Menschrechtswidrige Haftbedingungen in Belgien: Ster­be­hilfe statt The­rapie?

von Prof. Dr. Marten Breuer

16.01.2015

2/2: Reicht es, dass Mitgliedstaaten sich selbst kontrollieren?

Ob und wie die Urteile des EGMR befolgt werden, überwacht das Ministerkomitee des Europarates, Art. 46 Abs. 2 EMRK. Das mag auf den ersten Blick überraschen, heißt es doch im Klartext, die Kontrolle der Urteilsumsetzung gerade jenen anzuvertrauen, die durch den EGMR kontrolliert werden sollen: den Mitgliedstaaten.

In der Praxis hat sich dieses Verfahren aber durchaus bewährt. Insbesondere der Druck durch die anderen Mitgliedstaaten führt in den meisten Fällen dazu, dass die Urteile letztendlich befolgt werden. Nur in absoluten Ausnahmefällen verweigern verurteilte Staaten dies offen.

Die Möglichkeiten der Überwachung sind in den letzten Jahren deutlich effektiver gestaltet worden. Das Ministerkomitee verlangt von den verurteilten Ländern heute die Vorlage eines sogenannten Aktionsplans, also eines Dokuments, das beschreibt, wie die Regierung gedenkt, das Urteil umzusetzen.

Einen solchen Plan hat die belgische Regierung zwar vorgelegt. Die darin angekündigten Maßnahmen gehen allerdings eindeutig nicht weit genug. Es sollen lediglich die betroffenen Inhaftierten erfasst werden, um anschließend den Bedarf an psychiatrischen Einrichtungen zu ermitteln. Konkretere Schritte zeigt das Papier nicht auf.

BVerfG und EGMR zur Sicherheitsverwahrung – eine komplexe Materie

Dass der Umgang mit inhaftierten Sexualstraftätern den Staat vor erhebliche Herausforderungen stellt, zeigt auch der Vergleich mit Deutschland. Hierzulande wird das Problem unter dem Stichwort "Sicherungsverwahrung" diskutiert.

Deren ursprüngliche gesetzliche Ausgestaltung hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zunächst gebilligt. Später aber wurde sie vom EGMR wegen Verstoßes gegen Art. 5 und 7 EMRK als konventionswidrig beurteilt. Das BVerfG hat in Reaktion auf das Urteil aus Straßburg von seiner ursprünglichen Beurteilung der Sicherungsverwahrung Abstand genommen und einen Verstoß auch gegen das Grundgesetz festgestellt.  

Das BVerfG hat den staatlichen Stellen allerdings eine Frist von zwei Jahren bis Ende Mai 2013 eingeräumt, um die Vorgaben des Urteils zu realisieren. Dabei hat es berücksichtigt, dass die entsprechenden Maßnahmen, die zur Urteilsumsetzung notwendig sind, recht umfangreich sein werden. Auch in dieser Vorgabe zeigt sich, dass es eine komplexe und schwierige Aufgabe darstellt, diese Materie umzusetzen.

Das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung ist zwar gerade noch fristgemäß zum 1. Juni 2013 in Kraft getreten. Die Umbaumaßnahmen in der JVA Schwalmstadt konnten aber beispielsweise erst im August 2014 abgeschlossen werden.

Belgischer Justizminister gelobt Besserung

In Belgien scheint der Fall Van den Bleeken die Politik wachgerüttelt zu haben. Der belgische Justizminister Koen Geens hat in einer Pressemitteilung zum einen in Aussicht gestellt, Van den Bleeken in eine geeignete niederländische Einrichtung zu überstellen.

Zum anderen hat er angekündigt, innerhalb der nächsten sechs Monate einen Plan zur Schaffung angemessener Einrichtungen in Belgien vorzulegen. Denn eines bleibt gewiss: Allein aus Mangel an Therapieeinrichtungen darf es keine Sterbehilfe geben.

Der Autor Professor Dr. Marten Breuer ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit internationaler Ausrichtung an der Universität Konstanz. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Recht der EMRK.

Zitiervorschlag

Marten Breuer, Menschrechtswidrige Haftbedingungen in Belgien: Sterbehilfe statt Therapie? . In: Legal Tribune Online, 16.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14392/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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