, wie man auch anhand einiger der Kommentare erkennen kann.
Ein ähnliches Störgefühl ruft die Tatsache hervor, dass nach Ansicht Putzkes, eine solche Auslobung überhaupt notwendig ist. Derzeit fänden trotz des Verfahrensabschlusses gegen den inzwischen freigesprochenen Mandanten keine weiteren Ermittlungen statt, so die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Passau. Sie könnten bei Bekanntwerden neuer Ansätze jedoch jederzeit wieder aufgenommen werden.
Drohung mit Amok-Lauf bei Examensprüfung: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50495 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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